Auf Jamaika scheint die Sonne anders – nicht nur James Bond und die Rolling Stones wissen das zu schätzen
An diesem Morgen dämmert es spät im Zimmer zum Strand. Wieso bewegt sich der Vorhang bloß von allein? Was bedeutet das komische Klack klack? Etwas schleppt sich über die Dielen. Dann wird klar, dass ein Tropenalbtraum Wirklichkeit geworden ist. Wie immer war die Tür zur Terrasse über Nacht offen geblieben: Karibisches Meeresrauschen drang bis ans Bett – und die Landkrabbe.
Ein Prachtexemplar. Groß wie ein Kaninchen. Aber nicht fort zu zaubern. Ungeniert taucht die bleiche Kreatur unterm Vorhang hervor, spreizt die gefährlichen Scheren, dass die Seesterne auf dem Pyjama erzittern. Get up, stand up? Nicht ohne den Nachtportier!
Das kleine Strandhotel lässt den Gast nicht im Stich. Der Mann von der Rezeption fliegt herbei, wird still. Dann fallen zwei Worte. Tausendmal am Tag werden sie hierzulande in den Mund genommen, schmücken T-Shirts, Sonnenhüte, Rumgläser. Doch nie klingen sie süßer als in so einer Notlage früh um sechs. Der Retter dehnt sie wie Kaugummi, das ist Brauch auf Jamaika. „No problem”, sagt er und streckt die rechte Hand aus.
Routiniert – „Wir lernen schon als Kleinkinder, wie man Krabben anpackt” – befördert er den ungebetenen Besuch ins Freie: Elf Kilometer Auslauf haben die exotischen Tiere in Negril: Es ist der längste Strand der Insel. Karibischer Korallensand vom Feinsten, gesäumt von smaragd-funkelndem Meer. Am Wellensaum jeden Tag Kino.
Wer unter Kokospalmen die Stunden verdöst, verpasst die tollsten Bilder: Pausenlos spaziert ein Motiv vorbei. Das Polizistenpaar in dunkelblauer Uniform und weißem Tropenhelm, der Koch, der Papageienfische im Meer spült, die üppige Dame mit dem Früchtekorb auf dem Kopf, der Typ mit dem klapprigen Fahrrad und Snacks auf dem Sattel, der Schlaumeier mit selbstgebastelten Fingerringen aus Kabel und jungem Kätzchen am Hals: „Wenn Sie mir nicht einen Ring abkaufen, wird es verhungern.”
Nach ein paar Tagen kennen die Feriengäste an diesem Küstenabschnitt sämtliche Tricks der Beachboys. Die kennen zwei Modetrends: Dreadlocks bis zu den Waden oder gewaltige Haaraufbauten unter turmhohen Häkelmützen. „Hey Süße, willst du Marihuana?”, zwitschert einer im Morgengrauen. Ein Hauch von Sünde weht über Jamaikas „Wilden Westen”. Marihuana müsse man legalisieren, meint Sylvie Grizzle vom Charela Inn. Nur wegen der Drogenkriege habe Jamaika einen schlechten Ruf, nickt ihr Mann Daniel. „Haiti ist ums Eck und Kolumbien die Straße runter.” Negriler Bürger rufen auf zum Kampf gegen das Verbrechen und verlangen bessere Schulen: „Werft eure Waffen weg für Computer.”
Das Drogendrehkreuz als Fluch der Karibik. Urlauber aber haben auf Jamaika nichts zu befürchten. Außer den Befall von Ohrwürmern. Der Reggae-Redundanz entgeht keiner auf diesem „Island in the sun”. Irgendwer prahlt immer „I shot the sheriff”. „One Love” ist die musikalische Droge Nummer eins. Auch ein jamaikanischer Michael Jackson geistert herum – „backed by Hurricane Band”. Viel anrührender: Dawn Robinson. Inbrünstig wie ein Las Vegas-Star der guten alten Zeit besingt die jamaikanische Schönheit Harry Belafontes Banana Boat, mixt Schlager mit Volksliedern, und bezaubert mit ihrer Band sogar die englische Königin. Die Hertford Folk and Cultural Group ist ihre künstlerische Familie. 1981 gegründet, um das Talent der Jugendlichen am Zuckerrohr-Gürtel im Nordwesten der Insel zu fördern, besitzt die Truppe inzwischen internationale Reputation. Im Ausland leben möchte Dawn nicht: „Auf Jamaika scheint die Sonne anders.”
Jamaika
Anreise: Mit Condor
0180/5 76 77 57
ab/über Frankfurt nach Montego Bay. Mit Air Berlin
01805/73 78 00
ab Düsseldorf.
Veranstalter: Bei der siebentägigen TUI-„Entdecker Tour” erlebt man Jamaika als Panorama.
Das Charela Inn in Negril haben auch Thomas Cook oder FTI im Programm. Eine Nacht mit Frühstück im Vier-Sterne-Hotel Mocking Bird Hill in Port Antonio kostet bei TUI p.P. im DZ ab 80 Euro, sieben Nächte All Inclusive im Vier-Sterne-ClubHotel Riu Ocho Rios mit Flug ab 1546 Euro p.P. im DZ. Im Riu Negril ab 1511 Euro.
Kontakt: Jamaikanisches Fremdenverkehrsamt
02104/83 29 74
Es stimmt. Bedingt durch Feuchtigkeit – die Insel ist reich an Flüssen, Wald und Wasserfällen, die ein einzigartiges Mikroklima und dschungelartige Vegetationsformen schaffen –, sind die Lichtverhältnisse von ungewöhnlicher Art. Künstlernaturen spüren es gleich bei der Ankunft. So fühlt sich Arkadien an! Man kann Mick Jagger verstehen. Wie auch Keith Richards hat er ein Zuhause bei Ocho Rios, und mit etwas Glück trifft man sie beim Italiener: In einem Gingerbred-Haus aus der Kolonialzeit gibt es Pizza und Pasta. Kaum zu finden dagegen das Domizil von Johnny Cash. Das historische Herrenhaus liegt versteckt auf einem Golfplatz.
Nur für zahlende Übernachtungsgäste öffnet sich „Golden eye”, das Traumhaus von Ian Fleming. Die Antilleninsel inspirierte ihn zu heißen Abenteuern von 007. James Bond jagte hier Dr. No, und auch „Leben und sterben lassen” wurde auf der Reggae-Insel gedreht. „Dort übrigens entstieg Ursula Andress den Fluten”, erfährt man beim romantischen Wasserfall neben dem Government House.
Einen der großen Leinwandhelden des frühen Hollywood spülte 1946 filmreif ein Hurrikan an Land. „Niemals”, schrieb Errol Flynn in seinen Erinnerungen, „hatte ich eine so herrliche Insel erblickt.” Bald lud er Freunde ein zu Floßfahrten auf den Rio Grande. Bob Marleys Mitbürger ehren den Sohn eines australischen Meeresbiologen als Wegbereiter des mondänen Tourismus und Rafting Pionier. Heute bietet Jamaika alles: All inclusive-Geborgenheit neben Refugien für Gentlemen-Rebellen und Rocker-Seelen. „Yeah mon!”