An der Grenze zu Alaska ist Kanada fast menschenleer - dafür voller Naturerlebnisse

Viel Landschaft, wenig Menschen - nirgends stimmt die Kanada-Kurzformel so wie im äußersten Nordwesten des Landes. Dort schmiegt sich in der dreieckigen Form eines Lenkdrachens das Yukon-Territorium an Alaska. Es ist etwas größer als Deutschland, hat aber gerade mal 32 000 Einwohner - nicht mehr als Essen-Frohnhausen. Ungestörter Naturgenuss ist also statistisch garantiert. Andererseits birgt dadurch die Frage, wie man wo hinkommt, im "wahren Norden" Kanadas einige Herausforderungen; der Weg ist immer auch Ziel.

Wildwest-Romantik mit Leuchtreklame am Highway.
Wildwest-Romantik mit Leuchtreklame am Highway. © MSG

Dass jetzt der Motor ausfallen könnte, der einzige Motor, daran möchte man lieber nicht denken. Glatt würde unser kleines Wasserflugzeug auf dem karstigen Eis da unten kaum landen können. Und die nächsten der 32 000 Yukoners wären dann verdammt weit weg. Gut, dass Pilot Adam Scheck so viel Ruhe ausstrahlt. Von Denny Denison nicht zu reden, der am Steuer des zweiten "floatplane" sitzt, seit Jahrzehnten hier fliegt und sich über den Gletschern des Kluane Nationalparks an der Grenze zu Alaska auskennt wie in seiner Westentasche.

Denny fliegt voraus. Er scheint selbst ohne Kompass immer zu wissen, wo er ist. Kann aus jeder Lage sagen, welcher von den schneebedeckten, wolkenverhangenen Gipfeln der Mount Logan ist, höchster Berg Kanadas (5959 Meter). Er fliegt über einen See zielsicher auf einen mächtigen Eisberg zu, von dem sich, wie bestellt, ein großer Block löst und ins Wasser stürzt. Man kann sich kaum satt sehen an diesem türkisen Gletschergrün, das aus großen Eisblöcken leuchtet und aus kleinen Wassertümpeln im Schnee. Eine märchenhafte Welt. Unzugänglich, unverfälscht - wiewohl nicht ohne Spuren der Klimaveränderung: Die Piloten wissen, wo vor kurzem noch Gletschereis war und jetzt nur mehr Fels ist.

Zeit für den Rückflug und Abstieg Richtung Whitehorse, Denny voran. Immer wieder lässt er seine Cessna steigen, sinken, Schwünge beschreiben - geflogene Lebensfreude. Das Eis, der Schnee bleiben zurück. Berge und Hügel werden sanfter, grüner. Über einem See geht Denny tiefer, kurvt gegen den Wind - und landet. Adam folgt. Sie ziehen die Maschinen auf den Sandstrand. Die Motoren knistern. Sonst: Kein Laut. Blauer Himmel. Berge im Hintergrund. Picknick. Mehr Kanada geht nicht.

Eine halbe Stunde später: zurück in Whitehorse, der Hauptstadt. Zwei Drittel aller Yukoners wohnen in diesem typisch nordamerikanischen Städtchen. Es ist sehr proper, direkt am Yukon-Fluss gelegen, mit Bergen ringsum, mit guten Hotels und gastlichen Restaurants. Durchaus alpin - nur dass man hier nicht stracks in die Berge gehen und bis zum Abendessen wieder zurück sein kann. Die Gebirgsvereins-In-frastuktur für so etwas existiert nicht. Und deshalb bleibt man nicht in Whitehorse; von Whitehorse aus geht es weiter.

Zwei klassisch kanadische Transportmittel stehen dafür zur Auswahl. Das allerkanadischste ist das Kanu. Man kann, wenn man kann, tatsächlich von Whitehorse aus in zwei bis drei Wochen die 740 Kilometer bis Dawson City paddeln, auf den Spuren der Klondike-Goldsucher, die einst auf Schaufelraddampfern dieselbe Strecke ihrem Glück hinterher gereist sind. Zweiter Klassiker ist das Buschflugzeug; typisch ist eine Kombination, "Fly in" genannt: Man lässt sich in die Wildnis fliegen und später wieder abholen.

Info

Kanada

Lage: Der Yukon liegt im Nordwesten Kanadas. Im Westen grenzt das Gebiet an Alaska.

Anreise: Im Winter keine Direktverbindung. In der Sommersaison fliegt Condor zweimal die Woche ab Frankfurt direkt nach Whitehorse. Ein Linienflug mit Air North von Whitehorse nach Old Crow oder Inuvik kostet (hin/rück) ca. 440 Euro, nach Dawson City ca. 250 Euro. Halbtägiger Gletscherflug mit "Alpine Aviation" von Whitehorse zum Kluane Nationalpark für drei Reisende ca. 500 Euro. Herschel Island, die ehemalige Walfängerstation im äußersten Norden des Yukon, ist nur mit gecharterten Flugzeugen von Inuvik aus zu erreichen.

Mobilität: Für einen Mietwagen, der die 1200 km-Strecke von Whitehorse über den Dempster nach Inuvik (und zurück) schafft, sind etwa 300 Euro pro Woche fällig. Der Benzinpreis im Yukon betrug bei Redaktionsschluss entspannende 85 Eurocent pro Liter. Der Mietpreis für ein Wohnmobil hängt von Größe, Ausstattung und den gefahrenen Kilometern ab. In der Sommersaison ist mit mindestens 120 Euro pro Tag zu rechnen.

Unterkunft: Der Preis hängt vom Komfort ab, der in den kleinen Orten eher schlicht ist. Doch selbst in den guten Hotels von Whitehorse oder Dawson City sind Doppelzimmer für unter 100 Euro pro Nacht zu haben.

Währung: Der kanadische Dollar kostet derzeit 0,64 Euro.

Veranstalter: Kanada-Reisen findet man u. a. auf www.dertour.de, www.fti.de, www.canusa.de oder www.crd.de. Hinter www.yukonwide.com verbirgt sich ein Reiseanbieter in Whitehorse mit deutschen Wurzeln. Auch etliche Buschpiloten, Hoteliers, Kellner und Kanuverleiher sind deutsche Auswanderer.

Einreise: Gültiger Reisepass

Kontakt: Tourism Yukon,069/21 93 670, www.travelyukon.de Canadian Tourism, 01805/52 62 32, www.meinkanada.com

Oder man fährt Auto. Damit ist man, natürlich, an das dünne Straßennetz gebunden und dessen unmittelbare, vergleichsweise "dicht besiedelte" Umgebung. Aber die ist, über viele Kilometer, immer noch einsam genug. Vor allem, wenn man Nägel mit Köpfen macht und sich gleich die Schotterpiste des "Dempster Highway" vornimmt, über den Polarkreis nach Inuvik in den Northwest Territories.

Der Weg zum Dempster, 533 asphaltierte Kilometer über den "Klondike Highway", ist gewissermaßen zum Eingewöhnen. In gut sechs Stunden hat man Dawson City erreicht, die Goldgräber- und frühere Hauptstadt des Yukon. Mit ihren bunten Häusern und hölzernen Gehwegen hat die Stadt noch immer Western-Atmosphäre. In der Umgebung wird auch noch Gold gesucht und manchmal auch gefunden.

Stau gibt's in Dawson auch: downtown am Fluss, an der Fähre. Die meisten Wohnmobil-Piloten setzen hier über den Yukon, fahren nach Alaska rüber. Manche dieser Mobilheime haben das Format von Linienbussen; die Fahrer sind nicht selten jenseits der siebzig - Gründe genug, sich nicht auf den Dempster zu wagen.

770 Kilometer Schotter, das ist in der Tat eine andere Liga, und man hat bald kein schlechtes Gewissen mehr wegen des gemieteten Achtzylinder-Geländewagens. Die Straße selbst ist eigentlich Arbeitsplatz, gehört den Trucks, die man schon von weither an ihren riesigen Staubfahnen erkennt.

Im übrigen: 700 Kilometer Natur und sonst nichts. Wer weder Elche noch Caribous trifft auf dem Weg, muss schon einiges Pech haben; auch Bären sind nicht selten. Die bergige Landschaft ändert immer wieder Formen und Farben, mal karstiges Geröll, mal grüne Abhänge. Typisch sind verkohlte oder pinselartig deformierte Nadelbäume: Riesige Buschfeuer gibt es in jedem Sommer. Oft sieht es aus, als liege Abendrot nicht über, sondern auf den Bergen: "Fireweed" (Feuerkraut), das nach dem Feuer stets als erstes wächst.

Der Weg ist das Ziel: Inuvik ist eine reine Zweckstadt, Kind der Öl- und Gasindustrie. Häuser auf Stelzen, offene Fernwärmeleitungen. Frontstadt, ein wenig sibirisch. Da bleibt man nur, um per Flugzeug weiterzukommen: in die Wildnis, zum Naturpark der einstigen Walfängerstation Herschel Island - oder nach Old Crow: das einzige Dorf im Yukon ohne Autoverbindung, das einzige jenseits des Polarkreises. 300 Gwich'in-Ureinwohner leben dort von der Jagd auf Caribous. Weil die Gwich'in an der Fluggesellschaft beteiligt sind, landet "North Air" an jedem Werktag mit einer betagten Turboprop in Old Crow.

Diesmal ist es nur ein Zwischenstopp auf dem Rückflug von Inuvit nach Whitehorse. Vielleicht zwei Dutzend Leute sind auf ihren Quads zum hölzernen Empfangsgebäude gekommen, um Verwandte abzuholen. Ihre Freundlichkeit, die ganze Atmosphäre - plötzlich ist da der Wunsch zu bleiben, sich als Gast von den Gwich'in ihre Welt zeigen zu lassen. Und schon trägt man einen neuen Reise-Traum mit sich herum, denn es gibt tatsächlich Bed & Breakfast in Old Crow. So schnell kriegt man das Yukon-Virus.