St. Gerold. Bei gerade einmal 3400 Einwohnern sind noch weite Teile des Großen Walsertals in Österreich fast unberührt. Auf den Alpenwiesen wachsen allerlei Wildkräuter, die die Anwohner zu Tees und Delikatessen verarbeiten. Ihr Bergtee hat es mittlerweile sogar bis in die Wiener Kaffeehäuser geschafft.

Pater Kolumban geht über den gepflasterten Hof des Klosters von St. Gerold. Eine alte Steinmauer umgibt den kreuzförmig angelegten Klostergarten im Großen Walsertal. In seiner Mitte liegt ein Brunnen, umrankt von Rosen. Auf den vier Feldern, die den vier Jahreszeiten und den vier Himmelsrichtungen entsprechen, sprießen Gemüsepflanzen, gesäumt von vielen Kräutern. "Wir huldigen der Schöpfung, wollen im Einklang mit der Natur leben und den Menschen Lebensfreude vermitteln", erklärt der Geistliche.

Die Kräuterbeete im Klostergarten hat Susanne Türtscher angelegt, die bekannteste Kräuterexpertin im Großen Walsertal. "Der Klostergarten, der Garten an sich, ist ein Abbild des Paradiesgartens", sagt die 49-Jährige. Auch ihr eigener Garten in Buchboden, dem letzten Dorf im Großen Walsertal, gleicht einem Naturparadies. Er quillt geradezu über, so üppig wachsen Stauden, Blumen und vor allem Kräuter, die sie zu Essenzen verarbeitet.

Wildkräuter werden im Morgentau gesammelt

Kräuter sind ihr Leben. In einer nahe gelegenen ehemaligen Mühle hat sie 2010 ein Seminarzentrum eingerichtet, wo die Kräuterpädagogin und Gärtnerin Kurse anbietet.

Am frühen Morgen, noch bevor die Sonne aufgeht, brechen Türtscher und ihre Gäste zur Medizinwanderung auf. Auf den Alpenwiesen sammeln sie Wildkräuter im Morgentau. "Ich pflücke nur reine, unversehrte Blättchen", erläutert die Pflanzenkennerin.

Noch am selben Tag verarbeitet ihr Schwager Georg Türtscher, Chef und Koch des Familienhotels "Kreuz" in Buchboden, die Ausbeute zu einem Kräutermenü. Da gibt es Gnocchi mit Gutem Heinrich, einer spinatartigen Pflanze. Gefolgt von Schweinemedaillons in Bergkräuterkruste auf Brennnessel-Kohlrabigemüse mit Kartoffel-Gierschpuffer.

Die Liebe zur Natur liegt den Walsern im Blut

Das 80-Seelendorf Buchboden ist Ausgangspunkt für verschiedene Wanderungen. Eine Strecke führt in das Gadental, das für seine große Orchideenvielfalt bekannt ist. Mehrere Arten, wie etwa der Frauenschuh, gelten als bedroht. Wie in einem Urwald säumen die riesigen Blätter der Pestwurz den Weg. Weil damit früher Butter eingewickelt wurde, heißt die Pflanze im Volksmund auch Schmalzblatt. Schon in der Antike galt sie als Mittel gegen Schmerzen.

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Das Große Walsertal mit seinen steilen Hängen ist schwer zu bewirtschaften. Bei gerade einmal 3400 Einwohnern sind viele Bereiche fast unberührt und einsam. So kann sich die Natur entfalten. Vor 700 Jahren wanderten die Walser aus dem Schweizer Kanton Wallis in das Gebiet von Vorarlberg aus. Sie brachten ihre eigene Sprache mit, das Alemannische.

Die Liebe zur Natur liegt den Walsern im Blut. "Unser Ziel ist es, altes Walser- und Kräuterwissen wieder ins Licht zu heben", erklärt Susanne Türtscher. Deshalb hat die Walserin die Kräutergruppe "Alchemilla" gegründet. Der Namen geht auf die Lateinische Bezeichnung des Frauenmantels zurück.

Großes Walsertal

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Der Bergtee hat den Weg bis in die Wiener Kaffeehäuser gefunden 

15 Frauen sammeln Kräuter und stellen daraus Naturprodukte her: Seifen, Balsam, Tinkturen, Tees - ideale Mitbringsel für Touristen. Die Kräuterfrauen sammeln aber auch Wissen über Heilpflanzen und geben es in Kursen weiter.

So zeigt Monika Hartmann, eine der Alchemilla-Frauen, Gästen ihren Kräutergarten in Sonntag-Türtsch. Ihr Garten der Vielfalt liefert den Bienen die Lebensgrundlage. Die Imkerin verarbeitet nicht nur Honig, sondern auch Propolis. Aus dem natürlichen Kittharz der Bienen entstehen Seifen. Propolis-Lippenbalsam soll bei Herpes helfen und die Creme als Narbenmittel. "Altes Heilwissen ist durch die moderne Medizin verloren gegangen", meint Monika Bischof. "Wir Kräuterfrauen versuchen, diese Kenntnisse wieder zu reaktivieren und weiterzugeben."

Eine andere Initiative im Tal kümmert sich ausschließlich um Bergtee. Überall im Tal werden Wildkräuter gesammelt und zentral verarbeitet. Inzwischen hat der Bergtee aus dem einsamen Großen Walsertal sogar seinen Weg bis in Wiener Kaffeehäuser gefunden.

Alles wird mit Bergblumen dekoriert

Auch die Bergbäuerin Andrea Schwarzmann serviert Bergtee, eine Mischung aus Ringelblume, Schafgarbe, Brennnessel, Salbei, Johanniskraut und Rotklee. Gerade trifft sie auf der Alpe Steris die letzten Vorbereitungen für ihr Älpler-Frühstück. Als die Wanderer eintreffen, stehen in der Almhütte aus dem 18. Jahrhundert eigener Alpkäse und Yoghurt, hausgemachte Marmeladen und Latschenhonig bereit, alles mit Bergblumen dekoriert.

In der Küche bereitet Andreas Mutter Riebel, ein typisches Bauerngericht aus Grieß, Milch und Butter zu. Die Gäste tunken ihn traditionell in den Kaffee. Trotz ihrer Aufgaben als Landesbäuerin von Vorarlberg und Bundesbäuerin von ganz Österreich verbringt Andrea den Sommer auf der Alp: "Hier fühle ich mich tief mit der Natur verbunden." (dpa)