Banff. Die Rocky Mountains gehören zu den schönsten Sehenswürdigkeiten der USA und Kanada. Mit der Nachfahrin einer waschechten Pioniersfamilie wandern wir durch die Täler der Rockys.
Alison Brewster liebt den Winter. Wenn die eisigen Winde durch die Täler der Rocky Mountains fegen und der Pulverschnee sich meterhoch auftürmt, dann schnallt sich die Kanadierin ihre Schneeschuhe um. Jene sperrigen Teile, auf denen schon die ersten Pelzjäger durch die Wildnis streiften. "Schneeschuhe sind Teil unserer Winterkultur wie das Eishockey", sagt sie
Brewster weiß, wovon sie spricht, denn sie gehört einer echten Pioniersfamilie an: Ihre Vorfahren gründeten Ende des 19. Jahrhunderts eines der ersten Reiseunternehmen in den Rocky Mountains und erschlossen als Wildnisführer Besuchern die majestätische Bergwelt im Banff National Park.
Fünf Generationen später setzt Brewster die Familientradition fort. Sie betreibt im Hinterland von Banff eine abgelegene Bergpension. Das Blockhütten-Ensemble ist ein verstecktes Kleinod mitten in der Wildnis: Keine Straße führt dorthin, keine Seilbahn. Kein Motorschlitten kommt hierher, kein Helikopter. Es gibt nur einen 15 Kilometer langen Winterpfad, ein idealer Treck für Schneeschuh-Wanderer.
Beginn der Reise
Das Abenteuer beginnt an einem Parkplatz am Trans-Kanada-Highway. Es hat minus acht Grad, doch es fühlt sich doppelt so kalt an. Hände und Füße sind steif vor Kälte. Mit weiträumigen Schritten geht es tief in den Wald hinein.
Die Route führt an einem gefrorenen Bach entlang, immer leicht bergauf. Unter den Schneeschuhen knirscht es. Jede Bewegung wirbelt Millionen feiner Flocken auf, und jeder einzelne Schritt ist anstrengend. Schon bald werden Hände und Füße warm.
Bereits die Ureinwohner Nordamerikas nutzten zur Fortbewegung Schneeschuhe: Bei den Cree-Indianern waren sie bis zu zwei Meter lang und bestanden aus einem Holzring mit einem dichten Netz aus Leder und Sehnen. Die Schneeschuhe von heute sind meist aus Aluminium und Kunststoff. "Mit Schneeschuhen können sogar Anfänger die Wildnis entspannt und sicher erkunden", verspricht Brewster.
Nach knapp vier Stunden taucht auf einer Lichtung eine eingeschneite Holzhütte auf. Der Schornstein raucht, hinter den Fenstern brennt Licht. Drinnen duftet es nach Keksen, auf einem Holztisch steht frisch gebrühter Tee, in einem Kaminofen lodert ein Feuer. Die Wände sind aus dicken Holzstämmen. Besucher in bunten Skihosen lümmeln auf Stoffsofas herum.
Das Herz von Brewsters Lodge
Die Hütte ist das Herz von Brewsters Lodge. Die Eisenbahngesellschaft Canadian Pacific Railway hatte die Hütte 1928 gebaut, ursprünglich als Warenlager und Raststätte für die Arbeiter der transkanadischen Eisenbahnlinie, die durch den Park führt. Die Brewsters übernahmen sie ein paar Jahre später, Alisons Vater baute sie in den 1990er Jahren zu einem Aufenthaltsraum aus und stellte weitere Hütten daneben.
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"Noch zu Zeiten meines Urgroßvaters gab es hier draußen weder elektrische Energie noch fließend Wasser", erzählt Brewster und setzt sich unter eines der vereisten Fenster. Heute ist das Leben in der Wildnis komfortabler: Die Gästezimmer sind beheizt. Solarzellen sorgen für Warmwasser. Der Herd in der Küche funktioniert mit Gas. Zum Abendessen hat Brewster Bohnensuppe und mediterrane Hähnchenbrust gekocht.
Die "Shadow Lake Lodge" der Brewsters gehört zu einer Handvoll bewirtschafteter Berghütten in den kanadischen Rocky Mountains, die im Winter nur mit Schneeschuhen oder per Ski zu erreichen sind. Sie sind ein Wintersporterlebnis wie aus einer anderen Zeit: Die Handys bleiben stumm, Fernseher gibt es nicht, ebensowenig Telefone. Das gilt auch für die "Skoki-Lodge", die älteste Skihütte Kanadas, in der schon das britische Thronfolgerpaar Kate und William eine Nacht verbracht hat.
Wintertraum
Zwölf Kilometer lang ist der Weg dorthin, der am Skihügel im Wintersportort Lake Louise beginnt. Leo Mitzel ist seit zehn Jahren der Hüttenwirt. Er sitzt im Gästeraum an einem mächtigen Steinkamin, darüber hängen alte Langlaufbretter aus Holz.
Am Morgen zieht der Duft von frischem Kaffee durch die Ritzen im Dielenboden. Nach einem kräftigen Frühstück mit Kartoffeln, Eiern und Speck geht es wieder hinaus in den Pulverschnee. Der unberührte Schnee glitzert in der Morgensonne. Nur ein Berglöwe hat in der Nacht ein paar Spuren hinterlassen.
Drei Stunden dauert die Wanderung zurück nach Lake Louise. Stangen im Schnee markieren die Richtung. Am Wegesrand buddelt eine weiße Bergziege mit ihren Hufen nach Wurzeln unter der Schneedecke. Die Route steigt bis auf 2500 Meter Höhe an, quert zwei Bergpässe, und führt vorbei an einem alten Schuppen der Eisenbahngesellschaft. Dann tauchen die ersten Skilifte auf, der riesige Parkplatz, eine Piste mit lauter Musik. Die Zivilisation ist zurück. (dpa)