Valetta. Ganz sind sich die Malteser nicht einig, was sie von der EU-Mitgliedschaft halten sollen. Einerseits sind sie etwas beleidigt, nicht als Europäer wahrgenommen zu werden, andererseits sehen sie ihre Einzigartigkeit bedroht. Doch ihren Humor behalten die Malteser allen EU-Vorgaben zum Trotz.
Wenn ich die Wahl habe: ein Leben lang eine Freundin zu haben oder verheiratet zu sein, was würde ein Mann wohl tun?“ Der alte Herr wirft seine Kugel – und trifft. Wie alle Malteser spielt er Bocci. Nein, korrigieren Sie ihn bitte nicht. Nennen Sie es weder Boccia noch Boule. Bocci ist, tja: Bocci. Weil Malta Malta ist. Inselstaaten neigen zu diesen liebenswert-beharrlichen Alleinstellungsmerkmalen, die uns Unkundigen kaum mehr als Variation bekannter Kontinentalgrößen scheinen.
Der alte Herr pausiert am Bocci-Platz in Hafennähe. Man hat als Mann (Frauen tun das hier grundsätzlich nicht) keine Mühe, dem Nationalsport nachzugehen. Es gibt über 60 Vereine, auf gut 410.000 Einwohner – aber das nur nebenbei. Mit der Frau und der Freundin hat er übrigens nichts Zwischenmenschliches sagen wollen. Schließlich waren Scheidungen bis vor vier Jahren auf Malta schlichtweg nicht möglich. Nein, das war zwischen Bocci-Treffer und Pastizzi (saftige Teigtaschen, die es für Cents an jeder Ecke gibt) ein Seitenhieb auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Es ist seltsam mit diesen sympathischen, oft ziemlich verschmitzt schwadronierenden Maltesern. Einerseits sind sie ein bisschen beleidigt, von den Europäern als nicht sonderlich europäisch empfunden zu werden.
Der Automat hatte kein Geld für den Staatschef
Andererseits sehen sie mit der EU-Mitgliedschaft ihre vielen Unverwechselbarkeiten bedroht. Und ob das alles was bringt? Lachend erzählen Sie von der legendären Silvesternacht 2007, in der sie Mitglied der Währungsunion wurden, das Staatsoberhaupt mit großem Tamtam einen Geldautomaten traktierte – und nichts herauskam.
Außerdem, sagen unverbesserliche Nostalgiker, hätten die schönen, teils 40 Jahre alten Busse weichen müssen, um es denen in Brüssel recht zu machen. Diese Busse brachte man zum Halten, indem man eine Strippe zog. Die ließ ein Glöcklein beim Fahrer läuten. Es gab oft keine Türen, man hatte sie ausgebaut, die klemmten meistens eh. All diese zivilisatorischen Errungenschaften eines Zwergstaates von etwa Bremer Größe radierte das Riesenreich Europa aus. Unmöglich!
Malteser nehmen fast alles mit Humor
Mit Humor nehmen die Malteser fast alles. Nur ihre Geschichte, in der Briten, Sizilianer und Nordafrikaner üppig herumfuhrwerkten, nicht. Wer sie als Tourist entdecken will, dem muss es vorkommen wie die russische Matrjoschka. Hat man eine Schicht freigelegt, wartet die nächste. Nicht unbedingt hat sie mit der darüber zu tun. Zu viele haben Spuren hinterlassen; rätselhaft bis ungelöst die ältesten von ihnen.
Sie führen zu den fast 6000 Jahre alten Tempeln der Riesen („Ġgantija“) auf Maltas kleiner Schwesterinsel Gozo. Die Bedeutung der kargen Kultstätte ordnen selbst Geneigte nur mit Mühe ein. Die Lage auf dem Hochplateau aber macht sogar Banausen Freude. Regelrecht unheimlich: Der Abstieg ins Hypogäum von Hal Saflieni auf Malta. Die gewaltige unterirdische Grabanlage – mit famoser Kunstfertigkeit um 3600 v. Chr. in den Fels gehauen – ist inzwischen geschützt vor dem erstaunten, aber leider feuchten Atem touristischer Massen. Maximal 80 pro Tag dürfen hinein. Unbedingt schon von Deutschland reservieren!
Schillernde Kultur im Zentrum
Schillernder ist die Kultur im Zentrum: St. John’s Co-Kathedrale in La Valetta, überbordend barock ausstaffiertes Malteser-Erbe, das einen die Schätze im angegliederten Museum rasch übersehen lässt. Das beherbergt eines der größten Caravaggio-Werke überhaupt, „Die Enthauptung Johannes des Täufers“. Im Geschoss darüber finden sich grandiose Wandteppiche, die die Massen nicht selten verpassen. Fast ein Geheimtipp!
Und: Es lockt bei dieser kulturellen Fülle durchaus ein kulinarisches Gegenprogramm. Es hilft nebenbei gegen den Witz, alle Besatzer hätten Malta etwas Gutes zurückgelassen, bloß England leider seine Küche. Nein, wer sieht, wie hingebungsvoll Bauer Ricardo Zammit auf seinem Hof den Ziegenkäse (Gbejna) von Hand in Rotwein taucht und an der Luft mit viel Geduld zu kleinen Laiben trocknen lässt, weiß Fish & Chips dankbar fern.
Kultur und Kulinarik
In Gozos Zitadelle kann man authentisch-rustikal bei Zammit einkehren (Ta’ Rikardu, 4 Fosos Street, Victoria). Durch seinen Weinberg spazieren gelassen die Hühner. Dass der duftige Sauvignon Blanc uns bisher eine unbekannte Größe war, liegt nah: Mit den paar Hektar werden die Malteser gut alleine fertig.
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Kultur und Kulinarik sollte man hier nicht als Konkurrenten sehen. Durch Tony Farrugias Taverne weht jedenfalls Geschichte. Eben noch hat der stämmige Wirt ein Spanferkel ins Feuer geschoben, jetzt knetet er den Teig für „Tfira“ (don’t call it Pizza). Sein Brot sollte man ebenfalls kosten. Jeder Malteser ist stolz auf sein Brot. Tonys aber ist historisch! Er befeuert „den ältesten erhaltenen Steinofen“. Fürs knusprige Ergebnis nimmt man die unscheinbare Kneipe in Kauf (Tal-Furnar, 136 Gnien Xibla Street, Xaghra, Gozo).
Schokoladenkuchen zum Nachtmahl
Auch ohne Badeurlaub (Engländer lieben den maltesischen Sommer-Grill) lässt sich eine Woche charmant variantenreich gestalten. Wer die Menschen hinter sich lassen will, residiert ideal in Mdina, Maltas einstiger Hauptstadt. Die Malteser nennen sie „die stille Stadt“. Tatsächlich wird das monumentale Kalkstein-Ensemble Abend für Abend zur Festung gegen alle drangvolle Tages-Touristik. Ja, es ist still. Vor dem „Xara“, einem Palast, der heute ein kleines, feines Hotel ist, serviert der Ober als Nachtmahl einen hausgemachten Schokoladenkuchen erster Güte. Ein Schelm, der fragt, ob das Rezept aus Europa stammt.