Hätte man Wolfgang Heiden zu Beginn des Zweiten Weltkriegs prophezeit, seine Antilla, stolzes Transportschiff der Kriegsmarine, würde einmal eine Touristenattraktion – der Kapitän hätte sein Gegenüber für verrückt erklärt.
Heute kann man unter karibischer Sonne bei 30 Grad im Schatten darüber nachdenken, wie Kriegsgeschehnisse historisch einzuordnen sind. Katamarane mit weißen Großsegeln bringen Touristen von einem Pier in Palm Beach hinaus zum Wrack der Antilla, die 1941 von der eigenen Besatzung vor der Nordwestküste Arubas versenkt wurde. Die Holländer standen damals kurz davor, das Schiff aufzubringen. Den Rest des Krieges verbrachte die Mannschaft um Heiden in Gefangenschaft.
Aus einer Tiefe von 20 Metern erhebt sich die Antilla bis knapp unter die Wasseroberfläche. Der vordere Mast sticht aus intensivem Meeresblau, obendrauf hocken Pelikane. Der mächtige Rumpf hat sich zur Seite geneigt, das Deck ist oben von einer Explosion im Maschinenraum aufgerissen. Auf der Brücke wachsen Muscheln. Die Korallen bevorzugen die Geschütze.
Für die wenigen Deutschen, die Hollands Karibikinsel jedes Jahr besuchen, ist der Schnorchelausflug ein Urlaubshighlight; ein Rendezvous mit dem einstigen Größenwahn des eigenen Volkes, zehn Flugstunden fern der Heimat. Für Amerikaner dagegen, die den Großteil der jährlich 1,3 Millionen Touristen ausmachen, hat das Wrack keinen höheren Stellenwert als der Besuch auf dem Golfplatz von Oranjestad.
Ein Bier in der Hand und ein Mädchen für eine Nacht
Wie könnte es auch? Der Nordwesten der Insel, keine zwei Flugstunden von Miami entfernt, fühlt sich für Bürger der Supermacht an wie ein Teil von Florida. Die Hotels heißen Hyatt, Radisson und Marriott. Imbissketten wie McDonalds, Taco Bell und Subway machen die Illusion perfekt, die USA nie verlassen zu haben. Die Architektur ist amerikanisch, die Kassiererin im Supermarkt akzeptiert Dollar.
14 Uhr. San Nicolas im Süden. Viel ist nicht los auf der Mainstreet. Nachtclubs wie die Botica San Lucas sind noch verrammelt. Die Häuser sind mintgrün, gelb, rosa, blau, orange, weinrot – oder alles gleichzeitig. Klimaanlagen surren an den Wänden. Ein Sicherheitsbeamter der Aruba Bank schaut einer Prostituierten hinterher. Eine Ecke weiter liegt Charlie’s Bar.
Hier landet irgendwann fast jeder. Schließlich ist die Bar auf den Inselkarten als Einkehrtipp verzeichnet. Dabei gibt es hier viel mehr als gute Steaks: Der mit Krimskrams bis unter die Decke vollgestopfte Laden repräsentiert ein Stück altes Aruba; ist ein Überbleibsel aus den 50er Jahren, als der Tourismus die Insel gerade entdeckt hatte. Damals war Aruba noch der weltweit größte Exporteur von Aloe Vera. Matrosen von Öltankern aus der ganzen Welt stellten San Nicolas nachts gründlich auf den Kopf. Hunderte von Schwarz-Weiß-Fotos zeigen die jungen Kerle, erledigt von Hitze und Plackerei. Glücklich. Mit einem Bier in der Hand und einem Mädchen für eine Nacht.
Charlie ist Inhaber in der dritten Generation. Von Beginn an war die Bar ein Ort, an dem sich Reisende kurz begegnen, bevor sie sich wieder in alle Himmelsrichtungen davonmachen. Tausende haben aber auch etwas von sich dagelassen: ein Stück vom World Trade Center, ein Stein der Berliner Mauer, ein selbst gemaltes Bild, ein rostiges Nummernschild. Was, spielt eigentlich keine Rolle.
Walzer mit einem Schuss mexikanischem Bolero
Was zählt, ist, dass etwas zurückbleibt. Das gelte „in vielerlei Hinsicht für die ganze Insel”, weiß Charlie. So finden sich auf Aruba Orte mit Namen wie Washington, Barcelona, Noord und Santa Cruz. Die Arubaner tanzen Walzer mit einem Schuss mexikanischem Bolero als Inseltanz. Und man muss nur die Ohren aufsperren und der Inselsprache Papiamento lauschen – ein Mix aus Spanisch, Portugiesisch, Holländisch, Englisch, Afrikanisch und Indianisch –, um die Einflüsse zu erkennen, die auf Aruba einströmten.
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Die Spanier kamen im 15. Jahrhundert, 150 Jahre später die Holländer. Die afrikanischen Sklaven fanden ihren Weg über Curaçao, die indianischen Ureinwohner lebten schon vor 4500 Jahren hier.
„Die Insel hat sich schnell verändert”, sagt Charlie. Man solle sich nur mal fünf Minuten Zeit nehmen und über einen Friedhof spazieren. Etwa den bei Paradera. Da ruhen sie, die „Tromps” und „Jansens”, vor hundert Jahren die einflussreichen Familien auf Aruba. Die Clans herrschten über Dörfer, Plantagen und Goldminen. Ihre Grabmäler sehen aus wie Miniaturbauten Amsterdamer Grachtenhäuser. Die Ewigkeit schien niederländisch. Vergangenheit.
Das Zauberwort der Zukunft ist US-amerikanisch. Und heißt „Timesharing”. Man kauft sich als Urlauber ein Stück vom Karibiktraum in Form eines Apartments. Das besitzt man dann für 10 000 Dollar jährlich gemeinsam mit vielen anderen Parteien – auf Lebenszeit. Tagsüber steht dann baden in türkisfarbenem Wasser an. Und Herumliegen an puderweißen Sandstränden. Der Norden und die Ostküste wiederum bieten Naturschauspiele, wie man sie sonst von den Kanaren kennt. Aruba ist hier so wild, dass es nur per Allradfahrzeug weitergeht.
Auch Wolfgang Heiden kam ein zweites Mal nach Aruba. Anfang der 80er. Der einstige Marinekapitän fuhr raus zu seiner Antilla. Danach war er in Charlie’s Bar. Ein Foto beweist es. Charlie fragte, wie ihm sein Schiff gefallen habe. Daraufhin der alte Mann: „Besser als je zuvor.”