Das Almleben ist ein bisschen wie vor hunderten von Jahren - und rauf geht es nur zu Fuß
Die Aussicht auf einen hausgemachten Apfelstrudel lässt den letzten Anstieg viel leichter erscheinen. Trotz steiler Hänge und dünner Luft. Vor allem, wenn man vorherhörte, dass der Strudel von Sabine der Beste im ganzen Kleinwalsertal sein soll.
Sabine Ott, die geniale Bäckerin, ist mit Leib und Seele Hüttenwirtin auf der Bärgunt-alm im Kleinwalsertal. Sie sorgt für die richtige Stimmung in der Hütte. Denn natürlich geht's nicht nur um den Apfelstrudel, sondern auch um die urige Holzbank, von der man den Blick auf dem Gipfel des Widdersteins genießt oder um ein Gespräch, dass mit den anderen Wanderern und der Wirtin geführt wird. Für Alpenfolklore hat Sabine Ott aber nichts übrig: „I lauf nit im Dirndl rum”. Die Tracht ist der resoluten Frau schlichtweg zu unpraktisch in ihrem 16-Stunden-Alltag.
Seit 17 Jahren bewirtschaftet die 40-Jährige zusammen mit Bruder Wolfgang die älteste Alp im Kleinwalsertal. „Ich hab' gerade in Amerika gejobbt, als der Alpmeister telefonisch anfragte, ob ich die Hütte übernehmen will.” Weiter in der Fremde oder wieder heim? Sie sagte zu.
Sabine schmeißt die Gastwirtschaft, Wolfgang kümmert sich um 14 eigene Kühe und das Pensionsvieh. Seine und die Kühe der Bauern aus der Umgebung genießen von Mitte Juni bis zum Almabtrieb Mitte September Vollpension. Dafür bekommt der Älpler die ersten 600 Liter Milch pro Pensionskuh, ab dem 601. Liter erhält er einen Anteil vom Verkaufserlös.
„Wenn du Almwirtin bist, musst du unheimlich viel selbst erledigen”, erzählt Sabine. Zum Beispiel den Wasserhahn reparieren oder im Winter die Hütte freischaufeln – kochen und backen sowieso – und natürlich die Gäste bewirten. „Man wird dadurch selbstbewusst”, sagt sie. Das hat auch Recip, ihr türkischer Saisonarbeiter akzeptiert. Dennoch ist Sabine Ott keine linientreue Emanze. „Emanzipation hin oder her. Ich bin froh, wenn manche Arbeit der Mann macht.”
Denn die Arbeit auf der Alp ist Schwerstarbeit. Das bestätigt Sven Stadler von der Melköde, einer Sennalpe im Schwarzwassertal. Der Mann mit der ausgeprägten Vorliebe für Piercings und Tattoos entspricht so gar nicht dem Klischee eines Bergbauern. Der 34-Jährige hat in einer Käsefabrik das Molkereifach gelernt, ehe sein Traum vom Leben auf der Alp wahr wurde.
Morgens um Fünf beginnt sein täglicher Traum. Erst die Kühe melken, dann verarbeitet der Senner sie zu Bergkäse – und das bei ziemlich lauter Rockmusik, schließlich ist er allein in seiner Käserei. Zwei Laib Käse, rund 20 Kilo schwer, stellt er täglich her. An seinem Arbeitsplatz herrschen tropische Temperaturen. Der große Milchkessel wird bis auf 52 Grad erhitzt und muss dabei stets gerührt werden. Nach dem Eindicken, das durch die Zugabe von Lab in Gang gesetzt wird, fischt der Senner den Käsebruch aus der Molke heraus. Der Käse wird gepresst und während des monatelangen Reifeprozesses immer wieder gewendet.
Nach dem Almabtrieb im Spätsommer zieht Sven weiter. Im letzten Winter hat er im Altenheim gearbeitet, dieses Jahr will er in Indien überwintern. Das Geld dafür hat er zusammengespart. „Hier oben kann man ja nicht viel ausgeben.”
Info
Lage: Das Kleinwalsertal liegt im österreichischen Voralberg, ist mit dem Auto aber nur von Deutschland aus zu erreichen.
Anreise: Mit Pkw über Oberstdorf (10 km entfernt) auf der B 19. Mit Zug die Direktverbindung ab Dortmund nach Oberstdorf. Von dort weiter mit dem Walserbus. Mit Tuifly, 01805/75 75 10, www.tufly.com ab Köln nach Memmingen. 95 Kilometer Bus-Transfer ins Tal.
Kontakt: 0043/55 17 51 14 0 www.kleinwalsertal.com
Insgesamt gibt es 54 bewirtschaftete Hütten im Kleinwalsertal. In leicht zugänglichen Nebentälern: Gemstel-, Bärgunt- oder Schwarzwassertal. Seitdem die Touristen das Wandern neu entdeckt haben, stieg ihre Zahl sprunghaft an. Im Gemsteltal hat 1990 gerade eine einzige Hüttenwirtin erschöpfte Flachland-Bewohner mit einer kräftigen Brotzeit aufgepäppelt, heute gibt es vier gut besuchte Hütten im Tal.
Echte Unikate sind auf vielen Hütten anzutreffen. Attila, der Ungar, schenkt auf der Schwarzwasserhütte Enzian aus, Renate Mossbrugger aus Lippstadt, führte auf der Bühlalpe deftigen Grünkohl mit Mettwurst ein: Die Westfälin kam 1974 ins Kleinwalsertal, verliebte sich in einen Einheimischen und blieb. Oder auch Elkse aus Enschede, die auf der Fiderpasshütte jobbt. Auf der Terrasse der Alpenvereins-Hütte verläuft indes die Staatsgrenze. Das eingepackte Stück Apfelstrudel von Sabine schmeckt übrigens auf beiden Seiten der unsichtbaren Grenze.