An Rhein und Ruhr. Alte, aufgegebene Biermarken erfreuen sich im Land wachsender Beliebtheit. Clevere Unternehmer haben den Marken neues Leben eingehaucht.
Thomas Raphael bedauert. Er würde ja gerne in seine Brauerei bitten, aber da ist derzeit „alles im Umbruch“. Ein Ortswechsel steht an, inklusive Vergrößerung. „Jetzt wird es ernst“, sagt Raphael, wirkt aber nicht wirklich beunruhigt. „Die Leute“, hat er nämlich im vergangenen Jahrzehnt erfahren, „wollen an alter Bierkultur festhalten.“
Das merkt derzeit – keine 30 Kilometer von Dortmund entfernt – auch Jens Neffin in Iserlohn. Dort, wo vor wenigen Jahren die große Brauerei schloss, hat der 41-Jährige im Sommer das „Iserlohner Danztürmchen“ auf den Markt gebracht – ein Name, den er einst selbst erfand, den sich die Brauerei, in der er arbeitete, aber schnell sicherte, ohne ihn je zu nutzen. Das macht Neffin nun selber. Freizeit ist seitdem ein Fremdwort. „Wir kommen mit dem Brauen kaum nach“, sagt Neffin. Kaum ist das Bier da, ist es auch schon wieder verkauft. Und manchmal dauert es, bis es Nachschub gibt. Hin und wieder komme es sogar zum Streit um die letzten Kisten, hat eine Supermarkt-Verkäuferin festgestellt. Kundin Sabine Werner (54) glaubt zu wissen, warum das Bier aus der Waldstadt so begehrt ist: „Es schmeckt wie das alte Iserlohner Pilsener. Da werden Erinnerungen wach.“
Mit Erinnerungen hat es vor zehn Jahren auch beim Bergmann-Bier begonnen. Als Thomas Raphael, eigentlich selbstständiger Mikrobiologe für Lebensmittelhersteller, in einer Markendatenbank im Internet stöbert, dort auf den Namen der 1972 aufgegebenen Bergmann-Brauerei stößt. „Die kannte ich von früher.“ Er sichert sich den Namen. Ein Gag, eine Urkunde an der Wand. Bis ihm jemand sagt, dass die Namensrechte verfallen, wenn sie nicht genutzt werden. Deshalb knüpft der Dortmunder Kontakt zu einer Hagener Brauerei, trommelt Freunde zusammen, lässt 6000 Liter Bier brauen. „Die haben wir dann verteilt.“ .
Die Presse wird aufmerksam, erste Händler fragen an – mittlerweile sind es rund 90, die die Bergmann-Biere verkaufen. „Eins ist zum anderen gekommen.“ Und irgendwann kommt der Kiosk in der Innenstadt dazu, um den Raphael lange kämpfen muss, bis die Stadt ihn vermietet, statt ihn abzureißen. „Dieser Kiosk ist mittlerweile ganz wichtig für Bergmann-Bier.“ 2009 eröffnet er eine eigene Brauerei in einer ehemaligen Lagerhalle im Dortmunder Hafen. Das Kapital stammt von 30 Investoren, an die Genussscheine ausgegeben wurden. Aber die ist irgendwann zu klein, zumal es mittlerweile sieben verschiedene Bergmann-Biere „Deshalb ziehen wir jetzt um“, sagt Raphael. Vom Hafen ins Gewerbe- und Industriegebiet Phoenix-West. Bis zu 5000 Hektoliter sollen ab 2017 jährlich dort gebraut werden.
Das sind Dimensionen, von den Jens Neffin derzeit noch weit entfernt ist. Obwohl er das in der Region bekannte Forsthaus Löhen gekauft hat, das demnächst gastronomischer Anziehungspunkt für die Iserlohner werden soll – natürlich mit dem „Danztürmchen“ im Ausschank. „Aber erst einmal ist es wichtig, die derzeitigen Engpässe beim Bier zu beseitigen“, sagt der gelernte Betriebswirt.
„Man muss ein Gefühl für die Mengen kriegen“, wissen Jonas Wanke und Alexander Lange aus Mülheim. Sie sprechen aus Erfahrung. Sie haben ihrer Heimatstadt 2009 ein Bier namens „Mölmsch“ zurückgebracht, das bis in die 1990er-Jahre in Mülheim gebraut wurde. Nun kommt es zwar aus Lohnbrauereien in anderen Städten, der Beliebtheit tut das aber keinen Abbruch. Auch acht Jahre nach Neugründung können die beiden 34-Jährigen „vom Bierbrauen leben“. Und sie wissen: „Der Erfolg hat ganz viel mit Lokalpatriotismus zu tun.“
Zwei Millionen Euro investiert
Dirk Link nickt. Vor Jahren hat er in Bochum der Traditionsmarke Schlegel-Bier neues Leben eingehaucht. „Ich glaube, es gibt keinen Bochumer, dem zu Schlegel nicht irgendein alter Werbespruch einfällt“, sagt Link. „Das hilft bei der Vermarktung.“
Auch bei Bergmann setzen sie weiter auf Tradition und lokalen Stolz. „Rund zwei Millionen Euro“ werde man investieren, sagt Raphael und hofft, dass er weiterhin so ruhig schlafen kann wie bisher. Als die Brauerei eher „ein Spaß“ statt Lebensunterhalt war. Und Raphael keinen Lohn, sondern eine „Aufwandsentschädigung“ bekam. „Nein“, sagt der 58-jährige Geschäftsführer, „ich hätte nicht gedacht, dass das mal solche Dimensionen annimmt.“ Schon weil er bis vor zehn Jahren nicht mal daran gedacht hat, Bier zu brauen. „Eigentlich“, sagt Raphael, „wollte ich mir immer einen Weinberg kaufen.“