In Jerusalem ist das Geschäft mit den Holzkreuzen fest in muslimischer Hand – ein Besuch an Karfreitag

Arafat Saleh Abu Tin schultert das Kreuz. Es ist früh am Morgen, und die ersten Pilger werden gleich eintreffen. Die Mitglieder einer polnischen Reisegruppe wollen den Kreuzweg Jesu in der Altstadt von Jerusalem abschreiten – genau wie einst der Messias. Der Araber mit der Prada-Sonnenbrille arbeitet als Kreuzverleiher. Abu Tins Kunden sind Pilger, die sich vorgenommen haben, die Leiden Jesu möglichst realitätsnah nachzuempfinden.

Seit seinem 16. Lebensjahr verleiht Abu Tin Kreuze. Er hat den Beruf von seinem Vater geerbt. Dieser übernahm die Aufgabe von einem christlichen Armenier. Seither ist der Kreuzverleih in muslimischer Hand. Etwa 30 Kreuze stehen in Abu Tins Lagerraum, einige größere, dunkel und abgegriffenen, die meisten aber aus glänzend lackiertem Olivenholz, zwei Meter hoch.

„Gerade haben wir zehn neue Kreuze aus Bethlehem bekommen”, sagt er. „Dort bringen wir einem christlichen Schreiner das Olivenholz, und er bearbeitet es umsonst.” Auch der Kreuzverleih in Jerusalem ist kostenlos. Abu Tin verkauft lediglich die Fotos, die er von den Touristen macht.

Kein besonders lukratives Geschäft, wie er sagt. „Ich verlange zwei bis drei Dollar für ein Bild.” Je nach Gruppe verkaufe er fünf bis zehn Bilder. Trotzdem will Abu Tin seinen Job nicht aufgeben. Der Araber lebt in einem palästinensischen Flüchtlingslager. Seine Familie, die zuvor im jüdischen Teil der Jerusalemer Altstadt gewohnt hatte, musste die Stadt nach dem Sechstagekrieg 1967 verlassen. Der Kreuzverleih sichert dem Palästinenser die Zugangsberechtigung in die Heilige Stadt. Während Abu Tin erzählt, hat sich die polnische Pilgergruppe auf den Holzbänken in der Verurteilungskapelle niedergelassen, wo Jesus von Pontius Pilatus sein Todesurteil erhalten haben soll. Ein Geistlicher, der die Gruppe begleitet, liest aus der Bibel vor, die Pilger beten und knien nieder.

Dann hilft Abu Tin den ersten beiden Gläubigen, das Kreuz zu schultern. Es wiegt ungefähr 30 Kilo. Einer legt sich die Querverstrebung über die Schulter, ein anderer packt am Ende mit an. Pilger aus aller Welt nehmen Abu Tins Dienste in Anspruch. „Die meisten kommen aus Italien und Spanien”, sagt er, „und die Koreaner verlangen immer nach den größten Kreuzen.” Dann schnappt er sich die Kamera und überholt die polnische Gruppe, die singend die Straße Richtung Grabeskirche davonzieht. Er knipst ein paar Bilder und hilft dem nächsten Pilgerpaar, das Kreuz zu schultern.

Jeder Teilnehmer soll das Kreuz einige Meter tragen. „Ich will den Spuren Jesu folgen”, sagt Artur, der zu der Reisegruppe gehört. Eine gute Woche sind die Pilger aus dem polnischen Radom bereits in Israel. Sie waren schon in Nazareth und Bethlehem. Doch den Kreuzweg in Jerusalem zu beschreiten, sei etwas ganz Besonderes, sagt der 50-Jährige. „Ich versuche zu fühlen, was Jesus damals gefühlt haben muss”, erklärt er.

Zu Ostern ist der Andrang in Jerusalem groß: 30 000 Christen aus aller Welt erwartet das israelische Tourismusministerium dieses Jahr.

Abu Tin ist darüber nicht glücklich. „Mir ist es lieber, wenn ich nur acht bis zehn Gruppen am Tag habe”, sagt er. „Ich kann es nicht leiden, wenn so viele Menschen auf der Straße sind.” Schon jetzt muss der 30-Jährige, der mit gegelten Haaren und schwarzer Jacke aussieht wie ein Leibwächter, den Weg für die Kreuzprozession frei machen. Während die Gläubigen singend die Gassen der Altstadt entlang ziehen, bahnt er ihnen einen Weg durch die anderen Pilger und Touristen.

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An der Grabeskirche lehnen die Pilger das Kreuz an eine Mauer. Ein Mitarbeiter des Kreuzverleihers wird es von dort wieder in den Lagerraum bringen. Während die Polen weiterziehen, um die letzten Stationen des Kreuzwegs zu besuchen, eilt Abu Tin zurück zum Ausgangspunkt.

Dort wartet bereits eine weitere Pilgergruppe aus dem indischen Kerala auf den Araber mit dem Kreuz.