Hannover. Nach einem Jahr im Amt spürt Tui-Chef Joussen Rückenwind. Die Aktionäre beklatschen seine eingeleiteten Kurs-Korrekturen. Kritik vom neuen Chef gab es für die Arbeit des Vorgängers - und die Branche selbst. Sie zeigt nach Joussens Geschmack zu wenig Selbstbewusstsein.
Schulterklopfer, Komplimente, strahlende Gesichter: Nach einem Jahr im Chefsessel von Europas größtem Reisekonzern geriet die Aktionärsversammlung der Tui AG in Hannover für Vorstandschef Friedrich Joussen zur Jubel-Tour. "Sie haben uns alle überzeugt, dass der Konzern neuen Schwung hat", freute sich Aktionärsvertreter Hansgeorg Martius. Ein Anleger nannte Joussen gar "Friedrich den Großen" - mit Augenzwinken zwar, aber durchaus respektvoll.
Für die Tui-Anleger hat Joussen tatsächlich gute Zahlen im Gepäck: Der Aktienkurs stieg im ersten Jahr unter Joussens Leitung zwischenzeitlich um fast zwei Drittel, der Börsenwert von 2,08 auf 3,41 Milliarden Euro, rechnete Aufsichtsratschef Klaus Mangold vor. Mit Blick auf die erste Dividendenzahlung seit 2007 sagte er: "Die früher bestehenden Spannungen zwischen Vorstand und Aktionären sind beseitigt."
Kritische Worte an Vorgänger und Industrie
Kritik gab es nur wenig: Die Dividende sei zu niedrig, monierten einzelne Anleger. Einer wertete die erste Ausschüttung seit Jahren als anbiedernde Schaufensterpolitik, die durch die Gewinne aus dem laufenden Geschäft nicht gedeckt seien. Aktionärsschützer mahnten, dass der Umbau des Unternehmens noch nicht abgeschlossen sei. "Auf einem Luxusliner sind wir noch nicht, aber wir sind auf einem netten Ausflugsdampfer gelandet", fasste Alexander Richard von Vietinghoff-Scheel von der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz zusammen.
Joussen genoss die vielen Schulterklopfer sichtlich. Er sei schnell angekommen in der für ihn neuen Welt des Tourismus, lobte Aufsichtsratschef Mangold. Allerdings verkauft sich diese Welt aus Sicht von Joussen in der Öffentlichkeit völlig unter Wert. Als gefeierter Branchen-Neuling - zuvor war Joussen Deutschlandchef bei Vodafone - sparte der Manager auf der Versammlung nicht mit kritischen Worten an die Adresse von Vorgänger und Industrie. Für den ehemaligen Tui-Chef Michael Frenzel, weil er am Ende seiner Amtszeit die Aktionäre aus dem Blick verloren hatte - und für die Branche, weil sie nach Joussens Meinung kaum Selbstbewusstsein zeigt. Denn Joussen sieht Gefahr im Verzug.
Verstärkung des Online-Geschäfts geplant
Wegen drohender Gewerbesteuer-Nachforderungen in Milliardenhöhe befürchtet der 50-Jährige Duisburger vor allem im Mittelstand eine Pleite- und Entlassungswelle. Die Finanzämter begründen die Nachzahlungen mit einer Gesetzesreform von 2008. Demnach müssten Reiseveranstalter Gewerbesteuer auch auf die von ihnen vermittelten Hotels bezahlen - als würden ihnen die Häuser selbst gehören. Dies ist aber nur bei vergleichsweise wenigen der Hotels aus den Katalogen der Fall.
Mit einem Weckruf versuchte Joussen daher die Branche aufzurütteln: "Die Tourismusindustrie muss geschlossener, klarer und selbstbewusster werden", hatte er in seinen Redetext geschrieben. "Viele wissen nicht, dass sieben Prozent aller Beschäftigten in Deutschland im Tourismus arbeiten - mehr als in jeder anderen Industrie." In der öffentlichen Wahrnehmung der Branche schlage sich das kaum nieder.
Joussen hatte im vergangenen Geschäftsjahr vor allem mit dem Sparprogramm "OneTui" die Kostenstruktur neu strukturiert und sich um das Vertrauen der Anleger bemüht. In den kommenden Jahren will er den Konzern vor allem im Online-Geschäft stärker ausrichten. (dpa)