Ragusa. Es gibt kaum ein schöneres Fleckchen Erde, um den Frühling zu erleben als die Mittelmeerinsel Sizilien. Vor allem die Barockstädte im Südosten lohnen einen Besuch. Sogar Matheschüler kommen dabei auf ihre Kosten.
Der Dichterfürst muss es wissen: "Italien ohne Sizilien macht kein Bild in der Seele", schriebt Johann Wolfgang von Goethe in der "Italienischen Reise". Wie wahr dieser Satz ist, wird der Reisende gerade jetzt, im Frühling, bestätigt finden. Die frisch auflebende Farbenpracht der Obst- und Olivenhaine verstärkt all die anderen Besonderheiten der Insel: das Wechselspiel von azurblauem Meer und gewaltigen Bergmassiven, die malerisch auf Hügeln gebauten Städte.
Und weil seit dem Altertum viele Kulturen ihre Spuren auf der Insel hinterließen, gibt es unzählige Bau- und Kulturdenkmäler zu entdecken. Im wenig bekannten Südosten Siziliens gibt es zum Beispiel mit Ragusa, Noto und Modica gleich drei glanzvolle Barockstädte.
Begonnen hat alles mit einer Katastrophe: 60.000 Menschen starben 1693 bei einem gewaltigen Erdbeben. Die Städte waren ein einziges Trümmerfeld. Doch schon nach kurzer Zeit begann der Wiederaufbau, schöner als je zuvor. "Der alteingesessene Adel wollte auf der von drei Seiten von Flüssen umgebenen Altstadt bleiben, weil er von jeher dort residierte", erklärt eine Stadtführerin. "Andere wollten eine völlig neue Stadt auf einer Hochebene, und weil man sich nicht einigen konnte, wurde die Stadt offiziell geteilt."
Ragusa Ibla, an alter Stelle wiederaufgebaut und durch ein tiefes Tal von der neuen, im Schachbrettmuster angelegten Oberstadt getrennt, ist für viele Besucher der schönere Teil der heute wieder vereinten Stadt. Sie fasziniert mit ihrem harmonischen Stadtbild, das von barocken Kirchen und Palästen geprägt wird. Ein Glanzstück ist die nach Plänen von Rosario Gagliardi erbaute Basilika San Giorgio mit einer imposanten Freitreppe. Zusammen mit sieben weiteren Städten im Val di Noto zählt Ragusa zum Weltkulturerbe der Unesco.
Nur einige Kilometer entfernt liegt Noto, die sizilianische Barockstadt schlechthin. Einheimische nennen sie "einen Garten aus Stein". Seine "Blumen" sind fast 50 Kirchen und 15 schmucke Adelspaläste. Ausgangspunkt zur Erkundung der Stadt ist die Porta Reale. Wer den Triumphbogen von Noto durchschritten hat, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus: Eindrucksvolle Gebäude aus dem 18. Jahrhundert säumen den Corso Vittorio Emanuele. Viele von ihnen haben Balkone, deren Simse über und über mit Engeln oder Fabeltieren verziert sind.
Schon bald ist das Herz Notos erreicht, die grandiose Piazza Municipio. Dort stehen mit der geschwungenen Säulenhalle des Palazzo Ducezio, dem städtischen Theater und der breiten Doppelturmfassade der Kathedrale San Nicolo gleich mehrere barocke Glanzlichter. Man sollte sich einfach auf der ausladenden Freitreppe niederlassen und den Anblick genießen. Am schönsten ist es am frühen Morgen oder am Abend - dann taucht die Sonne die Fassaden in ein faszinierendes Honiggelb. Wer die Treppen des Kirchturms San Carlos erklimmt, hat einen fantastischen Ausblick über die Dächer, auf den Dom und manchmal bis zum Meer.
Nummer drei im Reigen der Städte ist Modica. Der Ort liegt auf einem Felssporn, und auch hier wird das Stadtbild von üppigem Barock geprägt. Berühmt ist Modica aber auch für seine Schokolade: Viele kleine Firmen stellen die Nascherei her.
Bevor es an die Küste nach Syrakus geht, lohnt ein Ausflug nach Donnafugata. Wie eine zu Stein gewordene Fata Morgana ragt die gotisch-venezianisch inspirierte Fassade des zinnenbekrönten Schlosses von Donnafugata aus der flachen Landschaft hervor. Es ist einer der größten sizilianischen Adelspaläste, der an Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman "Der Leopard" denken lässt und heute als Museum öffentlich zugänglich ist. Doch der fiktive Wohnsitz des Fürsten von Salina hat bis auf den Namen mit dem Castello Donnafugata nichts gemein.
Mindestens zwei Tage sollten Besucher für Syrakus, der einst mächtigsten Stadt Siziliens, einplanen. Vieles erinnert an die einstige antike Großstadt mit 500.000 Einwohnern. Heute ist die Stadt allerdings bedeutend kleiner. Wichtige Bauten wie das griechische und das römische Theater sowie der Altar des Tyrannen Hierons II. liegen heute am Stadtrand. Mittelpunkt ist nach wie vor die auf einer Halbinsel gelegene Altstadt Ortygia mit schönen Gassen zum Flanieren und großzügigen Plätzen zum Verweilen.
Und wieder lässt eine Kathedrale mit herrlicher Barockfassade den Besucher staunen. Im Inneren des Barockbaus überraschen mächtige dorische Säulen aus der Zeit, als das Gotteshaus noch ein Tempel der Athene war. Dem berühmtesten Sohn der Stadt, Archimedes, hat die Menschheit ihre Kenntnisse über die Hebelgesetze, die Zahl Pi und die Berechnung geometrischer Formen zu verdanken. Als die Römer 212 vor Christus Syrakus belagerten, soll Archimedes mit seinen Kriegsmaschinen die feindliche Flotte vernichtet haben. Als die Stadt durch Verrat fiel, wurde der 75-Jährige von einem römischen Legionär getötet. (dpa)