Essen. Über mehrere Monate lang hatten sie in Essen ihren Vierjährigen misshandelt. Jetzt müssen die Eltern in Haft.

Bedauern hatte im letzten Wort zumindest Jamila G., Mutter des Opfers, geäußert. Aber das änderte nichts daran, dass die 36-Jährige die aktive Kraft bei der Misshandlung ihres vier Jahre alten Sohnes war. Vier Jahre und neun Monate muss sie ins Gefängnis, entschied am Montag die V. Essener Strafkammer.

Im Gegensatz zu ihr hatte Ehemann Muslihuddin G. jede Verantwortung abgelehnt. Das Gericht verurteilte den 39-Jährigen aber wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen zu drei Jahren und sechs Monaten Haft. Seine Pflicht sei es gewesen, seine Ehefrau zu stoppen, als er die Misshandlungen bemerkt hatte.

Vater rief das Jugendamt an

Immerhin hatte er seinem Sohn weitere Schmerzen, vielleicht sogar den Tod erspart, als er am 16. Juni 2020 bei der "Flexiblen Hilfe" des Jugendamtes angerufen hatte. Er bat sie, die Misshandlungen zu stoppen.

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Zuvor hatte die Mutter den gemeinsamen Sohn geschlagen, mit heißem Wasser verbrüht, ihm eine Schere in den Mund gesteckt sowie ihn am Hals gepackt und in die Höhe gereckt, dass er keine Luft bekam. Ein Martyrium seit September 2019, zuletzt fast täglich. Blutergüsse, Rippenbrüche, Schnittverletzungen und zwei gebrochene Mittelfußknochen sind nur einige der Folgen. 

Gericht sieht keine Überforderung der Mutter

Jamila G. hatte am 31. März zum Prozessauftakt ihre Gewaltausbrüche gegen das Kind mit "Überforderung" zu erklären versucht. Das nahm die Kammer ihr nicht ab. Richter Volker Uhlenbrock nannte in der Urteilsbegründung die Enttäuschung der Mutter als Motiv. Sie habe es nicht verwinden können, dass der Vierjährige sie nicht akzeptiert habe.

Dabei sei dieses Verhalten nur verständlich. Denn die aus dem Bildungsbürgertum in Afghanistan stammende Familie hatte das Land 2015 mit mehreren Kinder verlassen. Ihr Neugeborenes ließen die Eltern zunächst zurück. Es wuchs in der Familie der Oma mütterlicherseits auf.

Hilfsangebote des Jugendamtes genutzt

Nach einem Jahr im Flüchtlingsheim hatte die Familie eine Wohnung in Essen bezogen. Der Mann ging arbeiten, seine Mutter half der Schwiegertochter im Haushalt und bei der Betreuung der Kinder. Die Familie bekam Unterstützung durch das Jugendamt und suchte Ärzte auf. Uhlenbrock: "Sie kannte die Hilfsangebote und nutzte sie."

2019 holten sie den jetzt Vierjährigen in Afghanistan ab. Doch der Junge wollte nicht mit. "Was ist das für eine komische Frau?", sagte er über seine Mutter. Er musste mit. "Mit zu für ihn wildfremden Menschen in einem ebenso fremden Land", erinnerte der Richter.

Geschwister sollten den Bruder auch schlagen

Kein Wunder also, dass er die Mutter und die Familie abgelehnt hatte. Verstärkt wurde diese negative Einstellung sicher durch die Aufforderung der Mutter an seine Geschwister, den Bruder auch zu schlagen.

Die Angeklagte hatte sich als "impulsiv" bezeichnet. Ihr Mann soll mal gesagt haben, seine Frau sei "völlig verrückt". Psychiater Sven Kutscher hatte die 36-Jährige untersucht. Ihm gilt sie als voll schuldfähig, er fand keine Hinweise auf eine psychische Erkrankung. Das Gericht schloss sich ihm an.

Kammer lehnt Haftbefehl ab

Den von Staatsanwalt Rainer Kock beantragten Haftbefehl lehnte das Gericht ab. Es sieht keine Fluchtgefahr. Alle Kinder wurden im Sommer 2020 durch das Jugendamt aus der Familie genommen und in Einrichtungen untergebracht.