Werne/Rheinberg.. Amazon ist bei den Kunden beliebt - aber bei Gewerkschaftern und vielen Beschäftigten verpönt. Sie kritisieren vor allem den Druck in den Betrieben - auch an den Logistikzentren in Rheinberg und Werne. Jetzt geht Verdi auf die Mitarbeiter zu.
Der Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen beim Internethändler Amazon wächst. An den beiden Logistik-Standorten in NRW, Werne und Rheinberg, haben die Beschäftigten die Gewerkschaft Verdi gebeten, ihnen bei der Gründung eines Betriebsrates zu helfen. „Das Problem ist, dass die Belegschaft überall so schnell ausgetauscht wird und viele Stellen nur befristet sind“, so Verdi-Gewerkschaftssekretärin Sabine Busch, die am Mittwoch wieder Flugblätter vor dem Werk in Rheinberg verteilte. Neben dem fehlenden Respekt kritisieren Gewerkschafter und Mitarbeiter vor allem die Arbeitszeiten und dass kurzfristig Mehrarbeit angeordnet werde, ohne dass irgendein Mitspracherecht bestehe. „Das ist extrem dort“, sagt Busch.
Amazon geht davon aus, bis 2014 jeweils 1000 langfristige Mitarbeiter zu haben. „Dazu kommen zur saisonalen Unterstützung langfristig bis zu weiteren 2000 Mitarbeiter pro Standort“, sagt Verdi-Sprecherin Christine Höger.
Für das Weihnachtsgeschäft werden bereits die ersten befristeten Stellen vergeben. Nach dem öffentlichen Protest im Vorjahr, der bis in den Landtag reichte, dieses Mal jedoch ohne die vorgeschalteten unbezahlten Praktika.
Schlechte Zeiten
Der Dortmunder Klaus Schäfer* (*Name geändert) war einer der Männer der ersten Stunde. Einer, der dabei war, als der Internethändler Amazon in Werne (Kreis Unna) im Jahr 2010 sein neues Logistikzentrum aufbaute. Euphorie? Aufbruchstimmung? Mitnichten. „Ständig gab es Druck. Wir mussten nur rennen, rennen, rennen. Und vor Weihnachten sollten wir alle zwei Wochen komplette durcharbeiten. Und wer sich beschwert hat, konnte direkt gehen. Von den 1000 Leuten, die eingestellt wurden, bekamen dann mindestens 700 am 23. Dezember die Kündigung.“ Gerne erinnert sich der 26-Jährige daher nicht an diese acht Monate zurück. „Schlechte Zeiten“, sagt Schäfer. „Das war eine Abzockerfirma bis zum Gehtnichtmehr. Und den ersten Monat musste ich umsonst arbeiten. Das ist Methode bei denen, damit verdienen die ihr Geld.“
Doch Katja Pfeifer vom Jobcenter Kreis Unna widerspricht: Zwar sei ein Bedarf von 500 Arbeitsplätzen genannt worden, doch die Probearbeiten wie im letzten Jahr gebe es nicht mehr. „Derzeit sind keine Anfragen zur Durchführung einer solchen Maßnahme gestellt worden.“ Und bei der Kürzung von Leistungen gebe es für Betroffene, die eine Arbeit bei Amazon ablehnten, keine Sonderbehandlung: „Das Verfahren wird gehandhabt wie bei anderen Stellen und Arbeitgebern auch“, betont Pfeifer. „Wenn dies nach Prüfung eine geeignete Arbeitsstelle war und sich jemand weigert, sich auf Vermittlungsvorschläge zu bewerben, bedeutet das für drei Monate 30 Prozent Sanktionen.“ Dass es zwischen Bildungsträgern und Amazon „gezielte Absprachen“ gegeben habe, sei ihr nicht bekannt.
„Ein wichtiger Arbeitgeber für Personenkreis mit niedrigem Qualifikationsniveau“
Auch Herbert Dörmann, Geschäftsführer der „Werkstatt im Kreis Unna“, weist die Vorwürfe zurück: „Der Weg ist so, dass wir angefragt werden und wir darauf hin eine Namensliste von Personen zusammenstellen, die wir für geeignet halten. Die werden dann zu Gruppenveranstaltungen über Amazon eingeladen – und wir erstatten ihnen die Fahrtkosten.“
Doch eines stehe dabei auch fest: „Für unsere Personenkreise mit einem niedrigen Qualifikationsniveau ist Amazon ein wichtiger Arbeitgeber. Und außerdem: Bei einer Vergütung von knapp unter zehn Euro sind das nicht die schlechtesten Arbeitsplätze.“
Es ist jedoch nicht die Bezahlung , gegen die sich immer mehr Protest richtet, sondern vor allem das Klima und wie mit den Beschäftigten umgegangen wird. Darin sind sich die Mitarbeiter, die ihre Erfahrungen in Internet-Foren wie amazon-verdi.de austauschen, einig. „Das Schlimmste ist der fehlende Respekt“, sagt die Verdi-Gewerkschaftssekretärin für den Bereich Handel, Sabine Busch. „Dass die Menschen rein auf ihre Arbeitskraft reduziert und nur die betrieblichen Dinge gesehen werden.“ Gestern verteilte Verdi vor den Werkstoren in Rheinberg daher wieder Flugblätter rund informierte die Beschäftigten über eine bevorstehende Mitgliederversammlung am Sonntag. Das Ziel: die Möglichkeit auszuloten, einen Betriebsrat zu gründen.
Demjenigen, der die Zahlen nicht schafft, droht die Kündigung
Auch im Kreis Unna rührt sich hinter den Kulissen Protest. „Amazon spielt mit der Angst der Menschen, gerade mit den Leuten die nur einen Zeitvertrag haben. Man droht ihnen mit Kündigung, wenn sie ihre Zahlen nicht schaffen. Wenn jemand gerade aus Hartz IV gekommen ist und jetzt ein wenig Geld verdient, der möchte seinen Job nicht gleich wieder verlieren“, schreibt ein Mitarbeiter, der unter dem Namen „Malocher12“ die Kollegen aus Werne zum Protest aufruft. „Und das ist ja das Perfide an der Situation. Amazon weiß das und setzt diese Leute gezielt unter Druck. Dieser ganzen Situation können wir nur beikommen, indem wir uns organisieren und Amazon jetzt mal die Daumenschrauben anlegen.“
Und ein Mitarbeiter mit dem Namen „Werne Aktiv“ bestätigt am 30. August: „Ja, da kann ich nur zustimmen. Nur zusammen sind wir stark, und das weiß auch Amazon und versucht natürlich, dagegenzusteuern. Aber lasst euch deswegen keine Angst machen, den für alle gilt das Deutsche Arbeitgeberschutzgesetz. Nur wir müssen es durchsetzen.“
Der Dortmunder Klaus Schäfer jedoch muss sich an diesen Protest-Aktionen nicht mehr beteiligen: Er hat nach acht Monaten selbst gekündigt und inzwischen Arbeit in einem Stahlwerk im Ruhrgebiet gefunden. „Da gibt es geregelte Arbeitszeiten, und ich konnte direkt anfangen“, schildert er. „Ohne unbezahltes Praktikum.“