Es gibt Züge, von denen hat fast jeder schon mal gehört. Weil ihre Strecken so schön oder interessant oder beides sind. Der Glacier Express ist eine dieser Traumstrecken: In einer Tagesreise geht es zwischen Zermatt im Wallis und St. Moritz einmal quer durch die Schweizer Alpen und die ganze Pracht und Schönheit des Bergwinters. Doch vorher wird dieser einige Tage lang im Wallis genossen...
Brig (dapd). Es gibt Züge, von denen hat fast jeder schon mal gehört. Weil ihre Strecken so schön oder interessant oder beides sind. Der Glacier Express ist eine dieser Traumstrecken: In einer Tagesreise geht es zwischen Zermatt im Wallis und St. Moritz einmal quer durch die Schweizer Alpen und die ganze Pracht und Schönheit des Bergwinters. Doch vorher wird dieser einige Tage lang im Wallis genossen. Mit dem Postbus fährt man vom Bahnhof in Brig nach Saas-Fee durch das tief verschneite Saastal, wo riesige Felsen mit dicken Schneemützen dem Wasser im Fluss den Weg versperren. Saas-Fee liegt ganz am Ende des Tales auf 1.800 Metern Höhe. Es ist ein beliebter und schneesicherer Wintersportort mit einer ganz besonderen Lage: 13 Viertausender-Gipfel ragen über ihm auf. Darunter der Dom, mit 4.545 Metern der höchste Berg, der komplett auf Schweizer Boden steht.
Walliser Charme
Anders als viele Konkurrenten hat sich das Bergdorf seinen Charme erhalten. Es fing schon damit an, dass 1951 gleich nach dem Bau der ersten Zugangsstraße beschlossen wurde: Saas-Fee bleibt autofrei. Das hat sich bis heute nicht geändert. Wer mit dem Auto anreist, muss es in der großen Garage am Ortseingang parken. Auch die Bauvorschriften machen klare Vorgaben: alle Gebäude müssen das typische Walliser Giebeldach und mindestens ein Drittel Holzanteil in der Fassade haben. Der Verkauf von Wohnungen wurde dann auch gleich reguliert, um der Spekulation einen Riegel vorzuschieben. Es ist geglückt. Trotz der vielen Gäste und der schicken Geschäfte wirkt Saas-Fee ganz dörflich und gemütlich. Wallisisch eben.
Schneespaß auch ohne Skier
Das Gute ist: Auch ohne Ski kann man hier seinen Spaß haben. Mit zweimal Umsteigen und der höchsten Metro der Welt geht es hinauf auf den Allalin, um erst auf 3.050 Meter im höchsten Drehrestaurant der Welt die Aussicht auf die Viertausender-Bergwelt zu genießen und sich dann im größten Eispavillon der Welt unter anderem davon zu überzeugen, dass es tatsächlich Eisflöhe gibt. Auf der anderen Seite von Saas-Fee geht es nicht ganz so hoch hinaus: Der Hannig hat nicht nur eine fünf Kilometer lange Rodelbahn zu bieten, sondern ist auch perfekt zum Winterwandern. Mit Ausblicken hinauf zum tiefblauen Gletschereis, das sich über die höher gelegenen Bergkämme schiebt und hinab ins langgestreckte Tal geht die Wanderung zurück nach Saas-Fee. So viel frische Winterluft macht hungrig und das ist auch gut so: Zum zünftigen Schweizer Wintererlebnis gehört ein abendliches Käsefondue einfach dazu.
Langsamer Schnellzug der Welt
Der morgendliche Blick aus dem Fenster verheißt nur das Beste: Die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel. Perfektes Wetter für die heute anstehende Fahrt mit dem Glacier Express. Statt in Zermatt soll es zwei Bahnhöfe weiter in Brig losgehen, bibbernd stehen wir Fahrgäste dort am Bahnsteig, ziehen den Schal noch etwas höher, die Mütze etwas tiefer, dann rollt der "langsamste Schnellzug der Welt" pünktlich ein. Im Schleichtempo wird er weiter von Bahnhof zu Bahnhof zuckeln und bei Bedarf an so manchem kleinen Weiler halten. Für die 300 Kilometer lange Strecke benötigt der "Express" fast acht Stunden. Dass es langweilig werden könnte, befürchtet jedoch niemand. Denn es wird viel zu sehen geben.
Auf und ab durch ein Winterwunderland
Unsere Reise startet auf 600 Meter Höhe, doch gleich hinter Brig geht es immer weiter bergauf, bis zum 2.033 Meter hohen Oberalppass, dann wieder hinunter ins auf 585 Meter gelegene Chur, um dann noch einmal 1.200 Höhenmeter bis St. Moritz zu überwinden. Die Fahrt geht durch ein Winterwunderland wie aus dem Bilderbuch, über allem liegt eine dicke Schneedecke, auf den Dächern der Walliser Holzhäuschen, auf den Tannen, Fichten und den Berggipfeln, die immer mächtiger werden, je höher wir kommen. Die Schneekristalle glitzern in der Sonne und der blaue Himmel bietet einen äußerst fotogenen Kontrast zu den strahlend weißen Flächen.
Es ist die Kombination aus beeindruckenden Landschaften und technischen Meisterleistungen, die diese Fahrt so einmalig machen. Die Faszination scheint auch bei denjenigen nicht abzunehmen, die auf der Strecke regelmäßig unterwegs sind: Während der Gegenzug bei Andermatt auf die Einfahrt in den eingleisigen Furkatunnel wartet, nutzt der Lokführer die Zeit zum Fotografieren der verschneiten Berglandschaft. Die Strecke führt durch insgesamt 91 Tunnel und über 291 Brücken. Manches verdient die Bezeichnung spektakulär.
Auf dem letzten Abschnitt zwischen Chur und St. Moritz spannt sich die neunzig Meter hohe Solisbrücke über die schroffe Albula-Schlucht. Der 142 Meter lange Landwasser-Viadukt bei Filisur führt in einer langen Kurve direkt in einen Tunnel hinein. Gut aufpassen muss man hier zwischen Bergün und Preda: Die beiden Orte liegen nur fünf Kilometer auseinander, doch rund dreizehn Kilometer Schienen waren nötig, um den Höhenunterschied von mehr als vierhundert Metern zu überwinden. Kehren und Schleifen, Tunnel und Brücken folgen so schnell aufeinander, dass man schon mal die Orientierung verlieren kann. Es wirkt wie bei einer Modelleisenbahn, wo möglichst viel auf möglichst kleinem Raum untergebracht werden sollte.
Füße vertreten mit Klosterblick
Sich zwischendurch draußen die Füße vertreten, das geht nur einmal und zwar ungefähr auf der Hälfte der Strecke in Disentis. Hier wird für einen Spurwechsel eine kurze Pause gemacht. Nachdem der Zug den Oberalppass, den höchsten Punkt, überwunden hat, werden die Zahnräder nicht mehr benötigt. Viel Zeit ist nicht, aber es reicht, um von unten einen Blick auf das mächtige Kloster am Berg und die Kirche mit ihren Doppeltürmen zu werfen. Zu weit traut sich aber keiner weg, denn der Glacier Express hat es zwar nicht eilig, warten wird er trotzdem nicht. Es geht weiter hinunter Richtung Chur in eine ganz andere Winterwelt, in die bizarre Felsenlandschaft der Rheinschlucht. Während eben noch mächtige Berggipfel das Panorama bestimmten, schlängelt sich der Zug jetzt entlang steiler Steinwände, an denen Wasserfälle zu Eis erstarrt sind. Und nimmt dann in Chur Anlauf für den letzten Teil der Strecke nach St. Moritz.
dapd