Soweto. Nelson Mandela ist nicht erst seit seinem Friedensnobelpreis 1993 ein international geachteter Mensch. Südafrika nennt ihn liebevoll “Tata“ (Vater), nachdem er über 50 Jahre lang gegen die Apartheid in seinem Land kämpfte und im Gefängnis saß. Eine Reise auf den Spuren Nelson Mandelas.
Kein anderer hat Südafrika so bewegt, so verändert. Für die einen war er Staatsfeind Nummer eins, für die anderen steht sein Name auch heute noch für Freiheit, Abschaffung der Apartheid, für Frieden und schwarzes Selbstbewusstsein. Nelson Mandela. Über 50 Jahre lang kämpfte der Häuptlingssohn aus dem winzigen Dorf Mvezo in der Transkei für die Freiheit Südafrikas. Sein langer Kampf gegen das frühere Apartheid-Regime führte ihn von der Wild Coast nach Johannesburg und Kapstadt und von dort in viele andere Regionen der „Regenbogen-Nation“.
18 seiner insgesamt 27 Jahre langen Haft verbringt Tata (Xhosa: Vater), wie ihn die Südafrikaner liebevoll nennen, auf der Gefängnisinsel Robben Island in der Tafelbucht – eine halbe Stunde mit dem Boot von der Kapstädter Waterfront entfernt. Eine kurze Schifffahrt, aber ein Meilenschritt zurück in die leidvolle Vergangenheit des Landes. Das Maximum Security Prison ist noch im Originalzustand: kleine, dunkelgraue Steinhäuschen, hohe Mauern, kahle Zellen. „No man’s land“. „Mit drei Schritten konnte ich meine Zelle der Länge nach durchschreiten. Ich war ein zu lebenslänglicher Haft verurteilter politischer Gefangener, und dieser kleine enge Raum sollte mein Heim sein – für wie lange, wusste ich nicht“, schreibt der Häftling mit der Nummer 46664 später in seiner Autobiografie „Long walk to freedom“.
Nie an Flucht gedacht
Heute begleiten die Touren über die Insel, seit 1999 Unesco-Weltkulturerbe, Ex-Gefangene. Unsumzi Mcongo ist einer von ihnen. Im Oktober 1978 wird er zu 15 Jahren Haft verurteilt. Sabotage und Terrorismus lautete damals das Urteil. Mit leiser, aber fester Stimme erzählt der kleine, kahlköpfige Mann von den Zuständen, die er und seine Mitinsassen ertragen mussten: „Wir waren mit bis zu 50 Leuten in einer Zelle eingesperrt, mussten auf dem Betonboden schlafen und uns, selbst im Winter, mit eiskaltem Salzwasser waschen.“ An Flucht dachte Unsumzi nie. „Wir waren keine Feiglinge, wir wollten das System bekämpfen und die Ungerechtigkeit.“
Auf der vierstündigen Tour fahren wir auch zu dem Kalksteinbruch, wo Mandela und seine Mithäftlinge von früh bis spät hart arbeiten mussten. Heute knallt die Sonne erbarmungslos. Der imposante Tafelberg leuchtet am Horizont.
Politische Diskussionen in den Felsgrotten
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Der Nationalheld schreibt in seinen Memoiren: „Schlimmer als die Hitze im Steinbruch war das Licht. Die Sonnenstrahlen wurden vom Kalk in unsere Augen reflektiert. Das Licht war so grell, dass uns die Augen schmerzten, und machte zusammen mit dem Staub das Sehen schwer.“ Nicht nur Mandela leidet an einer Augen- und Lungenkrankheit von der Schufterei. Auch Unsumzi trägt eine Sonnenbrille.
Der Steinbruch hat jedoch auch sein Gutes: Die Häftlinge essen mittags in Höhlen und benutzen diese ebenso als Toiletten, die Aufseher meiden deshalb die Felsgrotten. So entsteht hier das „Erste demokratische Parlament Südafrikas“. Es wird politisch heiß diskutiert.
Vögel haben das Mandela-Gefängnis übernommen
Die Insel beherbergt nicht nur Mahnmale vergangener Schrecken, sondern auch einen natürlichen Lebensraum für Tausende von Brillenpinguinen, Pelzrobben, Antilopen. In dem einzigen Dorf der 574 Hektar großen Insel brüten zwischen lauter gelben Häusern Tausende von Möwen. Friedliches Geschreie. Vögel haben das südafrikanische Alcatraz übernommen. Vorbei geht’s an der Kirche, in der Mandela an Gottesdiensten teilnahm. An der Poststelle, in der die Briefe von seiner zweiten Ehefrau Winnie ankamen – und zensiert wurden.
Mandela - 20 Jahre frei
Noch immer leben 150 Menschen auf Robben Island, ebenso Unsumzi zeitweise. Aber er sieht erleichtert aus, als er später auf dem Boot Richtung Kapstadt sitzt. „Die Führungen im Gefängnis helfen mir beim Heilungsprozess. Doch es war hart, Ende der Neunziger, als der Knast zum Museum wurde, zurückzukommen“, gibt er zu.
Zurück nach Soweto
Sein berühmter Mitinsasse kehrt nach seiner Entlassung von Robben Island im Jahr 1990 mit Winnie zurück nach Soweto. Genauer gesagt nach Orlando West, in die Vilakazi Street No. 8115: „Erst da wusste ich auch innerlich, dass ich das Gefängnis verlassen hatte.“ Heutzutage ist auch sein damaliges Zuhause ein Museum: Das Mandela House – im größten Township des Landes gelegen – veranschaulicht mit Kunst, großformatigen Schwarz-Weiß-Fotos und anderen Erinnerungen (wie Einschüssen in der Hauswand) das Familienleben der Mandelas und die politische Vergangenheit Sowetos. Das bescheidene, heute mit Stahlzäunen gut gesicherte, Vier-Zimmer-Haus – zu Mandelas Zeiten ohne Strom und mit Plumpsklo im Garten – liegt in der einzigen Straße weltweit, in der zwei Friedensnobelpreisträger fast Tür an Tür wohnten. Der ehemalige Staatspräsident und Erzbischof Desmond Tutu, auch Anti-Apartheid-Kämpfer.
Nicht weit weg von der Vilakazi Street erinnert so auch die Regina Mundi Church an den langen Freiheitskampf. In der größten romanisch-katholischen Kirche Südafrikas finden während der schwarzen Befreiungsbewegung eine Menge politischer Treffen statt. Schwarzen war normalerweise verboten, an Versammlungen in der Öffentlichkeit teilzunehmen. Während des Soweto-Aufstandes 1976 flüchteten viele Schüler in die Kirche, Polizisten folgten ihnen und schossen wahllos auf die jungen Demonstranten. Foto-Ausstellungen erinnern an die bedrückende Vergangenheit. Ein denkwürdiger Ort.
Beverly Hills in Südafrika
Soweto ist unbedingt einen Besuch wert – im Rahmen einer geführten Tour. Lehrreich. Mittlerweile leben Schwarze aller sozialen Schichten in der Vier-Millionen-Einwohner starken Siedlung. Neben endlosen Reihen kleiner Steinhäuser wachsen neue Wellblechhüten aus dem Boden, auf der Straße schlachten Männer Kühe, Frauen grillen Schafsköpfe. Doch es gibt auch wohlhabendere Viertel – wie eben Orlando West, das Einheimische „Beverly Hills“ nennen.
Soweto hat sich gewandelt: Shopping Malls, ein verbessertes Bussystem, gemütliche Restaurants wie das „Sakhumzi“. Doch Probleme sind noch viele zu bewältigen: Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Aids – Mandela schreibt 1994 vorhersehend: „Ich wage nicht zu verweilen, denn mein langer Weg ist noch nicht zu Ende.“