Stockholm. Ausgerechnet im kinderfreundlichen Schweden verwehrt ein Café neuerdings Kindern den Zugang. Dabei war das “Nelly's“ als kinderfreundliche Einrichtung gestartet. Doch achtlose Eltern und schlecht erzogene Kinder trieben den Besitzer zu seiner Entscheidung. Er bekommt überraschend viel Zuspruch.
Großzügige Regeln für die Elternzeit, ausreichend Krippenplätze und Kinderbetreuung selbst im Möbelhaus - Schweden gilt als familienfreundliches Musterland. Ein Café, das Kindern den Zutritt verweigert, passt nicht in dieses Bild. Eltern reagierten denn auch empört, als Josef Shamon die lieben, aber wilden Kleinen aus seinem Stockholmer Café "Nelly's" verbannte. Doch von Kollegen und einigen Gästen erntete er zur eigenen Überraschung Zuspruch.
Shamon hat selbst eine Tochter. "Ich finde natürlich alles, was sie macht, süß. Aber ich weiß, dass nicht alle das genauso sehen", sagt der Cafébetreiber. Ähnlich ging es ihm mit fremden Kindern in seinem Lokal, die von den Stühlen sprangen, auf Regale kletterten und sie als Schlagzeug missbrauchten.
Kellner bei Unfall mit Kind verbrüht
Ein Angestellter verbrühte sich mit heißem Kaffee, als ein Junge ihn in vollem Lauf anrempelte, erzählt Shamon. Kurze Zeit zuvor hatte er die Mutter gebeten, dafür zu sorgen, dass ihr Wildfang mit dem Gehopse auf dem Sofa aufhört. "Das ist ein weit verbreitetes Problem unserer Branche, auch wir haben schon viele Kunden verloren", klagt der Gastronom.
Dabei wollte das "Nelly's" eigentlich besonders familienfreundlich sein. Als das Café den Besitzer wechselte, erlaubte der neue Inhaber, wieder Kinderwagen mit ins Café zu bringen. In vielen schwedischen Lokalen ist das verboten - angeblich aus Gründen des Brandschutzes, doch viele sehen darin den Versuch, die Zahl der Latte macchiato schlürfenden Eltern möglichst niedrig zu halten.
Die Nachricht vom babyfreundlichen "Nelly's" verbreitete sich rasch, fast zu jeder Stunde versperrten zehn Kinderwagen den Weg durchs Café, die Zahl der jungen Gäste stieg. "90 Prozent benahmen sich gut, aber die restlichen zehn dachten entweder, dass wir uns um ihre Kinder kümmern, oder dass so ein Verhalten in Ordnung sei", sagt Shamon.
"Latte-Eltern" bringen Cafébetreiber um Teil ihres Geschäfts
Schließlich brachte er ein Schild an seinem Café an, das Kindern den Zugang verwehrt. Daraufhin hätten ihm Restaurantbesitzer aus dem ganzen Land am Telefon ihre Unterstützung versichert, sagt Shamon. Öffentlich aber habe sich kaum jemand getraut, sich solidarisch mit ihm zu zeigen. Schließlich seien in Schweden viele der Ansicht, dass Kinder auch in der Öffentlichkeit sicht- und hörbar sein dürfen.
Eltern sind eine wichtige Zielgruppe für die schwedischen Cafés - nicht zuletzt dank der Regelung, derzufolge sie in den ersten acht Lebensjahren ihres Kindes 480 Tage Elternzeit nehmen können und dabei 80 Prozent ihres Gehalt erhalten. "Latte-Eltern" werden Väter und Mütter oft abschätzig genannt, die mit ihren Kindern gerne im Café sitzen.
Doch offenbar bringen die "Latte-Eltern" die Cafébetreiber auch um einen Teil ihres Geschäfts. Seit Kindern der Zutritt verwehrt ist, gehe sie oft ins "Nelly's", schreibt eine Kundin auf einer Internetseite, auf der Cafés bewertet werden. "Ich sitze oft hier und arbeite, der Ort ist himmlisch, auch wenn jetzt mehr los ist als früher."
"Ein Privileg, ab und zu Kinder treffen zu können"
Das Kinderverbot im Nelly's sorgt auch unter Pädagogen für Diskussion. "Ich denke, es ist falsch, Kinder überallhin mitzunehmen", sagt der Professor für Kinderheilkunde Hugo Lagercrantz. "Die Eltern gegen ins Café, weil sie selbst es möchten, Kindern gefällt das nicht besonders."
Der Kinderarzt, Autor und achtfache Vater Lars Gustafsson gibt praktische Ratschläge: "Wenn Kinder in einem Café herumrennen, weil ihnen langweilig ist, können sich andere Erwachene um sie kümmern, statt nur herumzusitzen und genervt dreinzublicken." Schließlich sei es "ein Privileg, ab und zu Kinder treffen zu können".
Dieses Privileg haben Kinderlose inzwischen auch wieder im "Nelly's": Cafébetreiber Shamon hat das umstrittene Verbotsschild einstweilen wieder abmontiert. Doch ganz hat er seine Idee noch nicht aufgegeben, sagt er und verweist auf die wachsende Beliebtheit von kinderfreien Hotels und anderen Urlaubsangeboten. (afp)