Feuertopf und Jasmin-Tee: von mild bis würzig bietet die Küche in der Sichuan-Region eine breite Palette
China ist stolz, Chinesen sind stolz – und mitteilsam. Herr Wang ist Busfahrer, er hupt sich gelassen durch die verstopften Straßen von Chengdu. Herr Zhou arbeitet fürs Tourismusamt und ist stolz auf sechs Millionen Gäste pro Jahr. Ziemlich stolz. Das gilt besonders für den Exportschlager seiner Heimat: die scharfe Sichuanküche. Eine Region und ihr Pfund.
Herr Zhou weiß das, er kennt aber auch die Vorurteile. Im Land von Konfuzius passt immer ein Sprichwort. „Wenn die Sonne scheint, bellt der Hund vor Freude.” Dann grinst er über beide Ohren und fügt listig hinzu: „Hier gibt es wenige Hunde.” Dazu klingt die Lache von Yimin Zhou, dem Mann mit dem freundlichen runden Gesicht und den lustigen Augen, ein bisschen nach Bellen. Der Weg rund um die Hauptstadt der Provinz Sichuan führt durch Küchen.
Das Dorf Huanglongxi liegt 50 Kilometer außerhalb der geschäftigen Metropole und ist Beleg für die Mühen Chinas, die große Tradition nach der Kulturrevolution für alle Welt wieder erlebbar zu machen. Vorbei an kleinen Traubenständen und Feldarbeitern geht's raus aufs Land. Huanglongxi ist China aus dem Bilderbuch: verschnörkelte Fassaden mit bunten Lampions, handgemeißelte Steinstatuen von Schildkröten, Hunden und anderem Getier – Tourismus und Leben verschmelzen hier.
Auf einem Klappstuhl am Straßenrand gießt eine alte Frau Zuckerlollies aus einer gallertartigen Masse, ein paar Meter weiter spielt ein beleibter Herr mit eigentümlichem Bartwuchs ein Instrument, das nach Querflöte aussieht. In einem Innenhof trainieren Drachentänzer in gelben Gewändern: Rhythmus, Akrobatik, muskulöse junge Männer. Die Truppe nennt sich „Fire Dragon of China”. Herr Zhou liebt Wortspiele. Er grinst und sagt, in China gebe es traditionell auch jede Menge Hausdrachen. Frau Zhou war sicher nicht gemeint.
Tipp: Machen Sie einen Ausflug auf dem kleinen Fluss und beobachten Sie die Fischer, die auf eigentümliche Art Kormorane als Fanghilfe benutzen. Dazu gibt's den für die Region typischen Jasmin-Tee. Wer ihn nicht mag, lehnt höflich ab.
Das gilt auch für das kleine Dorf-Restaurant. Vergessen Sie alle Geschichten über Ratten und Affenhirne. Sicher, für den chinesischen Gaumen passen auch Innereien, Hühnerfüße, diverse Käfer oder Frösche prima zu den Basisgewürzen Chili und Ingwer. Aber erstens macht die Bandbreite der Sichuanküche auch weniger experimentierfreudige Gäste zufrieden und zweitens ist es eine Mär, dass alles probiert werden muss - gleichwohl: Mit den „Acht Kostbarkeiten” aus mitteleuropäischen China-Restaurants hat das Original nichts zu tun.
An dem typischen runden Tisch mit Drehscheibe werden ständig Gerichte nachgeschoben: Es gibt unter anderem frittierte Krabben und Sprotten, Schweinefleisch mit Kohl, Tofu mit Nüssen und eine Art Hühnersuppe. Sichuanküche ist scharf und die Chinesen sind sehr höfliche Menschen. So höflich, dass sie gern mit jedem Gast anstoßen.
Das hilft. „Ganbei” bedeutet soviel wie „Zum Wohl” und hat wie vieles in der chinesischen Kultur besondere Regeln. Das Glas wird mit beiden Händen angefasst und nach dem Leeren – kleine Mengen stets auf Ex – hergezeigt. Wörtlich übersetzt heißt Ganbei nämlich „Glas trocken”. Herr Zhou freut sich. „Ganz schön scharf, oder?” Ganbei! Apropos: Bevor Stäbchen-Legastheniker aus Europa verhungern müssen, reichen die Chinesen auch in den Dörfern eine Gabel.
Der kleine Stadtteilmarkt in Chengdu ist einer von vielen, die jeden Tag geöffnet haben. Schon die Mischung aus Gerüchen und Geräuschen ist – sagen wir – exotisch, und wer nicht aufpasst, kann schnell unter einen der lautlosen Elektroroller geraten, mit denen viele Chinesen ihre Einkäufe direkt an den Ständen erledigen. Herr Zhou sagt: „In Sichuan kaufen die Menschen jeden Tag frisch ein, es wird nichts eingefroren.” Es ist ein Lebensmittelbasar mit Fischen und Krebsen in Bassins, ganzen toten Hühnern, abgehangenen Fleischbrocken und tonnenweise Obst und Gemüse. Einen chinesischen Markt muss ein Chinareisender erlebt haben. Da gibt es Verkäufer mit Zigarette im Mundwinkel, die Hühnerfüße bearbeiten. Ein anderer flemmt mit einem selbstgebauten Bunsenbrenner die Haare von einem Schweinebauch.
Die Chinesen in seiner Provinz, sagt Zhou den style-überfütterten Europäern, legten weniger Wert auf Kleidung als auf gutes Essen. Bei einem durchschnittlichen Arbeiterlohn von 150 Euro im Monat geht beides sowieso nicht. Allerdings sind die Preise entsprechend. Wer nicht selbst kochen möchte, zahlt in einem gehobenen Restaurant für ein vielgängiges Luxusmenüs 15 bis 20 Euro. An den unzähligen Ständen mit Fleischspießen aller Art oder in den kleineren Suppenküchen kostet eine Mahlzeit nur ein Bruchteil dessen. Beispiel Seitenstraße, überall: heiße Fischplatte plus Tsingtao-Bier für sechs Personen: 11 Euro. Chinesische Betriebsamkeit inbegriffen, in den unzähligen kleinen garageähnlichen Läden pulsiert auch wochentags bis in die Nacht das Leben.
Was die Chengduer aus ihren Einkäufen machen, zeigt das „Museum of Sichuan Cuisine Chengdu” in der Vorstadt Pixian. Die Entwicklung der Sichuan-Küche wird hier theoretisch durch Funde aus allen Dynastien dargestellt. Versuchen Sie erst gar nicht, „Quing”, „Han” und Co auseinanderzuhalten. Genießen Sie die Führung durch die modernen Hallen mit Relikten aus der Sichuan-Esskultur. Die verrät übrigens auch, dass die Sichuan-Chinesen zwischen 470 und 221 v. Christus, in der „Zeit der streitenden Reiche”, mit Messer und Löffel gegessen haben. Herr Zhou erzählt, dass die Küche in der Geschichte zweimal entscheidend beeinflusst wurde. Einmal um 1650, als der Manshu-Kaiser viele Menschen aus Küstenregionen wie Shanghai nach Sichuan umsiedeln ließ. Die brachten das Chili, das Seeleute aus Südamerika eingeschifft hatten. Einmal, nachdem die Japaner 1937 die Stadt Nanking im Süden Chinas eroberten und sieben Millionen Nankinger nach Chongking in Sichuan umgesiedelt wurden.
Sichuan
Anreise: Mit KLM ab Amsterdam nach Chendgu
0049/(0)180/525 47 50
Einreise: Mit Visum und Reisepass.
Währung: Renminbi (Yuan), Kürzel ist: CNY oder RMB. 10 Yuan ergeben etwa 1 Euro.
Reisezeit: Sichuan ist bei mildem Klima ganzjährig zu bereisen. Jahresdurchschnittstemperatur: 17 Grad Celsius
Veranstalter: Spezialanbieter China Holidays
040/32 33 22 40
www.chinaholidays.de bietet Rundreisen an.
Kontakt: Fremdenverkehrsamt China
069/52 01 35
Praktisch zeigt die Museumsküche, ein gläserner Wok-Tempel, wie heute gekocht wird. Der Chef ist Meister Zhane. Ein kleiner, freundlicher Mann mit Unterarmen wie Ofenrohre und der Geduld eines Koalas. Über den Selbstversuch des Autors legen wir an dieser Stelle den Mantel des Schweigens, über die Speisen, die unter Anleitung sogar richtig lecker wurden, nicht. Ein kleiner Abriss: Es gibt typisches Tofu, das übersetzt soviel heißt wie Pickelgesicht-mama-Tofu und auch ein bisschen so aussieht. Ist aber köstlich und pikant. Grüne Bohnen mit Rinderstreifen dürfen nicht fehlen, Fischgerichte, kombiniert mit Zwiebeln oder Auberginen auch nicht.
Das absolute Aushängeschild der Sichuanküche bleibt aber der Feuertopf. Den gibt's an jeder Ecke und in jeder Qualität. Entstanden vor Jahrhunderten, als die armen Fischerfrauen ihren Männern zum Abend hin schon mal Hühnerkrallen und Rindermägen in einer Chili-Brühe vorbereiteten, gilt der Feuertopf bei den Sichuan-Chinesen als Küchengesetz. Es ist eine Art höllisch scharfes Fondue, in das verschiedene Kohlarten, Gemüse und natürlich je nach Preiskategorie diverse Fleischsorten.
Aber Vorsicht: Sollten Sie in der glücklichen Lage sein, sich mit der Küche verständigen zu können, bestellen Sie auf keinen Fall „scharf” beziehungsweise „drei Chilis”. Die Sichuan-Küche ist zu interessant und köstlich, um am Tisch in Tränen auszubrechen.