An Rhein und Ruhr. Die meisten Autobahnbrücken in NRW werden nur auf Sicht geprüft. Laut Autobahn GmbH reicht dies. Warum – das erklärt Brückenprüfer Günter Bohg.
Ohne Taschenlampe läuft bei Günter Bohgs nichts, wenn er sich an die Arbeit macht. Seit 26 Jahren prüft Günter Bohgs die Autobahnbrücken im Rheinland. Und ohne gutes Licht und eine gute Sicht geht da gar nichts – egal ob eine turnusmäßige Überprüfung der A 44-Brücke bei Velbert, der Rheinbrücke in Wesel oder auch von kleinere Bachbrücken ab zwei Metern Höhe auf dem Plan steht. Günter Bohgs kontrolliert ruhig und ganz genau jede Schraube und Schweißnaht an den Bauwerken, notiert jeden Mangel. „Je nach Größe der Risslänge wird das entschieden, ob eine weitergehende Prüfung per Ultraschall notwendig ist“, erklärt er in luftiger Höhe auf einer beweglichen Plattform unter dem Stahlkoloss der A 52 Ruhrtalbrücke in Mülheim.
In etwa 65 Metern Höhe, direkt unter der Fahrbahn, schaut sich Günter Bohg an diesem Dezembermittag wohl zum letzten Mal in seinem Berufsleben die Stahlträger der Mintarder Brücke aus der Nähe an. Ende des Jahres ist für den Bauingenieur Schluss. Er geht in Rente. Unzählige Brückenprüfungen hat er dann hinter sich, im Schnitt waren es etwa 180 pro Jahr. Und das bei Wind und Wetter.
„Ein Lkw bringt soviel Last wie 100.000 Pkw“
Es rummst, es ist laut und der Wind pfeift um die Ohren. Doch Günter Bohg lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Nicht draußen und auch nicht drinnen. In den Brückenpfeilern ist jeder Lkw noch deutlicher zu hören. Der Kontrolleur weiß: Die Brücke leidet mit jedem Lkw, der darüber fährt ein Stück mehr. „Ein Lkw bringt soviel Last wie 100.000 Pkw“, sagt Günter Bohg.
3500 Brücken gehören zum Einzugsgebiet der Autobahn GmbH Rheinland. Diese werden von einem 18-köpfigen Team, die sich in fünf Brückenprüftrupps aufteilen, regelmäßig kontrolliert – zumeist turnusgemäß alle sechs Jahre. Weitere drei Jahre später gibt es eine kleinere Nachuntersuchung. Je nach Größe der Bauwerke können die Überprüfungen auch schon mal drei Monate dauer. Wenn die Brücken sehr marode sind, werden sie auch öfter geprüft.
In NRW gibt es an die 300 größere Autobahnbrücken, die vom Bund unterhalten werden. Die gute Nachricht: Die meisten der dieser Bauwerke sind laut Bewertung der Bundesanstalt für Straßenwesen in einem guten und stabilen Zustand. Viele sind aber mittlerweile 50 bis 60 Jahre alt und halten den Belastungen des steigenden Verkehrs nicht mehr auf Dauer stand. Es besteht dringender Handlungsbedarf.
70 Großbrücken müssen auf der Sauerlandlinie ersetzt werden
Allein auf der A 45 Sauerlandlinie müssen in den kommenden Jahren 70 Großbrücken ersetzt werden. Die jetzt gesperrte Talbrücke in Lüdenscheid gehört dazu. Ihr Neubau war bereits vor Jahren beschlossen worden, jetzt soll er durch ein verkürztes Planfeststellungsverfahren beschleunigt werden. Hinzu kommen acht Rheinbrücken von Duisburg bis Bonn, von denen fünf neu gebaut werden müssen. Fertig wurde in diesem Jahr nach mehrjähriger Bauzeit die Lennetalbrücke bei Hagen.
Auch interessant
Quer durchs Land verteilt, gibt es aktuell 13 Brücken, deren Bauzustand von der Bundesanstalt für Straßenwesen mit einer Note von mindestens 3,5, also als nicht ausreichend, bewertet wurde.
Dazu zählt auch die 1970 errichtete A 40 Rheinquerung in Duisburg-Neuenkamp(Note: 4,0). Sie steht ständig unter Beobachtung der Prüftrupps der Autobahn GmbH. Hier dürfen seit 2018 keine 40-Tonner mehr rüber fahren, sie werden über eine Wiegeanlage rausgefischt. Seit zwei Jahren wird die Brücke parallel neu errichtet, sie soll ebenso wie der achtspurige Ausbau der A 40 zwischen Duisburg-Neuenkamp und Homberg 2026 fertig sein.
Auch der A 59 Brückenzug in Duisburg Meiderich erhielt in der Bewertung der Bundesanstalt eine 3,5. Auch hier muss neu gebaut werden, Anfang 2022 soll das Planfeststellungsverfahren für den 2,6 Kilometer langen Abschnitt eröffnet werden. 2026 soll Baubeginn sein. Zugleich soll die A59 ab Autobahnkreuz Kaiserberg über das Autobahnkreuz Duisburg-Nord (A42) bis zur Anschlussstelle Duisburg-Marxloh sechsspurig ausgebaut werden.
Weitere Autobahnbrücken in NRW, die neu gebaut werden:
A1: Rheinbrücke Leverkusen (Note: 3,5) – Baujahr 1965, einst für 40.000 Fahrzeuge pro Tag ausgelegt, ist den heutigen Belastungen, rund 112.000 Fahrzeuge pro hielt den Belastungen nicht mehr Stand. Seit 2017 wird die neue Brücke gebaut. Zuerst wird die Brücke Fahrtrichtung Trier bis Ende 2023 gebaut, danach die heutige Brücke zurückgebaut. Bis 2027 soll die dann achtspurige Brücke endlich fertiggestellt sind. Wegen mangelhafter Stahlbauteile aus China musste der Neubau der Leverkusener Brücke im April 2020 abgebrochen werden.
A1: Schwelmtalbrücke - in Höhe der Anschlussstellen Wuppertal/Langenfeld (Note 3,5): Der Neubau der zwei 1959 und 1960 errichteten inneren Teilbauwerke läuft und soll Mitte 2023 fertig sein. Die Schwelmtalbrücke überspannt mehrere elektrifizierte Bahngleise, öffentliche Straßen und ein Gewässer. Aufgrund der jahrzehntelangen Belastung und der starken Beanspruchung insbesondere durch den erhöhten Schwerlastverkehr ist auch sie nicht mehr ausreichend tragfähig. Lkw über 3,5 Tonnen werden bereits seit einigen Jahren nur noch über die äußeren Brückenteile geleitet.
A43: Emschertalbrücke – zwischen den Kreuzen Herne und Recklinghausen (Note 3,5). Die Stahlträger sind durch die Belastung in den vergangenen 20 Jahren mehr als 20 Zentimeter durchgebogen. Hier dürfen keine Fahrzeuge mehr über 3,5 Tonnen drüber fahren. Bis 2025 soll die 1965 erbaute Brücke saniert sein.
„Die Brücken sind besser als ihr Ruf“
Auch die A 52-Ruhrtalbrücke soll erneuert werden. Baubeginn wird wohl 2025 sein, mit der Fertigstellung wird nicht vor 2030 gerechnet. Die Brücke zählt auch heute noch zu den wichtigsten Brückenbauprojekten Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. 1966 fertiggestellt, ist sie mit ihren 1,8 Kilometern die längste Stahlbrücke in Deutschlands. Sie ruht auf 18 Hohlpfeilern. „Heute würde man so nicht mehr bauen. Die neuen Brücken werden meistens aus zwei Brückenteilen zusammengesetzt, je eine pro Fahrtrichtung“, erklärt Günter Bohg.
Geprüft werden die Brücken immer zunächst auf Sicht: „Risse erkennt man oft, weil sich oft Rostfäden bilden“, erklärt Günter Bohg. Er ist aus seiner langjährigen Erfahrung davon überzeugt, dass sich dieses Verfahren bewährt hat und nach wie vor zunächst ausreicht, um Schäden festzustellen. Nicht bei jeder Kontrolle sei die moderne, aber auch aufwendigere Laser-Prüfung notwendig. Wenn auffälligere Schäden bei der Sicht festgestellt werden, würden sofort weitere Untersuchungen eingeleitet.
Immer mehr gesperrte Hauptverkehrsadern
Dies sieht auch Klaus Albrecht so. Der Projektleiter der Bauwerks-Erhaltung bei der Autobahn GmbH Rheinland koordiniert die Brücken-Prüfungen im Rheinland. Allerdings sagt er auch, dass man nach dem Fall der Rahmede-Talbrücke nun alle Brücken, die eine ähnlich filigrane Stahlkonstruktion haben, mit Laser überprüfen will. Viele seien das aber nicht, „vielleicht eine Handvoll.“
Verkehrsforscher Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen kritisierte jüngst im WDR, dass das Laser-Verfahren nicht längst mehr zum Einsatz kommt. „Man kann mit bloßem Auge prüfen, aber die modernen Methoden lassen einen besseren Blick zu“, meint er. Die Autobahn-Brücken in NRW seien insgesamt in keinem guten Zustand. Die Lage sei „zum Teil dramatisch.“ Immer mehr Haupt-Verkehrsradern müssten gesperrt werden, „insbesondere für den Lkw-Verkehr.“ Für den Forscher ist klar: Es wurde zu wenig in ihren Erhalt investiert. Auch der zunehmende Verkehr, besonders die vielen Lastwagen, trage zur Abnutzung bei.
Ganz so schwarz sieht es Günter Bohg nicht. „Die Brücken sind besser als ihr Ruf“, sagt er. Ob er Recht behält, werden die kommenden Jahr zeigen. Einen Nachfolger für ihn gibt es noch nicht. „Wir suchen dringend Bauingenieure für die Brückenprüfungen“, sagt Klaus Albrecht. Sie sollten fünf Jahre an Erfahrung mitbringen. Doch Bewerber sind rar. „Dabei“, so sagt Günter Bohg, „ist es doch ein besonderer Job.“ Einer mit einer hohen Verantwortung und oftmals einer schönen Aussicht - so hoch oben in luftiger Höhe.