Essen/Duisburg. In Duisburg ertrinkt ein 13-Jähriger, der nicht schwimmen kann. 45 Prozent der Grundschüler in Deutschland können nicht richtig schwimmen. Gleichzeitig werden immer mehr Bäder geschlossen und ein Großteil des Schwimmunterrichts geht für An- und Abreise zum Schwimmbad drauf.

Die Sonne scheint, und der Rhein lädt zum Entspannen ein. Die Duisburger spazieren am Ufer und winken den vorbeifahrenden Schiffen zu. Auch im Rheinpark. An jener Stelle, an der vor knapp zwei Wochen ein 13-jähriger Junge in den Fluss gestürzt ist. Seit Samstag ist gewiss, was ohnehin klar schien: Das Kind ist tot. Die Leiche wurde, wie berichtet, unweit der Unglücksstelle in einem Hafenbecken gefunden. Ein Freund hatte den Jungen offenbar aus Übermut ins Wasser geschubst, er konnte nicht schwimmen.

Seit diesem tragischen Vorfall fragen sich viele, warum ein 13-Jähriger in Deutschland nicht schwimmen kann? Schließlich ist Schwimmen Bestandteil des Sportunterrichts. Der Duisburger ist aber bei weitem kein Einzelfall: 45 Prozent der Viertklässler in Deutschland können nicht sicher schwimmen, knapp ein Viertel hat nicht einmal das Schwimmabzeichen „Seepferdchen“. Das ist zumindest das Ergebnis einer Umfrage der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) von 2010.

Genau so sieht es auch beim Schwimmunterricht einer zufällig ausgewählten dritten Klasse aus Neukirchen-Vluyn aus: Während einige Schüler sicher ihre Bahnen ziehen, spielen andere im Nichtschwimmerbecken. Bevor es soweit ist, steht auch noch der Weg zum Schwimmbad an. Und genau das ist häufig auch schon ein wesentlicher Grund für die schlechten Schwimmfähigkeiten vieler Schüler...

Lange Wege von der Schule zum Schwimmbad

Luis schultert seine Tasche und steigt in den Bus. Der Neunjährige ist zusammen mit seinen Klassenkameraden auf dem Weg zum Schwimmunterricht. Eine Doppelstunde haben sie dafür Zeit. Zumindest steht es so auf dem Stundenplan. Aber An- und Abreise dauern jeweils fünf bis zehn Minuten. Abzüglich der Zeit, die sie dafür brauchen, sich umzuziehen und zu duschen, bleiben noch rund 50 Minuten im Wasser. Immerhin. Viele Schulen in Nordrhein-Westfalen haben einen längeren Anreiseweg zum Schwimmbad und deshalb deutlich weniger Zeit, den Kindern das Schwimmen beizubringen.

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Konsequenz: Schüler wie Luis üben Hechtsprünge, tauchen nach Ringen, kraulen vor- und rückwärts. Andere Schüler hopsen im flachen Wasser auf und ab, spielen mit einem Ball. „Wir werden in drei Gruppen aufgeteilt. Nämlich in Nichtschwimmer, Schwimmer und gute Schwimmer“, sagt Luis und wischt sich das Wasser aus dem Gesicht. Die Lehrer versuchen, so gut es geht und so vielen wie möglich Basisbewegungen zu vermitteln: Bäuchlings auf dem Hallenboden, in kreisförmigen Bewegungen die Luft wegdrücken. Einmal in der Woche und das in weniger als einer Stunde. Schwimmen lernen wird so sehr schwierig.

Zwei Jahre Wartezeit für Platz im Schwimmkurs

Luis konnte schon schwimmen, bevor er eingeschult wurde, seine Eltern haben es ihm beigebracht. Wer sich aber am Ende der Grundschule nicht sicher im Becken bewegen kann, der werde auf der weiterführenden Schule große Probleme haben, weiß Peter Ohms, Sportlehrer an einem Moerser Gymnasium: „Es gibt immer weniger Lehrbecken und qualifizierte Kollegen, um den Kindern das Schwimmen beizubringen. Schwimmunterricht hat überhaupt keinen Stellenwert mehr“, ärgert sich Ohms. Er glaubt, dass Kinder, die nicht außerhalb der Schule das Schwimmen lernen, kaum eine Chance haben, es überhaupt zu lernen.

Die Städte Oberhausen, Duisburg, Dorsten und Mülheim bestätigen jedenfalls, dass sie in den zurückliegenden Jahren Bäder schließen mussten. In vielen anderen Städten mit klammen Kassen sieht es nicht anders aus.

Dieses Problem ist auch dem DLRG-NRW sehr wohl bekannt. Auch der Verband hat zunehmend Schwierigkeiten, ausreichend Bec­kenzeiten in den Schwimmbädern zu bekommen. Schon jetzt muss man auf einen Platz in einem Anfänger-Schwimmkurs bei der DLRG bis zu zwei Jahre warten. Ähnlich sieht es auch bei anderen Anbietern aus.

Ganz so lange müssen Luis und seine Freunde nicht warten. Nächste Woche wartet wieder der Bus vor der Schule. Wenn alle Lehrer da sind und der Verkehr fließt, dann bleiben den Schülern wieder rund 50 Minuten. Vielleicht schafft es ja dann noch einer aus dem Spiel- ins Schwimmbecken.