London. Für Engländer ist das Gärtnern weniger Hobby als eine hohe Kunst, die zur Perfektion getrieben wird. Viele der anmutigen Gärten des Landes liegen in der Umgebung alter Burgen, Schlösser und Landsitze. Besucher werden sich freuen: Der Eintritt ist frei, Spenden sind jedoch erwünscht.

Als Deutscher fällt man immer leicht rein auf britisches Understatement: Da verlässt man in Dover die Autofähre, sieht an pittoresk verwitterten Gartenpforten olle Gummistiefel stehen und hält die Kletterrosen für einen hübschen Zeitvertreib. Doch Vorsicht: Gärtnern auf der Insel ist eine richtig ernste Angelegenheit, ist Lebensart und hohe Kunst. Jetzt im Sommer gerät das Herz des traditionellen Englands zur Freiluft-Galerie, in der mit Lilien und Lupinen gemalt wird.

Penny Snell wartet mit Gurken-Sandwiches und Holunder-Limonade auf ihre Gäste. Die tapsen dann irgendwann herein, vorbei an der knorrigen gelben Teerose, die köstlich am Tor duftet. Sie bestaunen die blassblaue Klematis, wie sie sich in die Höhe rankt und inspizieren mit Argusaugen eine Darcey-Bussell-Rose, die Penny erstmals hinterm Haus pflanzt. „Es ist eine tolle Rose für kleine Gärten, weil die Blüten sich in Bündeln formen“, wird sie den fragenden Besuchern erklären, „die tiefrubinrote Farbe ist einzigartig.“

Der legendäre Garten Great Dixter. (Foto: Visit Britain)
Der legendäre Garten Great Dixter. (Foto: Visit Britain) © Visit Britain

Auch Penny Snell ist ein einzigartiges Gewächs: Längst im Rentenalter, öffnet sie zwei Mal jeden Sommer die Gartenpforte für Tausende Fremde, dazu kommen an anderen Tagen angemeldete Besuchergruppen aus der ganzen Welt. 3800 solcher ehrgeizig angelegten, offenen Privatgärten gibt es in England und Wales, und Penny als Vorsitzender des Vereins „National Gardens Scheme“ kennt sie alle.

Gärtnern mit Perfektion

Ein paar Geranienkübel reichen nicht aus, um in den erlauchten Gartenkreis aufgenommen zu werden. Ein Konzept muss her, eine klare gestalterische Absicht erkennbar sein. Mindestens. In der Realität dürften die Gartenbesitzer solche Perfektionisten sein wie Penny, die Gräser „wie Kleber“ zwischen Rittersporn und Glyzinie pflanzt, damit in den Beeten bloß kein Fleckchen Erde sichtbar ist.

Sissinghurst: The White Garden. (Foto: Sally Mackenzie)
Sissinghurst: The White Garden. (Foto: Sally Mackenzie) © Sally Mackenzie

Je prächtiger der Blumenteppich gelingt, desto besser: Gärten gelten den Briten als Zeichen der Zivilisiertheit, was die Hobbygärtner doppelt beweisen. Denn die Einnahmen - es werden Spenden, keine Eintrittsgelder erbeten – wandern komplett an Krebs-Hospize. Seit 1927 liefern die Gärten auf diese Weise „Flower Power“ fürs darbende Sozialsystem: „Der Verein wurde einst gegründet mit dem Ziel, die Gemeindeschwestern zu finanzieren.“

Im legendären Garten Great Dixter, nur wenige Kilometer entfernt, erhebt Fergus Garrett die kluge, großzügige Hege und Pflege gleich zur Lebensphilosophie. „Unser Freiwilligen-Team besteht aus Berufswechslern, Karriere-Gärtnern, Kids aus privilegiertem Hause und irrlichternden Jugendlichen, in denen wir das gewisse Etwas erkennen“, erklärt der Chef-Gärtner, „wir geben ihnen hier den Raum, sich zu entwickeln.“

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Maximales Experiment in klar definierten Grenzen – diese Devise im Umgang mit Mensch wie Blume hat Garrett zum Star der grünen Szene werden lassen. 50.000 Besucher pilgern jedes Jahr in den exotischen Bauerngarten vor der Kulisse eines mittelalterlichen Tudor-Hauses.

Der dynamischste Garten Großbritanniens

Manikürten Wimbledon-Rasen sucht man hier vergeblich. Stattdessen mäht Garrett in wilde Obstbaumwiesen einfach einen Korridor, um Besucher mittendurch schreiten zu lassen. „Das gefällt nicht jedem“, sagt Garrett, „aber uns gefällt es.“ Auch andere Flächen lässt er allen Spießer-Protesten zum Trotz kunstvoll verwildern.

Natürlich gibt es auch für solche Flächen einen „Management-Plan“, doch die Anmutung ist ein überbordernd-üppiges Farb-Crescendo. Im Gras sprießen Orchideen, um den Magnolienbaum rankt sich ungehindert der Blauregen, auf langen Beeten durchbricht hin und wieder ein Fenchel die perfekte Harmonie aus pinkfarbenen Lupinen und violettem Allium-Zierlauch.

„Wir lassen zu, dass Pflanzen sich selbst verteilen“, sagt Garrett, „nur ab und zu setzen wir sie an bekömmlichere Standorte oder geben ihnen Begleitblumen, die Insekten anlocken und sie so gesund halten.“ Genauso hält er es auch mit den vielen Schülern, die in Great Dixter lernen wollen – und bisweilen weiß man nicht, ob der Gärtner Menschen oder Blumen meint, wenn er ihnen „Grazie, fette Füße oder die Unfähigkeit, im Team im Beet zu stehen“ bescheinigt. Die ordnende Lockerheit im Umgang mit Zweibeinern und Vielblättrigen bringt Garrett jedenfalls jede Menge Lorbeeren ein: Great Dixter gilt als dynamischster Garten Großbritanniens. Trotz des Rummels soll das Anwesen „klein, süß und aufregend“ bleiben. „Wir sind schließlich nicht Sissinghurst Castle“, sagt Garrett mit einem kleinen Seitenhieb auf den zweiten Star-Garten Englands.

Der weiße Garten von Sissinghurst 

Dort hat der neue Chefgärtner Troy Smith kein Hemmungen, die frechen Spitzen aus Dixter zu parieren. Sissinghurst Castle gilt schließlich weltweit als Inbegriff des romantisch-schönen Gartens, einer, bei dem sich Sinnlichkeit und Sachlichkeit in Balance halten. Wo Dixter impulsive Abenteurer-Typen anspricht, ist Sissinghurst Refugium für Kopfmenschen mit Herzensbildung. Auch hier herrscht üppige Blumenfülle, doch seit jeher wird sie umgrenzt durch klassizistisch geführte Linien aus Eibenhecken.

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Dieses nüchtern-verspielte Arkadien ist Testament eines ebenso ungleichen Paares, das hier 1932 mit einigen Rosenstöcken der Sorte Madame Alfred Carriere begann: Vita Sackville-West, kapriziöse Schriftstellerin, und ihr Diplomatengatte Harald Nicolson. Während er den Garten in Räume strukturierte, füllte Vita sie mit Leben – hier nur Blumen in den Farben des Sonnenuntergangs, dort nur Pflanzen, die in Nuancen von Creme, Silber und Grün blühen.

Seit Jahrzehnten ist in Englands berühmtestem Garten wenig verändert worden. „97 von 107 Rosenstöcken, die Vita gepflanzt hat, stehen auch heute noch an ihrem Platz“, erklärt Smith, „dieser Garten wäre ohne seine Struktur und Disziplin nicht lesbar.“

Doch hier und da will er nun die Lockerheit eines Amateur-Gartens zurückholen, den Vita Sackville-West vor Augen hatte: Farben und Formen sollen mehr verschwimmen, die belehrenden Steckschilder aus den Blumenbeeten verschwinden, Rinder und Schweine zurück auf das Anwesen ziehen.

Pause bei einer Weinverkostung

Weniger florales Museum, mehr romantische Traumlandschaft – das nahegelegene Scotney Castle bietet schon jetzt die entspannte Opulenz, die Gärtner Troy Smith erst noch im Nationalheiligtum Sissinghurst etablieren will. Über sanfte Hügel erstrecken sich im Frühjahr blühende Rhododendron und Azaleen, im Herbst ein leuchtendes Farbenmeer. Zentrum des verwunschenen Parks ist ein wassergrabenumsäumtes Landhaus – Kulisse mancher Shakespeare-Produktion und Rückzugsort für Ex-Premierministerin Margaret Thatcher, die sich hier von den Amtsgeschäften erholte.

Englands kunstvolle Gärten

Das Weingut Chapel Down.
Das Weingut Chapel Down. © Visit Britain
Das Weingut Chapel Down.
Das Weingut Chapel Down. © Visit Britain
Das Weingut Chapel Down.
Das Weingut Chapel Down. © Visit Britain
Der Garten Great Dixter.
Der Garten Great Dixter. © Visit Britain
Der Garten Great Dixter.
Der Garten Great Dixter. © Visit Britain
Goodnestone Park Gardens.
Goodnestone Park Gardens. © Visit Britain
Die englische Gärtnerin Penny Snell.
Die englische Gärtnerin Penny Snell. © Uwe Messer
Scotney Castle und sein Garten.
Scotney Castle und sein Garten. © Visit Britain
Scotney Castle und sein Garten.
Scotney Castle und sein Garten. © Visit Britain
Das Schloss und Garten Sissinghurst Castle.
Das Schloss und Garten Sissinghurst Castle. © Sally Mackenzie
Im Garten Sissinghurst Castle.
Im Garten Sissinghurst Castle. © Sally Mackenzie
Im Garten Sissinghurst Castle.
Im Garten Sissinghurst Castle. © Sally Mackenzie
Im Garten Sissinghurst Castle.
Im Garten Sissinghurst Castle. © Sally MacKenzie
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Pausemachen von so viel konzentrierter Schönheit können Gartenreisende am besten im preisgekürten Weingut Chapel Down: Hier erklären Tüftler mit grünem Daumen, wie sie an der nördlichsten Weinanbau-Grenze Europas Trauben ernten, die die Franzosen blass vor Neid werden lassen. Bei der Verkostung jener edlen Tropfen, die selbst bei der Queen und Jamie Oliver serviert werden, kann man dann in Ruhe überlegen, wie man den eigenen, öden Vorgarten in ein Mini-Sissinghurst umwandelt. Einen Tipp gibt Troy Smith uns dafür mit auf den Weg: „Nimm es ernst und hab’ Spaß dabei.“