Essen. Mallorca, Italien und die Kanaren sind beliebte Reiseziele. Doch viele der typischen Badeziele sind bekannt und für einige Reisende nicht mehr interessant. Denn der nächste Urlaub soll etwas exotischer und ausgefallen sein. Ein ungewöhnliches Ziel ist zum Beispiel die Krim.

Sommer 2007. Mallorca, Bulgarien, Italien, die Kanaren, Kuba und ja, auch die schönen Strände in Thailand und Bali. Alle gängigen Badeziele sind bekannt und abgehakt. Da stellt sich die Frage: Gibt es nicht noch etwas exotisches? Etwas, was nicht jeder macht, wo nicht jeder ist?

„Fahrt doch mal auf die Krim“, raunt ein Bekannter. Schnell wird klar, dass dieses Ziel tatsächlich ziemlich ungewöhnlich ist. Die Auswahl ist dünn, kaum ein Anbieter hat die Destination im Programm. Einzig Dertour offeriert das Hotel Bristol im historischen Kurort Jalta. Der Preis für die einwöchige Drei-Sterne-Pauschale ist happig, aber wir wollen ja bewusst einmal die ausgetretenen Pfade verlassen.

"Vorne hui, hinten pfui"

Gebucht und hin. Auch deshalb, weil die Ukraine, anders als Russland, ohne lästiges Visaverfahren auskommt. Schnell wird klar, wir sind mutmaßlich die einzigen deutschen Urlauber, die in dieser Woche das renommierte Seebad als Ziel gewählt haben. Die Lage der Unterkunft ist perfekt. Genau zwischen dem Strandabschnitt und der berühmten Meerespromenade.

Das Hotel: vorne hui, hinten pfui. Der Blick aus dem Zimmer geht auf eine Baustelle, inklusive lautstarker Arbeiten. Egal, wir wollen das Meer sehen. Ein staubiger Pfad führt zum Massandrastrand. Rechts und links kleine Souvenirshops und rustikale Kiosk-Buden. Gegrillte Maiskolben und fettige Backwaren werden verkauft. Aber es gibt auch eine Reihe von (überteuerten) Restaurants, die mit tollem Blick auf die See locken. Unterhalb des schmalen Weges befindet sich der Kiesstrand.

Völlig unbeobachtet entspannen

Wer sich nicht auf die harten Steine legen möchte, findet auf speziellen Seebrücken Platz, die in das Wasser ragen. Umgerechnet fünf Euro kostet die Liege hier. Das passt, mehr brauchen wir nicht. Das Buch wird gezückt, der Kopfhörer aufgesetzt. Zwischendurch holen wir uns ein kühles Bier und mittags gibt es eine Pizza Vegetaria für immerhin zehn Euro im Strand-Restaurant „Van Gogh“. Keine besonderen Vorkommnisse – könnte man meinen.

Aber es gibt ihn, den spürbaren Unterschied im Vergleich zu den eher konventionellen Reisezielen der Pauschaltouristik. Ist man es normalerweise gewöhnt als deutscher Urlauber automatisch im Mittelpunkt zu stehen, interessiert sich hier absolut niemand für uns. Man könnte fast sagen, dass die Angestellten der Restaurants und auch die übrigen Gäste am Strand vor lauter Desinteresse durch uns hindurch schauen. Das wirkt zunächst etwas befremdlich, hat aber in gewisser Weise auch eine befreiende Wirkung. Wir können uns völlig unbeobachtet entspannen und haben unsere Ruhe.

Wenn man sich aufs „Njet“ freut

Unpraktischer wird es, wenn ein Sonderwunsch fällig wird. Alles, was von der Norm abweicht – und sei es nur eine alternative Beilage zum Grillspieß – wird mit einem reflexartigen „Njet!“ beantwortet. Nach einer Weile beschließen wir, dass dieser besondere Service einen unverwechselbaren Charme hat und fiebern schon freudig dem nächsten „Njet!“ entgegen.

Später am Abend verschiebt sich das Geschehen vom Strand an die Promenade Nabereshnaja Lenina. Die prachtvollen Bauten entlang des Schwarzmeerufers erinnern an die Zeit von Tschechow, Tolstoi und Tschaikowski, im Hintergrund thronen die imposanten Ausläufer des Krimgebirges. Und ja, wie der Name der Straße schon verrät, Lenin ist auch noch da. Eine strenge Bronzestatue des russischen Machthabers steht wie eh und je auf einem roten Postament.

Der heißestes Catwalk

Fast zwangsläufig stellte sich schon damals die Frage: Was ist hier eigentlich russisch, was ukrainisch? Die übrigen Urlauber der Halbinsel kommen sowohl aus Russland als auch aus anderen Teilen der Ukraine. Und in welche Richtung die nationale Identität und Zugehörigkeit der Krimbewohner geht, ist ebenfalls nicht eindeutig auszumachen. Einzig bei der Sprache herrscht Klarheit. Gesprochen wird ausschließlich russisch. Die Verständigung in Englisch ist dagegen fast unmöglich. „Sorry, do you speak english?“ „Njet!“

Völlig ohne Worte (weil der Mund offen stehen bleibt) ist hingegen der Anblick der unzähligen Damen, die unübersehbar mit Absätzen auf Mount-Everest-Niveau über die Promenade stolzieren. Klischee hin oder her: Die Krim ist an dieser Stelle der heißeste Catwalk, den wir je gesehen haben! Mit Einbruch der Dunkelheit offenbaren sich weitere optische Reize. Überall blinkt und leuchtet es, große Teile der Flächen vor dem Wasser werden nun für eine wilde Kirmes genutzt. Allerlei grelle Attraktionen und kleine wie größere Fahrgeschäfte bieten dem Flaniervolk kurzweilige Unterhaltung unter freiem Himmel.

Erster Kontakt zur Bevölkerung

In einem Restaurant in einer Seitenstraße ergibt sich dann doch ein Kontakt zur Bevölkerung. Der fröhliche Rest einer Hochzeitsgesellschaft freut sich ehrlich und herzlich über die seltenen Gäste aus dem Westen. Natürlich, ein Wodka auf die Braut, da können wir uns nicht verwehren. Dabei soll es nicht bleiben. Es wird eine lange Nacht.

Die Tage vergehen mit süßem Nichtstun am Strand und gemütlichen Spaziergängen ohne festes Ziel entlang des Wassers. Das Gefühl als mehr oder weniger einziger westlicher Tourist in diesem speziellen Kosmos auf der Krim unterwegs zu sein, ist nach wie vor sehr präsent.

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Am frühen Morgen in der Disko wummern die Bässe. Nach dem ersten Drink schiebt der Barkeeper unvermittelt ein Bataillon an Cocktails in meine Richtung. Obwohl überhaupt nicht bestellt, verlangt er frech eine astronomisch hohe Summe. Mein freundliches aber bestimmtes „Njet!“ hat zur Folge, dass mich umgehend zwei breitschultrige Stiernacken umgeben und ohne weitere Diplomatie das Geld ziemlich rabiat und laut einfordern.

Doch meine Bestände in der Landeswährung sind erschöpft. Zwei junge Frauen aus Odessa erkennen die Situation und begleichen kurzerhand die Rechnung. Das durchsichtige Gebaren des Personals ist ihnen gegenüber dem ausländischen Gast sichtlich unangenehm. Später, nach dem Gang zum Geldautomaten, verweigern sie hartnäckig die Rückzahlung.

Mit Klitschko allein auf dem Zimmer

Samstag, 7. Juli. Heute Abend ist der große WM-Kampf von Wladimir Klitschko gegen Lamon Brewster. Die Vorfreude ist schon groß. Sicher wird es hier, im Heimatland des Boxers, ein prächtiges Public Viewing geben. Und wir sind live dabei! Doch als sich der Kampf nähert, haben wir noch immer keine Stelle gefunden, wo das Spektakel öffentlich übertragen würde, noch nicht einmal in einem Restaurant.

Überrascht hetzen wir in unser Hotel. Die Bar ist bis auf das Personal verwaist, auf dem Fernseher flimmern die Nachrichten. Zwei Bier bitte. Und ob es wohl möglich wäre für uns als Hotelgäste das Programm zu wechseln, der große Klitschko-Kampf... Die Antwort kommt scharf, kurz und eindeutig: „Njet!“.

Enttäuscht und verwirrt sitzen wir anschließend auf unserem Zimmer und schauen den Fausthieben Klitschkos zu. Was gerade passiert ist, wir können es einfach nicht verstehen. Erst heute haben wir die Antwort darauf erhalten.