Essen. Der Panamakanal wird 100 Jahre alt und gehört immer noch zu den wichtigsten Transportwegen Mittelamerikas. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann man mit dem Bau des Kanals, der mit knapp 80 Kilometer den Pazifik und den Atlantik verbindet. Heute passieren täglich 40 Schiffe das Herz des Landes.
Träge schlängelt sich der Chagres Fluss durch den dichten Regenwald Panamas. Francisco steht am hinteren Ende seines Kanus, am Motor. Seine Haut ist dunkel, er trägt nur einen Lendenschurz, der ihm vorne bis zu den Knien hinunter hängt, und ein paar Ketten um die Brust. Vorne im Boot hockt seine Frau Escolatica, sie gibt mit einem langen Holzstab Francisco die Richtung vor. Der Wasserstand im Chagres ist so niedrig, dass die beidem mit ihrem Kanu kaum bis zu ihrem Dorf kommen. Der Chagres speist nun schon seit 100 Jahren den Panamakanal – und der Kanal ist das Herz des Landes.
Immer wieder muss Francisco den Motor ausstellen und Escolatica schiebt es mit dem Holzstab durch’s Wasser. Dann hört man nur noch das Plätschern des Wassers, das Tschirpen der Vögel und die Trommelschläge: Bum-bum. Sie kommen aus ihrem Dorf. Francisco und Escolatica gehören zur Ethnie der Emberá. Ihr Dorf besteht aus zwei Dutzend Hütten, sie stehen auf Stelzen und die Dächer sind mit Palmblättern bedeckt. Sie sind ganz das Gegenteil der Metropole Panama-Stadt, die nur eine Stunde entfernt liegt.
Zwischen Karibik und Pazifik
Panama-Hüte aus Ecuador
Rodrigo wohnt in Panama-Stadt. Der Student arbeitet nebenher als Touristenführer. Viel Zeit hat er nicht, denn er muss seine Großmutter noch zum Arzt bringen. „Meine Familie hat beschlossen, dass alleine wohnen ungesund ist, deshalb ist meine Oma nach dem Tod meines Opas bei mir eingezogen“, erzählt er und lacht, während wir an der Skyline vorbei brausen. Er redet ununterbrochen: Einen Panama-Hut solle man sich ja nicht kaufen, denn der stamme aus Ecuador, und ob man eigentlich schon Kokosmilch probiert habe. Eine Antwort wartet er nicht ab – er hält am Straßenrand und verschwindet in den Gassen.
Es ist verwirrend, denn eigentlich gibt es drei Panama-Städte. Die erste wurde im 16. Jahrhundert gebaut, mehr als ein paar Ruinen sind davon nicht mehr übrig. Der berüchtigte Pirat Henry Morgan hat sie niedergebrannt. Die Spanier errichteten im 18. Jahrhundert eine neue Stadt, mit dicken Stadtmauern auf einer kleinen Halbinsel, weil sie das Gold der Inkas außer Landes bringen wollten. Heute ist diese Altstadt Unesco-Weltkulturerbe. Die alten Kolonialbauten mit den großen hölzernen Lamellentüren werden restauriert. Viele werden in Hotels umgewandelt. Diese Altstadt ist gewuchert, seit Beginn des 20. Jahrhunderts, als man den Kanal zu bauen begann. Knapp 80 Kilometer trennen dort den Pazifik vom Atlantik. Am Meeresufer stehen nun die Wolkenkratzer, von den oberen Stockwerken aus kann man die Sonne über dem einen Ozean aufgehen, im anderen untergehen sehen.
Rodrigo kehrt zurück mit zwei Basketballgroßen Kokosnüssen, aus denen ein Strohhalm ragt. Die wässrige Milch ist erfrischend. „Schade, dass du meine Oma nicht kennenlernen wirst“, sagt er, „denn sie macht das beste Ceviche der Welt“. Ceviche, das ist eine Art Nationalgericht: Fisch eingelegt in Limettensaft und Chili. Das zweitbeste Ceviche gibt es am Fischmarkt, unten in der Nähe des Hafens, wo die Häuser türkis und rosa gestrichen sind und aus den Radios Reggae-Beats dröhnen. In Panama-Stadt leben viele Nachfahren der karibischen Sklaven, die einst beim Kanalbau halfen. „In jedem Panameño steckt etwas von einer anderen Nation“, sagt Rodrigo zum Abschied.
Auch interessant
40 Schiffe durchqueren täglich den Kanal
Auch Francisco und Escolatica sind eingewandert, aus Darien, in der Nähe von Kolumbien, als der Kanal gebaut wurde und Panama-Stadt einen großen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. Er hält bis heute an: 40 Schiffe wälzen sich pro Tag durch den Kanal, acht Stunden pro Durchfahrt. Beladen mit Waren für die Kaufhäuser in aller Welt. Es ist faszinierend, an einer der Schleusen zu stehen und zu sehen, wie diese schwimmenden Riesen millimetergenau in das Betonbecken einfahren und sachte auf das niedrigere Wasserniveau sinken.
Der Chagres Fluss ist einer der Hauptzuflüsse des Kanals, deshalb ist im Frühjahr das Wasser so niedrig, dass Francisco und Escolatica mit den Stäben nachhelfen müssen, um ihr Boot bis zum Dorf zu steuern. In den trockenen Boden am Flussufer haben die Emberá Stufen hinein geschnitten, am Ende der Stufen steht ein Torbogen: „Bienvenidos” – Herzlich Willkommen. Dahinter, in einer großen Hütte, ebenerdig, mit festgestampften Boden, stehen einige Männer, die aussehen wie Francisco mit Lendenschutz und Ketten. Sie trommeln, spielen auf Flöten und rasseln mit Nüssen.
Die Musik ist minimalistisch, wie eine analoge Techno-Party. Dazu tanzen die Frauen. Nicht, weil Vollmond ist oder sie die Götter anrufen. Sie tanzen für die Touristen. Oft sind es Kreuzfahrer, die Männer tragen Tennissocken, die Frauen große Hüte. Schweißflecken zieren die Hemden aller. Nun bekommen sie erklärt, wie man die Fasern der Chunga Palme färbt, lernen einen Tanz und aus welchem Holz man die schönsten Figuren schnitzen kann. Körbe und Masken aus Palmfasern stehen zum Verkauf, geschnitzte Frösche, Schlangen und Iguanas. Am Nachmittag kehren sie zurück auf ihr Schiff, das am Tor zum Panama-Kanal, dem Herzen des Landes, vor Anker liegt.