An Rhein und Ruhr. Das Ende für Abellio wird im Januar zu Problemen im Nahverkehr führen, so der Betriebsratschef. Trotzdem stehen die Zeichen auf Abschied.
„Es wird mehr als nur ruckeln“, sagt Jürgen Lapp: Der Betriebsratschef von Abellio rechnet damit, dass im Januar bereits zahlreiche Züge des Hagener Unternehmens nicht mehr rollen werden. Das würde Ausfälle unter anderem im S-Bahnnetz, beim RE19 am Niederrhein und beim RRX bedeuten. Grund: Die mehr als 1000 Mitarbeiter von Abellio müssen vor der Zerschlagung des Unternehmens alle noch ihre Resturlaube und Überstunden nehmen.
Und ungewiss ist auch, ob die Abellio-Nachfolgeunternehmen bei ihren Plänen auf die Belegschaft von Abellio bauen können. „Sicher, viele haben hier ihre Familien, haben ihr Häuschen und ihre Wohnung, die wollen auch weiter in der Region bleiben“, sagt Jürgen Lapp, Betriebsratsvorsitzender der Abellio. Auf der anderen Seite ist vor allem der Lokführerberuf ein Mangelberuf: Die Frauen und Männer aus dem Führerstand werden mit Handkuss genommen: Bei Zeitarbeitsfirmen, bei der DB im Fernverkehr, vielleicht auch bei der Niag oder Duisport, aber eben nicht unbedingt bei Transdev Netinera, DB Regio oder NationalExpress, die als Nachfolger auf den Abellio-Strecken im Gespräch sind.
„Ich habe mich damals bewusst für dieses Unternehmen entschieden, ich konnte es mir ja aussuchen,“ Und er und seine Mitarbeiter, „wir arbeiten bis jetzt alle hochmotiviert für unsere Firma. Bis heute ist noch kein Zug ausgefallen, weil die Leute nicht mehr kommen, obwohl wir seit mehr als drei Monaten im Schutzschirmverfahren sind“, so Lapp. Der 60-Jährige hat selbst erst vor fünf Jahren angefangen, bei dem Unternehmen zu arbeiten, auf dass er immer noch nichts kommen lässt.
„Erbringung der Verkehre bis Ende Januar schwierig bis unmöglich“
Die rund 1080 Beschäftigten haben ihn angespornt, noch einmal alles zu versuchen, Abellio zu erhalten, erzählt er. Er habe deswegen noch einmal einen offenen Brief an Ministerpräsidenten Wüst und Verkehrsministerin Brandes geschrieben, damit Abellio nicht vom Markt verschwindet und zerschlagen wird.
Egal welches Unternehmen dann mit einer Vorlaufzeit von nur gut acht Wochen (minus Weihnachten und Jahreswechsel) in die Bresche springt: Es wird ruckeln am 1. Februar. Zwar gehören die Züge entweder dem VRR (RRX, S-Bahn und einige Regionalbahnlinien) oder einem Leasinggeber und auch die Betriebshöfe in Duisburg, Hagen und Remscheid sind durch den VRR grundbuchlich gesichert, heißt es. Auch das liest sich bei Abellio etwas anders: dort will man die Betriebshöfe meistbietend versteigern und droht auch ganz unverhohlen mit Betriebsstörungen: „Es besteht das sehr konkrete Risiko, dass die Belegschaft sehr kurzfristig Abellio verlässt, nachdem Überstunden und Urlaub abgebaut wurden und die Erbringung der Verkehre bis Ende Januar schwierig bis unmöglich wird.“
VRR ruft Abellio auf, Übergang von Personal aktiv zu unterstützen
Als Reaktion auf die VRR-Pläne hat der Abellio-Betriebsrat am Donnerstag einen offenen Brief an NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst und NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes veröffentlicht: „Uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist Angst und Bange angesichts der Schlagzeilen der vergangenen Tage“, heißt es darin. „Eindrücklich“ bitte man das Land NRW, den 1080 Abellio-Abellio „eine Zukunft“ zu geben, in dem das Land darauf einwirke, dass Abellio die Strecken in seinem Netz im VRR weiter betreiben könnte, die für das Unternehmen noch auskömmlich seien: „Fünf Wochen vor dem Weihnachtsfest wissen die Kolleginnen und Kollegen noch immer nicht, wie es für sie im neuen Jahr weitergeht“, heißt es in dem auf Mittwoch datierten Schreiben.
Die drei Verkehrsverbünde bemühten sich am Donnerstag, die Abellio-Belegschaft zu beruhigen: „„Uns ist es daher umso wichtiger, diesen hochqualifizierten Fachkräften zu sagen, dass sie mit ihren Fähigkeiten auch in Zukunft gebraucht werden, um die Verkehre auf den derzeit von Abellio betriebenen Linien weiterhin in hoher Qualität zu sichern“, heißt es in der Mitteilung vom Donnerstag. Man wolle „im Rahmen der anstehenden Überleitungen an andere Eisenbahnverkehrsunternehmen auf den bislang von Abellio betriebenen Strecken den Übergang von an einem Wechsel interessiertem Personal begleiten und unterstützen“, teilen die Verkehrsverbünde mit. Abellio sei nun „dazu aufgerufen, einen solchen Prozess aktiv zu unterstützen.“
Doch wenn das Aus kommt, wird auch die Unzufriedenheit wachsen, so Lapp. Und vor allem: „Wir haben noch Resturlaub und Überstunden, die in Freizeit abgegolten werden müssen.“ Bedeutet: Im Januar werden zahlreiche Mitarbeiter freinehmen können und müssen. „Das wird mehr als nur ruckeln“, sagt Lapp.
Schaden für den Steuerzahler: mehr als 400 Millionen
Auch für die Unternehmen, die dann den Betrieb übernehmen, wird es sportlich: Jedes Unternehmen hat eigene Regeln und Verfahrensweisen, die müssen die möglichen Umsteiger von Abellio erst einmal erlernen. Und dass man beim Umstieg öfter mal den Anschluss verpasst, ist eine Erfahrung, die man bei der Bahn ja nun wirklich häufiger macht.
Immerhin: Wenn Montag die politischen Gremien den Abschied von Abellio beschließen, müssen die Kommunen nicht für die deutlichen Mehrkosten aufkommen: Das Land hat eine weitgehende Kostenzusage erteilt. Denn auf rund 410 Millionen wird der Schaden beziffert, der dem VRR und damit dem Steuerzahler durch die Abellio-Pleite entsteht:
Denn wer auch immer am 1. Februar in die Verträge einsteigt, wird sich das gut bezahlen lassen. Eine „Notvergabe“ kostet halt Aufpreis. Die 380 Millionen Euro gibt es vom Land extra – das dürfte den Verantwortlichen, die am Montag über die Zukunft des Schienennahverkehrs im Land entscheiden, die Sache noch ein bisschen leichter machen: Die Kommunen, die sonst für die Mehrkosten nach dem Abellio-Aus hätten aufkommen müssen, sind damit weitgehend aus dem Schneider.
Das wird dem Gremien des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr es leichter machen, am Montag für das Ende mit Schrecken zu votieren und zu entscheiden: Ende Januar ist Schluss mit Abellio. Die Tochter der niederländischen Staatsbahn befindet sich seit Monaten im Schutzschirmverfahren und steht damit unter Insolvenzrecht.
Doch auch das letzte Angebot, das gerade noch fristgerecht am vergangenen Freitag zwei Stunden vor Mitternacht in der Zentrale in Gelsenkirchen eintrudelte, erfüllt nicht die Forderungen des VRR nach substanziellem Ausgleich für den vorzeitigen Ausstieg aus den geltenden Verkehrsverträgen beim Rhein-Ruhr-Express (RRX) und bei der S-Bahn Rhein-Ruhr.
Letztes Angebot kam nur zwei Stunden vor Fristschluss
Dass das neue Angebot erstens so spät und zweitens vier Stunden nach der Presseerklärung eintrudelte, hatte die kritische Prüfung des Pakets befeuert, bestätigte der VRR am Donnerstag. Zur Erinnerung: Abellio wollte seine Verträge weiter erfüllen, da wo sie zumindest eine schwarze Null schreiben, die beiden verlustreichsten Großverträge beim RRX und bei der S-Bahn-jedoch in zwei Jahren abgeben.
Diese hätten dann regulär neu ausgeschrieben werden können ab Dezember 2023 – zehn beziehungsweise elf Jahre vor dem geplanten Ablauf. Da der Betrieb auf diesen Linien dann deutlich teurer werden dürfte, will der VRR eine Kompensation für diese Zeit bis 2033 bzw 2034. Doch da hat Abellio nach Auffassung des VRR nicht genug nachgelegt. Zudem hat der VRR große Bedenken, dass die EU-Kommission einer Lösung zustimmt, bei der Abellio die gewinnbringenden oder zumindest verlustfreien Strecken behalten will, die großen Defizitbringer jedoch rauswirft.
Bei der Notvergabe wird es zwar noch teurer, dafür ist das Konstrukt aber rechtssicher, so die Einschätzung: Was dem VRR die Entscheidung erleichtert haben dürften: für alle Strecken haben sich Bewerber gefunden die –allerdings gegen erhebliche Aufschläge – notfallmäßig einspringen werden. In wenigen Fällen sogar mehrere.
Abellio-Linien: Nationalexpress, DB Regio und Vias haben Interesse
Nach Informationen aus Branchenkreisen wird Nationalexpress, die bereits jetzt die übrigen RRX-Linien betreiben, die beiden Linien von Abellio übernehmen.DB Regio erhält nach zweijähriger Pause das komplette S-Bahnnetz im Ruhrgebiet zurück. Vias, bislang im VRR nur von Düsseldorf über Neuss nach Grevenbroich und Bedburg/Erft sowie von Mönchengladbach nach Dalheim unterwegs, wird die S7 übernehmen – auch die Rurtalbahn, die rings um Düren aktiv ist, hat Interesse bekundet.
Die Verträge von Abellio im Überblick:
S-Bahn-Rhein-Ruhr (Laufzeit bis Ende 2034): S 2 (Dortmund-Herne-Essen/Recklinghausen), S 3 (Oberhausen-Hattingen), S 9 (Recklinghausen/Haltern-Essen-Wuppertal-Hagen), RB 32 (Dortmund-Oberhausen-Duisburg), RB 40 (Essen-Hagen), RE 49 (Wesel-Essen-Wuppertal).
RRX (Laufzeit bis Ende 2033) Linie 1 Aachen-Köln-Duisburg-Hamm, Linie 11 Düsseldorf-Essen-Dortmund-Paderborn-Kassel.
Niederrhein-Netz (bis Ende 2028) RE 19 Düsseldorf-Oberhausen-Wesel-Arnheim/Bocholt und RB 35 Gelsenkirchen-Oberhausen-Mönchengladbach.
Ruhr-Sieg-Netz (bis Ende 2034) RE 16/RB91 Essen-Hagen-Iserlohn/Siegen, RB 46 Bochum-Gelsenkirchen und (bis Ende ‘28) S 7 Wuppertal-Remscheid-Solingen.