Essen. Valencia ist Spaniens höchstverschuldete Stadt. Das ist kein Wunder, da die Stadt zu viel geplant hatte. Das Stadtbild von Valencia ist geprägt von halbfertigen Gebäuden und nicht genutzter Baufläche. Miguel Ángel Ferrís zeigt in seiner Stadtführung, was alles in der Stadt schief gelaufen ist.

Miguel Ángel Ferrís schreit vor einem verwaisten Hochhaus im Süden Valencias in sein Mikrofon: „Sehen Sie, wofür die Regierung unser Geld ausgibt? Für sündhaft teure Bauten, die vor sich hinrotten. Und was tut sie für ihre Bürger? Nichts.“

Um Ferrís scharen sich Menschen, nicht weit von den gleißend weißen Gebäuden der neu gebauten Stadt der Künste und Wissenschaften. Doch der Ort hat nichts vom Glanz des modernen Valencia. Er ist verkommen, verlassen, nicht einmal ein Bus fährt in das künstlich aus dem Boden gestampfte Stadtviertel Loft Ros-Casares. „Weil niemand einsteigen will. Nachts ist es hier so gruselig wie in einem Horrorfilm“, sagt Ferrís, und seine Kollegin hält ein handgemaltes Schild in die Luft: La ruta del despilfarro – Route der Verschwendung.

Ferrís ist Pädagoge, 50 Jahre alt. Er verteilt kopierte Handzettel. Darauf zu sehen sind gut ein Dutzend Bilder. Keines zeigt eine klassische Sehenswürdigkeit. Nur leerstehende Hochhäuser, ein verwaistes Fußballstadion, ein leeres Grundstück.

Ein Weckruf für die Öffentlichkeit

Im Frühjahr haben Ferrís und die Journalistin Teresa Galindo eine alternative Stadtführung aus der Taufe gehoben. Sie führt zu insgesamt 15 Bauobjekten, die extrem teuer waren oder nie fertig gestellt wurden – eine Landkarte „der Verschwendung und Korruption“, scheppert es während der Tour aus dem Megafon.

Der Bus fährt an. Deutsche, Engländer, Franzosen und Spanier sitzen darin. „550 Millionen Euro der Formel 1-Parcours, 1,2 Milliarden die Stadt der Künste und Wissenschaften, 2,1 Milliarden die Erschließung des Hafens für den America’s Cup. Und das alles in kaum mehr als zehn Jahren“, sagt Ferrís. Seit gut zwei Jahrzehnten habe die konservative Regierung so gut wie nichts in Schulen und Bildung investiert, sondern ausschließlich in irrwitzige Bauvorhaben. Die Route der Verschwendung soll nicht nur eine alternative Stadtführung sein, mit seiner Tour will Ferrís vor allem die Öffentlichkeit wach rütteln.

Der Bus hält vor bunten Baracken, die wie Würfel am staubigen Platz liegen. Davor Mütter mit ihren Kindern. Sie tragen pinkfarbene T-Shirts: „Nein zu den Baracken, Schule 103 jetzt.“ Die Kleinen halten Bilder von zerschlissenen Böden und verstopften Abflüssen in die Luft – die Klos ihrer Schule. „Es ist eine Schande wie unsere Kinder hier hausen“, sagt María Jesús Algas. „In dieser Stadt gehen fast 30 000 Schüler in Blechbaracken zur Schule. Wir wollen endlich die uns längst versprochenen Gebäude.“

Überall Fehlplanungen 

Seit der Wirtschaftskrise gehen in Spanien Millionen Menschen gegen die Sparpläne der Regierung auf die Straße. Doch kaum eine Stadt ist so verschuldet wie Valencia. Ferrís glaubt zu wissen, warum: Die Stadt wetteifere mit Madrid und Barcelona. Man wolle das schönere Opernhaus, den größeren Hafen. Dazu komme die Mentalität der Valencianer: „Es ist wie beim Volksfest Fallas. Nach außen sehen die Puppen aus Pappmaché großartig aus, innen sind sie hohl. Und am Ende werden sie verbrannt.“

Der Bus schaukelt weiter, vorbei an der millionenteuren Geisterstadt Sociópolis, dem angeblich hochmodernen, aber defizitären Krankenhaus La Fé und der Huerta de la Punta, einst Fläche für die Landwirtschaft. 300 alteingesessene Bauernfamilien wurden in der grünen Lunge Valencias vor acht Jahren enteignet, um den Hafen der Stadt zu vergrößern. Bis heute wurde nicht ein einziger Quadratmeter des Geländes bebaut. Die wenigen Bauernhäuser, die noch existieren, sind dem Verfall preisgegeben.

Stillleben : Stadion

Nach drei Stunden hält der Bus am Skelett von Nuevo Mestalla. Es ist der letzte Halt der alternativen Stadtführung. Die Arena soll das zukünftige Stadion des Fußballclubs Valencia C.F. werden, doch der Bau steht seit Jahren still. Wegen der Finanzkrise, wie es heißt. „Aber schlimmer noch ist, dass sie unseren Grund geraubt haben. Das Stadion müsste eigentlich der Stadt gehören, denn es steht auf städtischem Boden. Ein sehr populäres Viertel ist durch die Machenschaften der Politiker den Wünschen eines privaten Klubs zum Opfer gefallen“, sagt Ferrís.

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Vom Stadion aus rollt der Bus durch den dichten Verkehr zurück in die Innenstadt. Ferrís summiert die an der Strecke investierten Gelder auf mehr als 32 Milliarden Euro. Es ist seine eigene Schätzung. „Weil man von der Regierung ja nichts erfährt.“ Dann holt der 50-Jährige eine Papierrolle zum Vorschein.

41.000 Millionen Euro für den Bildungsminister

Es ist ein selbstgemachter Scheck. Bevor er seine Gäste an einer Filiale von Bankía in das Gassengewirr der Altstadt entlässt, rollt er das Papier auf und hält es an die Scheibe der Bank. „Bitte zahlen sie für Ihre jahrelangen Versäumnisse und für Ihre Misswirtschaft 41.000 Millionen Euro an den Bildungsminister“, steht darauf. Die Bankbeamten reagieren nicht, ebenso wenig wie die zwei Polizisten, die daneben stehen. „Weil sie längst an ihr Mittagessen denken und nicht mehr an ihre Arbeit“, sagt Ferrís. Was zur Route der Verschwendung irgendwie auch ganz gut passt.