Tilburg. In den Niederlanden fordert die Eventbranche vehement ihre vollständige Öffnung. Der Schaden sei bereits groß, sicheres Feiern wieder möglich.
Die Coronapandemie hat das Nachtleben und der Eventsektor in den Niederlanden fest im Griff. Während einige Großevents bereits unter bestimmten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden dürfen, bleiben Clubs und Diskotheken dicht. Journalist und Hochschuldozent Mark van Bergen von der Fontys Academy for Creative Industries in Tilburg erklärt im Interview, warum sich dagegen immer mehr Protest formiert und er die Clubkultur von der Politik nicht genügend gewürdigt sieht.
Die Niederlande sind für ihre Festival- und Clubszene bekannt. Warum ist die Branche für das Land so wichtig?
Auch in Deutschland, etwa in Berlin, ist die Clubkultur sehr wichtig. Was Festivals betrifft, haben wir in den Niederlanden eine lange Historie. Damit haben wir international eine bestimmte Stellung eingenommen, die sehr angesehen ist. Es gibt viele bekannte DJs und Produzenten, die durch Corona ihre Arbeit verloren haben. Wir erleben einen „Brain-Drain“ von Fachpersonal, das anderweitig Arbeit sucht. Gerade Selbstständige sind für diese Branche enorm wichtig. Und ich habe noch gar nicht die große Anzahl Menschen angesprochen, die normalerweise zu den Festivals kommt.
Sie unterstützen die Proteste der Bewegung „Unmute Us“, die für eine Öffnung des Nachtlebens und des gesamten Eventsektors unter bestimmten Sicherheitsbedingungen demonstriert. Die Initiatoren beklagen unter anderem, dass die Politik beim Öffnen mit zweierlei Maß messe. Was ist damit gemeint?
Das beste Beispiel dafür ist das Formel-1-Rennen in Zandvoort, das stattfinden konnte. Das konnten viele Menschen aus der Event- und Festivalbranche nur schwer nachvollziehen. Die Bilder von Massen haben bewiesen, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Monatelang durften keine Events und Festivals stattfinden und dann das. Das tut der Festivalbranche enorm weh. Wir sind nicht gegen die Formel 1, aber es sollte kein „Entweder oder“ sondern ein „sowohl als auch“ bei Events sein.
Nachdem bei den vorschnellen Lockerungen im Juni die Infektionszahlen rasant in die Höhe schossen, musste das Nachleben erstmal wieder dichtmachen. Inzwischen dürfen größere Events, wie auch das Rennen in Zandvoort oder Fußballspiele, wieder stattfinden. Die Regierung und Fachleute verteidigen diese Entscheidung damit, dass bei diesen Veranstaltungen eine Sitzplatzpflicht gilt – im Gegensatz zu mehrtägigen Festivals. Dieses Argument will „Unmute Us“ nicht gelten lassen?
Nein. Zudem sind wir der Meinung, dass sichere Festivals möglich sind. Das wurde auch bei den sogenannten Fieldlab-Testevents im Frühjahr nachgewiesen. Es wurde aber ein großer Fehler gemacht: Dass das Nachtleben im Juni zu schnell und zu enthusiastisch wieder geöffnet wurde, als noch viele Jüngere nicht geimpft waren. So ist es schief gegangen. Hätte die Regierung noch ein paar Wochen damit gewartet, dann könnten wir inzwischen schon wieder Tanzen. Und die Regierung hat nicht alle wissenschaftlichen Empfehlungen bei den Lockerungen umgesetzt.
Wie zum Beispiel?
Ein sehr wichtiges Beispiel sind die Zugangstests. Das beratende OMT-Gremium hatte der Regierung vor den Lockerungen im Juni empfohlen, dass Zugangstests für Clubs und Events maximal 24 Stunden alt sein dürfen. Am Ende hat das Kabinett 40 Stunden daraus gemacht. Es gab auch die Empfehlung, beim Öffnen der Branche zuerst Außenevents zuzulassen und dann erst die Clubs. Das wurde auch nicht übernommen.
Aber hatte das nicht auch mit den Forderungen aus Ihrer Branche nach einem möglichst leichten Zugang zu Events zu tun?
Das kann sein, dass manche das gefordert haben. Aber es geht darum, dass die Regierung eine falsche Entscheidung getroffen hat – die gegen die wissenschaftliche Empfehlung war. Das war ein großer Fehler.
Wie standen Sie denn zu den frühen Öffnungen im Juni, die sich für viele als überraschend fatal herausgestellt haben?
Ich war natürlich froh, dass wir wieder ausgehen konnten. In diesem Moment denkt man, dass die Regierung die richtige Entscheidung trifft. Ich fand aber auch, dass es damals sehr schnell ging und war überrascht. Aber die Zahlen waren auch niedrig. Danach, als es schief gegangen war, zeigte sich dann: Es wurden doch Fehler gemacht.
Wie ist die Lage nun, sollte denn Ihrer Meinung nach - wenn doch so viele Fehler gemacht wurden - schon jetzt alles wieder öffnen?
Nun sind wir an einem Punkt, an dem die Zahlen wieder deutlich gesunken sind. „Unmute Us“ hätte gerne zum 1. September alle Events und Clubs wieder geöffnet. Aber: auf eine sichere Art und Weise. Nämlich mit nur kurzzeitig gültigen Tests, Kontrolle von QR-Codes, Ventilatoren. Die Organisatoren denken, dass das wieder möglich ist. Mit den Regeln, die das OMT schon vor den Öffnungen im Juni empfohlen hat. Aber was auch kommt, die Festivalsaison ist vorbei. Sie ist nicht mehr zu retten.
Wie steht es um die finanzielle Unterstützung für die Branche seitens der Regierung?
Die wird auch gestoppt. Das geht eigentlich nicht. Der Sektor ist noch nicht wieder voll geöffnet und hat deshalb Unterstützung nötig. Doch die Regierung sieht das anders. Es wird aber nach weiterer Unterstützung für Sektoren gesucht, die noch nicht wieder ganz offen sind. Aber der Fakt, dass allgemein das Signal gegeben wurde, mit der Unterstützung zu stoppen, war ein weiteres Zeichen mangelnden Respekts für unsere Branche.
Liegt das daran, dass der Wert der Club- und Festivalkultur für die Gesellschaft unterschätzt wird?
Es wird nur unzureichend gewürdigt, wie wichtig dieser Sektor ist – vor allem für junge Menschen. Das hat wahrscheinlich mit dem Gedanken zu tun: „Das ist ja nur Ausgehen, nur Nachtleben. Da steckt keine Kunst dahinter“. Die Auswirkungen kommen nun ans Licht: Immer mehr junge Erwachsene haben im Laufe der Pandemie mentale Probleme bekommen. Natürlich auch, weil sie nicht in die Schulen und Universitäten konnten. Aber das Ausgehen ist genauso wichtig für Menschen. Und es hat einen großen ökonomischen Wert. Nicht nur für die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten. Auch für jene, die dort freie Zeit verbringen und sich so erholen, um im ökonomischen System zu arbeiten. Ich stehe für diesen Sektor ein, weil ich weiß, dass das genauso wichtig ist für die Gesellschaft wie Theater oder die Philharmonie.