Essen. Jeder steckte schon mal drin - und trotzdem benehmen sich viele Autofahrer im Stau, als wäre es für sie das erste Mal. Da wird gepöbelt, gedrängelt und so alles nur noch schlimmer gemacht. Experten erklären, was Fahrer bei Stillstand wirklich weiterbringt.
Irgendwo erwischt es die meisten Urlauber: Bei den Vorausfahrenden leuchten die Bremslichter auf, der Verkehrsfluss auf der Autobahn verlangsamt sich, dann geht gar nichts mehr. Ein echter Stimmungskiller auf dem Weg in die Ferien. Voriges Jahr mussten sich Autofahrer nach ADAC-Angaben allein an den zwölf Wochenenden der Hauptreisezeit durch 11.187 Staukilometer quälen - und der Club hat nur Staus ab 10 Kilometern Länge zusammengezählt. Dabei kann jeder dazu beitragen, Stillstand zu verhindern oder dass sich Staus möglichst schnell wieder auflösen.
- Stauursachen: Reine Streckenüberlastung ist Ursache Nummer eins und Grund für rund zwei Drittel aller Staus auf Autobahnen. Hinzu kommen Baustellen und Unfälle. "10 bis 20 Prozent aller Staus entstehen aber durch menschliches Fehlverhalten", sagt Prof. Michael Schreckenberg, Verkehrsforscher an der Universität Duisburg-Essen.
Typisches Beispiel: Jemand weiß an einem Autobahnkreuz nicht so recht wo er hin muss, verlangsamt die Fahrt schlagartig, nachfolgende Autos bremsen stark ab, und der Verkehr gerät ins Stocken. "Sobald im zähfließenden Verkehr ein Wagen ganz anhält und wiederum andere zum Stoppen zwingt, entsteht eine Stauwelle, die mit etwa 15 km/h rückwärts rollt - und weitere folgen", erklärt Schreckenberg. Würden alle möglichst flüssig fahren, ließen sich viele Staus vermeiden. "Man muss auch nach hinten denken, nicht nur nach vorne."
Stauwarnungen ernst nehmen
- Staugefahr: Wenn der Live-Dienst im Navigationsgerät, die Schilderbrücken der automatischen Verkehrsregelung oder auch die Stimme im Radio vor Staus warnen, sollten Autofahrer das sehr ernst nehmen und hinter jeder Kurve mit dem Stauende rechnen, betont Sven Rademacher vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR). Das heißt: "Tempo anpassen, auf den Sicherheitsabstand achten - und wenn das Stauende in Sicht ist, den Warnblinker einschalten und die Fahrt möglichst gleichmäßig verlangsamen." Von einem Spurwechsel mit aktiviertem Warnblinklicht rät er ab: "Das kann nachfolgende Fahrer irritieren."
- Stopp-and-go: "Solange der Verkehr noch langsam rollt, schwimmen Sie am besten mit etwa zwei Wagenlängen Abstand locker mit - also nicht abrupt Gas geben oder bremsen. Und halten Sie möglichst nicht an", empfiehlt Rademacher. Wer in dieser Situation zum Spurwechsel ansetzt, verschlimmere die Lage hinter sich nur und habe am Ende gar nichts davon, mahnt der DVR-Sprecher.
Ist ein Spurwechsel zum Beispiel eingangs an Baustellen notwendig, weil eine Fahrspur endet, kommt es auf Teamgeist an: An der Stelle, an der die Spur zu Ende ist, sollte jeder auf der weiterführenden Spur ein Auto vor sich einfädeln lassen. "Leider haben dieses Reißverschluss-Verfahren noch nicht alle verinnerlicht", bedauert Rademacher. Viele begingen auch den Fehler, nicht bis ganz ans Ende der gesperrten Spur zu fahren, sondern schon vorher zum Spurwechsel auszuscheren. "So kann der Reißverschluss nicht funktionieren, das führt immer zu Chaos und unnötigen Verzögerungen."
Stau bedeutet Stress pur
- Stillstand: Wenn es gar nicht mehr weitergeht, bloß nicht die Nerven verlieren. "Klar bedeutet ein Stau Stress pur, vor allem wenn es draußen heiß und der Urlaubsort am Meer noch weit weg ist", sagt Rademacher. "Aber gerade deshalb ist ein Stau nicht der richtige Ort für Zoff mit dem Partner oder den Kindern auf der Rückbank - da sollten sich alle im Wagen zusammenreißen und nicht alles noch schlimmer machen." Wer Glück hat und im Schneckentempo einen Parkplatz erreicht, macht dort am besten ausgiebig Pause, bis sich die Verkehrslage entspannt hat.
Gleiches gilt für Motorradfahrer: Die könnten zwar problemlos zwischen stehenden Autos langsam weiterfahren, dürfen das aber nicht, betont Matthias Haasper vom Institut für Zweiradsicherheit. Über Sinn und Unsinn dieses Verbots diskutierten Fachleute schon seit Jahren, zumal Biker im Stau von einigen Problemen besonders betroffen seien. Darunter sind zum Beispiel frühzeitiges Ermüden beim Stop-and-go, gesundheitsschädliche Beeinträchtigung durch Abgase und die Gefahr, am Stauende übersehen zu werden. Bis eine Lösung gefunden wird, bleibt das Durchfahren zwischen den Blechkolonnen unerlaubtes Rechtsüberholen - es drohen 100 Euro Bußgeld und drei Punkte in Flensburg. Das Befahren des Seitenstreifens wird mit 75 Euro und zwei Punkten geahndet.
Ein Umweg kann sich lohnen
- Rettungsgasse: Damit Einsatzfahrzeuge zügig zu Unfallstellen durchkommen, müssen Autofahrer eine Rettungsgasse freimachen. Und zwar sofort - nicht erst, wenn Martinshorn ertönt. "Auf zweistreifigen Autobahnabschnitten wird die Gasse in der Mitte gebildet, auf dreistreifigen Strecken zwischen der linken und der mittleren Spur", erklärt Rainer Hillgärtner vom Auto Club Europa (ACE).
- Stauumfahrung: Ab einer prognostizierten Staulänge von zwei bis drei Kilometern kann sich der Umweg über eine Umleitungsstrecke neben der Autobahn laut ACE-Sprecher Hillgärtner zeitlich rechnen, wenn klar ist, wo genau der Stau beginnt. Wer abfährt, laufe allerdings immer auch Gefahr, gleich in den nächsten Schlamassel zu geraten. Denn auf die Idee, um Staus einen Bogen zu machen, kommen natürlich auch andere Fahrer - oder deren Navigationsgeräte.
- Stauanfang: Sobald der Stauanfang erreicht und die Bahn wieder frei ist, sollten Autofahrer zügig losfahren, empfiehlt Sven Rademacher. Wenn ein Unfall die Stauursache war, warnt er vor Gaffern: "Die machen plötzlich unberechenbare Fahrmanöver, um möglichst viel mitzubekommen." Natürlich dürfe man sich auch selbst nicht zum Gaffen verleiten lassen. "Und nach dem Stau bloß nicht versuchen, die verlorene Zeit durch Rasen wieder rauszuholen - sonst verursachen Sie am Ende noch selbst einen Unfall und den nächsten Stau."