Der biblische Fluss Jordan ist zu einer Kloake verkommen – jetzt wollen Umweltschützer den Fluss durch Tourismus retten

Bevor die Zeremonie beginnt, legen die Täuflinge die Umhänge an. Einer nach dem anderen stülpt sich den Überwurf aus weißem Leinen über. Dann treten sie an den Fluss. Zwanzig, vielleicht dreißig Pilger haben sich an diesem Morgen versammelt. Zuerst steigt der Priester ins Wasser, dann die Täuflinge. Ein paar feierliche Worte, ein schnelles Untertauchen. Dann ist die Zeremonie vorbei. Zu Tränen gerührt verlassen alle den Fluss.

Die Taufstelle von Yardenit ist eines der beliebtesten Touristenziele in Israel. Mehr als 500 000 Besucher jährlich zählt der Ort, an dem der Jordan den See Genezareth verlässt, um seine mehr als 200 Kilometer lange Reise in Richtung Totes Meer anzutreten. Doch der Schein trügt, denn der biblische Fluss verdient seinen Namen nicht mehr. Dort, wo einst Jesus seine Weihe empfangen haben soll, saugt eine Pumpe das Wasser aus dem See Genezareth ab und spuckt es ein paar Meter weiter wieder aus: als grün-braune Brühe. „Das ist, was vom Jordan übrig ist”, sagt Gideon Bromberg, Leiter der Umweltschutzorganisation „Friends of the Earth Middle East”. In einem beispiellosen Projekt vereint er Jordanier, Israelis und Palästinenser, um den hochgiftigen Fluss zu retten.

Johannes tauft Jesus von Nazareth: Der Jordan spielt für Christen und Juden eine große Rolle.
Johannes tauft Jesus von Nazareth: Der Jordan spielt für Christen und Juden eine große Rolle. © srt

Der Jordan stirbt. Aber warum? Jahrtausende floss der biblische Fluss von den Golanhöhen durch den See Genezareth ins Tote Meer. Für Juden hat der Fluss große religiöse Bedeutung. Das Volk Israel überquerte ihn beim Einzug in das gelobte Land. Auch Christen ist der Jordan heilig: Mehrere Orte streiten darum, der Platz zu sein, wo Jesus getauft wurde.

Das Übel begann in den 50er-Jahren, als die Staatsgründung Israels mit dem Traum verknüpft wurde, die Wüste zum Blühen zu bringen. Heute bewässert der Fluss Bananen, Tomaten, Mangos und Kiwis. Das Problem: Die Anrainerstaaten Syrien, Jordanien und Israel entnehmen so viel Wasser, dass kaum etwas übrig bleibt. Von den 1,3 Billionen Kubiklitern, die einst ins Tote Meer flossen, sind nur noch 50 bis 100 Millionen übrig.

Mit seiner Organisation versucht Gideon Bromberg zu retten, was noch zu retten ist. Und genügend Wasser ist vorhanden. Nur ein paar Kilometer oberhalb des See Genezareth rinnt frisches Quellwasser aus dem Berg. Wir stehen am Ursprung des Hermon-Flusses, einem der Quellflüsse des Jordans, am Fuß der Golanhöhen. Mehr als zehn Kilometer fließt der kraftvolle Bach bergab, bevor er sich in das Hula-Tal ergießt, wo er nach der Renaturierung des Landstrichs durch die israelische Regierung in den 90er-Jahren ein Naturparadies schafft. Jetzt soll auch der Fluss unterhalb des See Genezareth gerettet werden. Und das tut Not, denn nicht nur der Jordan ist am Ende, auch das Tote Meer. Seine Oberfläche ist in den vergangenen 50 Jahren um ein Drittel geschrumpft.

Brombergs neueste Rettungspläne beziehen auch den Tourismus mit ein. So ist seine Organisation gerade dabei, mit internationaler Unterstützung einen Friedenspark zu errichten. Als grenzübergreifendes Gemeinschaftsprojekt entsteht der Park am Zusammenfluss von Jordan und Yarmuk-Fluss. Zum Plan gehört die Wiederflutung des Rothenberg-Abdullah-Sees. Er könnte Millionen Zugvögeln als Rastplatz dienen. Geplant sind Öko-Lodges, Wanderwege und Stationen zur Vogelbeobachtung. Auch ein deutsches Unternehmen engagiert sich: Die Stiftung des Münchner Studienreiseveranstalters Studiosus fördert die Restaurierung des im Bauhausstil errichteten Bahnhofs von Naharayim, einst der tiefstgelegene der Erde. Schon bald soll hier ein Touristenzug fahren. „Der Friedenspark könnte der wirtschaftliche Motor für die Renaturierung werden. Vielleicht können wir ihn in fünf Jahren eröffnen,” sagt Bromberg. Noch allerdings fließt kaum Geld aus dem Tourismus in die Kassen.

Israel

Anreise: Mit Lufthansa

01805/80 58 05

www.lufthansa.com

ab Düsseldorf via Frankfurt,

mit Tuifly 0900/10 00 20 00

www.tuifly.com

ab Köln-Bonn direkt nach Tel Aviv.

Einreise: Deutsche Staatsangehörige, die nach 1. Januar 1928 geboren sind, benötigen kein Visum. Für die Einreise genügt ein gültiger Reisepass.

Veranstalter: Mit Studiosus

089/50 06 00

www.studiosus.com

eine 15-tägige Reise „Beiderseits des Jordans" inklusive Besuch des See Genezareths und Flug ab 2614 Euro.

Gebeco Reisen

0431/5 44 60

www.gebeco.de

offeriert eine achttägige Wanderreise zu den Quellen des Jordans inklusive See Genezareth ab 1475 Euro.

Kontakt: Staatliches Israelisches Verkehrsbüro,

030/2 03 99 70

www.goisrael.de

Wir stehen bei Bethanien auf jordanischer Seite des Flusses unweit seiner Mündung ins Tote Meer. An dem Ort, an dem vor einigen Jahren eigens eine Kirche für die Pilgermassen errichtet wurde, soll laut Überlieferung die eigentliche Taufstelle Jesu liegen. Israel hat direkt gegenüber eine noch protzigere Taufstelle bauen lassen. Doch die Stufen, über die die Pilger ins Wasser schreiten sollen, sind heute leer, denn die Anlage, die auf palästinensischem Territorium im Westjordanland errichtet wurde, ist militärisches Sperrgebiet. „Unser Ziel ist es, den Fluss wieder in das Gedächtnis der Menschen zu rufen.” Bromberg setzt sich deshalb dafür ein, den Jordan auch von palästinensischer Seite wieder zugänglich zu machen. Im Dezember dieses Jahres soll es soweit sein.

Während Menschen wie er auf den Tourismus bauen, um den Jordan wieder zu beleben, setzt die Politik brachialere Mittel ein. Experten prüfen, ob es Sinn macht, Wasser vom Roten Meer über eine riesige Pipeline ins Tote Meer zu pumpen. Für Bromberg ist der Plan eine milliardenschwere Farce. „Die ökologischen Folgen sind unabsehbar.” Die Korallen im Roten Meer reagieren sehr sensibel auf Temperaturschwankungen, die durch die Wasserentnahme entstehen könnten. Außerdem gibt es in der Region viele Erdbeben. Eine Pipeline, die leckt, wäre für die Landwirtschaft wegen des hohen Salzgehalts des Wassers fatal.

Brombergs Alternative lautet deshalb: Den Jordan renaturieren und das Geld aus dem Tourismus zum Beispiel in Meerwasserentsalzungsanlagen stecken.

Und ein Friedensvertrag zwischen Israel und Syrien muss her, denn dann wäre auch die Wasserentnahme geregelt. „Den historischen Stand werden wir nicht wieder hinbekommen, aber der Fluss ist zu retten. Noch.” Der Jordan ist tot, lang lebe der Jordan.