Queenstown auf der neuseeländischen Südinsel gilt als das Zielgebiet für Action-Tourismus

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Tamako hat Angst. Jetzt, im Augenblick der Wahrheit, ist dem zierlichen Mädchen aus dem Land des Lächelns jeglicher Frohsinn abhanden gekommen.

Zur Salzsäule verkrampft blockiert der Kopf den einen lächerlichen Schritt nach vorn, weg von dem winzigen Podest. Aufmunternd feuern sie Freunde von der Besucherplattform an. Beruhigend reden ihr die Jungs von der Crew zu. Vergeblich: Tamako nimmt nichts davon wahr. Sie starrt in die Tiefe. 43 Meter Nichts. Und dann ein unheimliches blaugrüngraues Gesprudel. Zum Greifen nah und doch so schrecklich weit entfernt.

Der Sessellift bringt die Action-Touristen bequem auf den Berg, ehe sie im Tandem-Sprung zu Tal fliegen. Foto: Eichler
Der Sessellift bringt die Action-Touristen bequem auf den Berg, ehe sie im Tandem-Sprung zu Tal fliegen. Foto: Eichler © MSG

Tamako steckt in der Klemme. Geht sie den Schritt nicht, ist sie blamiert bis auf die Knochen. Undenkbar in einem Land wie Japan, wo Ehre soviel gilt. Schubsen lassen? Das wäre kaum besser, außerdem ist das der Crew strikt verboten. Der eigene Wille, die eigene Entscheidung, die Überwindung von Ängsten und Grenzen – das allein ist es, was zählt. Und reich belohnt wird mit ein paar Sekunden unbeschreiblichen Glücksgefühls.

Jedes Jahr sind es einige tausend Leute, die diesen Moment bis zur Neige auskosten. Nicht irgendwo, sondern hier, an der alten Brücke über den Kawarau-River. Dieser Platz in der Nähe von Queenstown ist Kult. Denn genau hier sprang 1988 der erste Bekloppte mit einem Seil um die Fußknöchel in die Tiefe. Sein Name: A. J. Hackett, der Papst aller Bungee-Freaks. Aus Hacketts wagemutigem Hobby ist mittlerweile ein exquisit organisiertes und höchst profitables Business geworden.

Im Dreiminutentakt stürzen sich die Verrückten aller Länder von der Brücke in die Schlucht - ein schöneres Plätzchen für Bungee-Jumping kann es kaum geben. Vier Besucherterrassen lassen die Zuschauer aus unterschiedlichen Perspektiven die Magie von Ort und Sprung fast hautnah erleben - psychologisch raffiniert, denn selbst Leute, die niemals für viel Geld am Ende eines dicken Gummiseils herumzappeln wollten, entdecken hier und jetzt urplötzlich einen unbezähmbaren Hang zum Abenteuer. Bestimmen darf dabei jeder selbst, ob er trocken bleiben oder in den Kawarau eintauchen will. Je nach Gewicht - das nach dem Wiegen auf eine Hand notiert wird - weiß die Mannschaft an der Plattform dann genau, welches der verschiedenen Seile zu verwenden ist.

Die Fluten des Kawarau-River dienen für rasante und nicht ungefährliche Wasserabenteuer aller Art.  Foto: TV
Die Fluten des Kawarau-River dienen für rasante und nicht ungefährliche Wasserabenteuer aller Art. Foto: TV © MSG

Wem die 43 Meter an der Kawarau-Brücke zu läppisch sind, der findet in und um Queenstown noch ganz andere Kaliber für den Fall ins Glück. Im Skippers Canyon ist die Pipeline-Plattform 102 Meter, die Glasgondel über dem Nevis-River sogar 134 hoch.

Einige Kilometer weiter stromabwärts. Der träge Kawarau-River hat Fahrt aufgenommen und strudelt putzmunter durch eine felsige Passage namens Roaring Meg. Aus einem ulkig bemalten Transporter steigen Froschmänner und-frauen mit mächtigen Flossen an den Füßen. Sie greifen sich Helme, Schwimmwesten und komische gelbe Bretter. Dann watscheln sie im Gänsemarsch in die Schlucht.

Angeführt von einem Ober-Froschmann geht es zum Whitewater Sledging. Dabei klammert man sich an ein Board oder einen „Schlitten” und versucht, möglichst stromlinienförmig durch Wellen und Stromschnellen zu gleiten. Und wirklich: Es dauert nicht lange, da schießt ein Trupp zappelnder Kaulquappen im Affenzahn an uns vorbei, steuert mehr oder weniger elegant eine 90-Grad-Kurve an und verschwindet im Handumdrehen hinter den hohen Felsen.

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Der Nervenkitzel hat in Neuseeland einen Namen: Queenstown! Das ehemalige Goldgräberdorf, nett gelegen am Ufer des riesigen tiefblauen Lake Wakatipu und eingerahmt von mehreren Bergketten ist heute ein modernes Ferienzentrum, in dem es nichts gibt, was es nicht gibt. Zu Land, zu Wasser und in der Luft. Ganz oben in der Adrenalin-Hierarchie: „Jet- Boat-Fahren”.

Schon bei normalen Wasserständen nichts für Hasenfüße, wenn die windschnittigen Turbo-Flitzer im Shotover-River bis auf Tuchfühlung an die scharfkantigen Felsen heranheizen. Unter bestimmten Umständen sogar lebensgefährlich, auch wenn die Betreiber des profitablen Geschäfts naturgemäß das Gegenteil versichern.

Auch für Off-Road-Touren ist der Oberlauf des Shotover ideales Terrain. Die Trasse auf der spektakulären Skippers Canyon Road ist gespickt mit allen erdenklichen Kalamitäten, die durch Steinschläge, Wegabbrüche oder Unterspülungen verursacht wurden. Ein zweites ideales Gebiet für Geländefahrten ist die Gegend um Glenorchy, wo zum Beispiel das düstere Isengard aus dem „Herrn der Ringe” in Szene gesetzt wurde und die Ge-rätschaften einer einst profitablen Goldgräbermine vor sich hin rosten.

In der Luft über Queenstown wiederum tummeln sich nicht nur diverse Sightseeing-Flugzeuge. Von der Bergstation der Gondelbahn starten Profi-Gleitschirmflieger, die Besucher im Tandem- Sprung zu Tal fliegen.

Interessierte fahren einfach mit der Seilbahn nach oben, reihen sich in die Warteschlange ein, bekommen einen Guide zugewiesen und ab geht es in den Gleitflug.

Neuester Zugang im Wettbewerb um einen Superlativ: Parabungy - das ist Bungee- Jumping per Fallschirm. Mit einer Begleitperson lässt man sich von einem Motorboot bis auf 180 Meter Höhe über den Lake Wakatipu ziehen. Dann wird man gemeinsam ausgeklinkt. Der an einem Fallschirm befestigte Sitz stürzt in die Tiefe und nähert sich dem Wasser bis auf circa 10 Meter.

Auch Tamako ist jetzt fällig. Sie schließt die Augen, breitet die Arme aus, kippt nach vorn ab. Und schreit sich die Furcht aus dem Leib. Im freien Fall rast sie auf den Fluss zu. Schon scheint sie einzutauchen, da wird die Bewegung abrupt gestoppt. Und umgekehrt: Jetzt schießt sie wie eine Rakete gen Himmel, fast könnte sie die Plattform wieder erklimmen. Doch wieder geht es retour, runter und rauf, wieder und wieder.

Nach 15 Sekunden kommt Tamako zur Ruhe. Wie ein Fisch an der Angel pendelt sie hilflos, aber friedlich ein paar Meter über dem Wasser. Ein Boot löst sich vom Ufer. Tamako ergreift eine lange Stange, wird langsam eingeholt und von zwei Betreuern ganz behutsam auf dem Boden abgelegt. Es ist vorbei. Tamako strahlt. Diesen Augenblick wird sie nie vergessen.