Düsseldorf. Bei einer Razzia gegen Clankriminalität sind 31 Objekte in NRW durchsucht worden, darunter auch Wohnungen im Ruhrgebiet und am Niederrhein.

Dass ihm die Clan-Kriminalität einmal so nahekommen würde, hätte Herbert Reul vermutlich selbst nicht gedacht. Der NRW-Innenminister wohnt gerade einmal zehn Kilometer entfernt von jener Villa im beschaulichen Leverkusen-Rheindorf, die am frühen Dienstagmorgen zum Schauplatz des wohl größten Schlags gegen bandenmäßig organisierte Großfamilien seit Jahren wurde. Die Vorbereitung des Einsatzes war von der „Task Force Clan-Kriminalität“ des Landeskriminalamtes (LKA) und der Justiz so strikt geheim gehalten worden, dass selbst die Spitze des Innenministeriums erst spät ins Vertrauen gezogen wurde.

Stattliches Clan-Anwesen in Rheinnähe

Gegen 6 Uhr in der Früh rammte ein Panzerfahrzeug der Polizei das stattliche Tor zur Auffahrt des Clan-Anwesens in Rheinnähe. Spezialkräfte sprengten die Eingangstür. Ein Großaufgebot durchkämmte den großzügigen Klinkerbau und suchte den Garten mit Hunden und Spezialsensoren nach Banknoten und Drogen ab. Auf Anhieb fanden die Einsatzkräfte 335.000 Euro Bargeld, Schmuck und Uhren. Ein 46-jähriger Mann, dessen 42-jährige Ehefrau und die beiden Söhne (24/28) wurden verhaftet. Parallel durchsuchten LKA sowie die Polizei und Staatsanwaltschaft aus Düsseldorf in mehreren Städten – unter anderem in Bochum, Essen und Duisburg - 31 weitere Wohnungen, Büros und Geschäfte. Insgesamt waren 600 Einsatzkräfte auf den Beinen.

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Schnell sickerte durch, wem der große Aufwand gegolten haben soll: dem berühmt-berüchtigten libanesischen Al-Zein-Clan. Dessen Oberhaupt geistert als „Pate von Berlin“ bereits seit Jahrzehnten durch die Medien. Bei dem nun in Leverkusen festgenommenen Mann soll es sich um die Nummer zwei des weit verzweigten Al-Zein-Clans handeln. „Das ist heute ein Schlag gegen die erste Liga der Clan-Kriminalität“, sagte Reul. Der inhaftierte Hauptbeschuldigte sei einer „der absoluten Top-Leute“ der Familienbande. Die Palette der Vorwürfe: Bandenmäßiger Betrug, Sozialhilfebetrug, Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Schutzgelderpressung, Körperverletzung.

LKA: Großeinsatz über zwei Jahre vorbereitet

LKA-Kriminaldirektor Thomas Jungbluth, ein bundesweit anerkannter Spezialist im Kampf gegen die Clans, erklärte, wie penibel der Großeinsatz über zwei Jahre vorbereitet wurde. Wie immer stand am Anfang die Aufforderung an jeden Ermittler: Folge der Spur des Geldes. Es musste rekonstruiert werden, wie die staatenlose und damit nicht abschiebbare Familie Sozialleistungen beziehen und trotzdem in einer Villa wohnen konnte. Man stieß auf hinterzogene Sozialleistungen von allein über 400.000 Euro und ein Konglomerat an kriminellen Firmen, Geldquellen und Investitionen. Die Einsatzleiterin Heike Schultz sprach von einer „Parallelwelt“ mit 30 Beschuldigten, in der nicht das Recht das Staates gegolten habe, sondern das der Familie.

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Reul kündigte an, dass die Ermittler noch am Dienstagmittag die Löschung des Clan-Namens aus dem Grundbucheintrag für die Villa veranlassen wollten. Solche Symbole sind dem Innenminister offenbar wichtig: „Wir haben nicht nur ein hochkarätiges Clan-Mitglied festgenommen, sondern ihm auch noch sein Zuhause weggenommen“, sagte Reul martialisch. Wenn das nicht zeige, „wie durchsetzungsstark der Rechtsstaat ist, dann weiß ich es auch nicht mehr“.

„Tiefer in den Sumpf und die Schattenwelt der Clans“

Mit jedem Schlag dringe man „tiefer in den kriminellen Sumpf und die Schattenwelt der Clans ein“, so der Innenminister. Die Genugtuung war ihm anzumerken. Als Reul 2017 mit seiner harten Linie gegen die türkisch-arabischstämmigen Clans in NRW begann, kritisierte mancher noch seine Großrazzien in Diskos und Shisha-Bars als Showveranstaltungen. „Heute“, bilanzierte er deshalb, „ging es um mehr als unversteuerten Tabak“.