Rheinsberg. Mit seiner Erzählung “Rheinsberg“ machte Kurt Tucholsky den gleichnamigen Ort in Brandenburg vor 100 Jahren berühmt. Heute steht im Rheinsberger Schloss das einzige Kurt-Tucholsky-Museum in Deutschland. Den Autor verband zu Lebzeiten viel mit der Stadt.
100 Jahre ist es her, dass Kurt Tucholskys Erzählung "Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte" erschien. Das Buch machte den Autor auf einen Schlag berühmt und bescherte dem kleinen Brandenburger Städtchen nordöstlich der Hauptstadt eine unverhoffte Verbindung zu dem Berliner Literaten, der bis auf einen kurzen Aufenthalt im Spätsommer 1911 nie in Rheinsberg war. Heute beherbergt das Rheinsberger Schloss das einzige Kurt Tucholsky-Museum in Deutschland.
Pro Buch ein Schnaps gratis
Natürlich gehört auch eine Erstausgabe von "Rheinsberg" zu den Exponaten. In einem der Schaukästen liegt das in Leinen gebundene Büchlein. Darauf ist eine farbige Illustration mit einem jungen Paar zu sehen. Es stammt von Tucholskys Freund Kurt Szafranski. Szafranski und Tucholsky hatten eine aufsehenerregende Verkaufsidee für das Buch: Sie mieteten einen Laden am Berliner Kurfürstendamm und boten jedem, der "Rheinsberg" kaufte, einen Schnaps gratis. Der Gag funktionierte: Mehrere Tageszeitungen berichteten darüber und der Verkauf lief an.
Nicht nur die Verkaufsstrategie, auch der Zeitpunkt des Erscheinens war günstig gewählt: 1912 wurde der 200. Geburtstag von Friedrich dem Großen gefeiert. Dieser hatte in Rheinsberg seine Jugend verbracht, so dass die Stadt ohnehin schon in das Licht der Öffentlichkeit gerückt war. "Tucholsky war eben ein cleverer Marketingstratege", sagt der Leiter des Tucholsky-Museums, Peter Böthig. "Er hätte ja auch nach Prenzlau fahren können".
Tucholsky machte Urlaub in Rheinsberg
Tatsächlich war Tucholsky nämlich ein Jahr zuvor in Rheinsberg gewesen und hatte dort mit seiner Freundin Else Weil ein paar Tage verbracht. Die Geschichte von Claire und Wolfgang basiert also auf einer wahren Begebenheit. Wie die Romanfigur Claire studierte die damals 22-jährige Else Medizin - als eine der ersten Frauen in Preußen. "Wie Claire war Else für die damalige Zeit ungewöhnlich emanzipiert und selbstbewusst", sagt Germanist Böthig, der das Museum 1993 zunächst als Gedenkstätte gründete und seitdem leitet.
So fand sie offenbar auch nichts dabei, mit ihrem Freund für einen Kurzurlaub aufs Land zu fahren - ohne verheiratet zu sein. "So etwas gab es zum Ende des Kaiserreichs nur in Künstlerkreisen." Auch Claires ungewöhnliche Sprache - die seltsam konstruierte Satzstellung, die verdrehten Endungen, der teils kindliche Tonfall - habe Tucholsky von Else übernommen, ist Böthig überzeugt. "Tucholsky war ja selbst ein großer Sprachspieler, das hat ihm bestimmt gut an Else gefallen."
Eine Nichte von Tucholskys Exfrau lieferte wichtiges Material
Über Else Weil, die später Tucholskys erste Frau wurde, wusste man lange Zeit recht wenig. Erst durch einen glücklichen Zufall entstand der Kontakt zu einer ihrer Nachkommen. "Ich blättere in unregelmäßigen Abständen das Gästebuch unseres Museums durch", erzählt Böthig. 1997 habe er mit einem Mal folgende Zeilen entdeckt: "Eine angeheiratete Nichte von Claire war hier. G. Weil, London".
Der Museumsleiter recherchierte und hatte Glück: In London war nur eine Frau mit diesem Namen gemeldet. Gabriele Weil half Böthig, Material über ihre Tante zusammen zu bekommen. Sogar eine Sonderausstellung entstand daraus, in der etwa Elses Studienbuch von der Berliner Charité, ein Vorlesungsverzeichnis oder ihre Promotionsurkunde gezeigt wurden.
Erinnerung mit einer kleinen Schau
Lange hielten Tucholsky und Else Weil es miteinander allerdings nicht aus, 1924 ließen sie sich nach nur vier Jahren Ehe wieder scheiden. Viele Frauen folgten Else an Tucholskys Seite, und eine von ihnen - Mary Gerold - sammelte seinen Nachlass. Dieser liegt heute im Deutschen Literaturarchiv in Marbach und bildete auch für das Rheinsberger Museum den Grundstock. Obwohl Tucholsky - außer durch sein bekanntes Erstlingswerk - keine Verbindung zu Rheinsberg hatte, fiel die Wahl für eine Gedenkstätte auf das kleine Städtchen.
An die Erscheinung des Büchleins vor 100 Jahren wollen Böthig und seine Mitarbeiter auch mit einem kleiner Schau erinnern. Allerdings erst nach dem Sommer - momentan stecken sie mitten in den Vorbereitungen für eine Ausstellung über Friedrich den Großen. Schließlich feiert dieser 2012 seinen 300. Geburtstag. (dapd)