Essen. Ex und hopp: das Los einer Bierdose. Immer? Mitnichten. Das lässt sich jeden Juli in Australien - genauer: am Mindil Beach im Nothern Territory - verfolgen. Da bricht sozusagen die Beer Can Regatta aus, ein Volksfest mit, der Name verrät's, Bierdosenbooten, reichlich Musik - und Mehlbomben.
Chaos ist ausgebrochen: Wasser spritzt in hohen Fontänen auf, Mehlbomben vernebeln die Sicht, weitere krachen auf den Ozean. Es ist ein Nachmittag ohne Gnade: Die Sonne knallt erbarmungslos vom Himmel, und unten, vor Darwin an der australischen Nordküste, werden an diesem Nachmittag keine Gefangenen gemacht. Das Geschrei ist groß: Boote nehmen unbarmherzig Kurs auf die gegnerische Flotte – Bierdosen knarzen.
Bierdosen? Es ist Beer Can Regatta am Mindil Beach – und damit Volksfeststimmung draußen vor der Hauptstadt des Northern Territory. Seit 1974 geht das schon so: Jedes Jahr im Juli strömen die Menschen zu Tausenden nicht nur aus Darwin an die Küste der Timor See – Groß, Klein, Freundeskreise und Familien. Alle wollen aus Dosen zusammen gezimmerte Boote bewundern, die tatsächlich schwimmen. Boote aus Bier- und aus Softdrink-Dosen – in Down Under wird da nämlich ganz fein unterschieden. Rennen werden nur in den entsprechenden „Klassen“ gefahren, als ob ein vormals alkoholischer oder nicht-alkoholischer Inhalt Aussagen über die Schwimmeigenschaft des Behältnisses erlauben würde.
Hauptsache es kracht – bis zum Untergang
Und wie das mit total seltsamen Ideen so ist, ranken sich meist Gerüchte und Mythen um sie. Die Beer Can Regatta sei wegen des Zyklons Tracy entstanden, heißt es zum Beispiel. „Die Müllentsorgung funktionierte in den Wochen danach nicht, und irgendwo musste man ja mit den Dosen hin“, erzählt Des Gellert, Organisator der „Regatta der Neuzeit“, die Legende nach. Zyklon Tracy wütete tatsächlich 1974 – allerdings an Weihnachten. Das erste Rennen war davor. Aber wie kommt man dann auf die Idee, in Bierdosen-Booten aufs Meer zu fahren? Obelix hätte gesagt: „Die spinnen, die Australier.“ Des Gellert sagt: „Wir sind Territorians, wir sind einzigartig.“
Die Frage nach dem „Warum“ ist manchmal auch gar nicht die entscheidende, und an diesem Sonntagnachmittag ist eh alles egal: Die „Battle of Mindil“ ist ausgebrochen, die „Schlacht um Mindil“. Es ist der Höhepunkt des Tages: Ein Schatz muss aus dem Meer gefischt und an den Strand gebracht werden. Wer fündig geworden ist, darf freilich von anderen Booten attackiert werden, um den Schatz zu erbeuten. Bis zum Untergang, Hauptsache es kracht – und aus den Boxen trällert Cutting Crews „I just died in your arms tonight“. Wie passend.
Ein Schiff aus 30.000 Bierdosen
Es sind die Boxen von Mick Keely, Kapitän der „Extravacanz“. Was für ein Prachtstück. Kein Boot – ein Schiff! Gebaut aus 30 000 Bierdosen, „so ungefähr zumindest“, grinst Mick. Das klingt eher nach mehr als nach weniger. Blond, kernig, gut gelaunt. Nicht mehr der Jüngste, aber jung geblieben – das ist Mick Keely. Ein Australier, so wie man sich Australier vielleicht vorstellt. Ein halbes Jahr hätten er und seine Kumpel an der Extravacanz gebaut.
Durst ist die Grundvoraussetzung für den Bootsbau
Die Vorbereitungen dürften lange vorher begonnen haben, wenn man den bierernsten Beteuerungen des Kapitäns Glauben schenken will, dass der Haufen sympathischer Kindsköpfe selbstverständlich alle Dosen selbst ausgetrunken hat. „Um so ein Schiff zu bauen, braucht man Jungs, die Durst haben.“ Eigentlich wollte er ins Guinness-Buch der Rekorde, der Versuch wurde abgeblasen, „die Regularien waren nicht eindeutig“. Kein Problem für Mick Keely. Mehrere tausend australische Dollar hat er investiert, um aus der Extravacanz mehr als nur ein Dosen-Boot zu machen. „Wir sagen einfach, es ist das größte Bierdosen-Boot der Welt.“ Es steht sogar auf seinem Shirt. „Wenn sich jemand beschweren will, soll er herkommen. Dann reden wir darüber.“ So läuft das in Australien.
Bratwurst und auch Poffertjes
Hinter dem Strand ist ein großes Volksfest im Gange – ein riesiger Markt, auf dem alles feilgeboten wird, was man sich vorstellen kann. Die Luft weht, so scheint es, den Duft Südostasiens herüber, der Kontinent liegt gleich auf der anderen Seite des Wassers. Aber vielleicht sind es doch die zahlreichen Buden mit den unterschiedlichsten Köstlichkeiten. Deutsche Bratwurst gibt es übrigens auch – und holländische Poffertjes.
Die größte Party steigt aber auf der Extravacanz. Eine Dutzende starke Fetenmeute feiert ausgelassen zu wummernder Musik und kaltem Bier, das am Morgen frisch rangekarrt wurde – der Schiffsrumpf ist ja schon leer. Aus der Schlacht um Mindil Beach hält sich der beinahe schon als Flugzeugträger taugliche Riese samt Crew lieber raus. Boote gehen unter, übersichtlicher wird die Szenerie dadurch nicht.
Sogar Urzeit-Monster nehmen sich in Acht
Und Litchfield sind eben atemberaubende Wasserfälle wie die Wangi Falls, die sich in einen kleinen See hinunterstürzen, in dem sich Einheimische – und man selbst nach einer Wanderung – erfrischen. Zumindest in der Trockenzeit, wo sich keine Krokodile landeinwärts bewegen und Terrain für die Nahrungssuche beanspruchen. Es ist aber auch eine Crux mit diesen Reptilien.
Um den vorher gründlich beobachteten Mindil Beach sind sie am Tag der Beer Can Regatta einen Bogen geschwommen. Wenn Australier sich mit Bierdosen-Booten über den Haufen fahren, nehmen sich selbst die Urzeit-Monster in Acht. Wer gewonnen hat? Man ist aus dem Chaos nicht schlau geworden, irgendwie sehen alle wie Gewinner aus.
Und so befreit sich der Himmel langsam vom Mehlstaub, wird die Sonne milder, das Volksfest leiser. Nur auf dem Wasser wird weiter gefeiert – die Extravacanz ist einfach nicht unterzukriegen.