Palästina.. Nicht viele Touristen verirren sich nach Palästina, tief im Westjordanland. Viele Urlauber besuchen Israel, geben ihr Geld dort aus und fahren nicht weiter. Wer seine Tour nicht über israelische Organisationen buchen will, muss gezielt nach anderen Wegen nach Palästina suchen.

Die Stadt scheint aus allen Nähten zu platzen. Verschleierte Frauen tragen Einkaufstüten nach Hause, Männer in Anzügen eilen zu Geschäftstreffen, aus endlosen Autokolonnen sticht hin und wieder ein Wagen der UN hervor. Im „Stars & Bucks“, der palästinensischen Kopie der US-Kette, rauchen Jugendliche Wasserpfeifen auf gemütlichen Sofas. Aus dem Fernseher dudelt ein Musiksender. „Ich nenne das hier die Fünf-Sterne-Besatzung“, sagt Sam Bahour. „Ramallah erweckt den Eindruck, alles sei sehr relaxed.“

Tatsächlich sei die Lage sicherer als in den meisten Städten der USA, meint der Amerikaner. Seit 20 Jahren schon lebt er in Ramallah, der inoffiziellen Hauptstadt Palästinas. Hier gibt es kulturelle Angebote und internationale Vertretungen. Hier ist das Zentrum der palästinensischen Wirtschaft und Politik. Trotzdem verirren sich kaum ausländische Besucher so tief ins Westjordanland.

Die Checkpoints mögen abschrecken. In Wahrheit scheitert der Tourismus in Palästina aber schon tausende Kilometer vor den von israelischen Soldaten bewachten Mauern und Stacheldrähten, weil die lokalen Reiseveranstalter keine Kontakte ins Ausland haben. „Palästina wird touristisch boykottiert, es bekommt nur die Krümel von Israel ab“, kritisiert Andreas Kuntz, der als deutscher Lehrer an der Dar al Kalima Fachhochschule in Bethlehem palästinensische Touristenführer ausbildet. „Die Pilger geben ihr Geld in Israel aus und kommen dann mit einem israelischen Reiseführer nach Palästina, der sie lehrt, die Palästinenser zu hassen.“

Wer seine Tour nicht über israelische Organisationen buchen will, muss schon gezielt suchen nach Menschen wie Abu Hassan. Seit 18 Jahren arbeitet der Palästinenser als Touristenführer, hat seine eigene Firma aufgebaut. Ihm ist wichtig, „dass die Menschen mit eigenen Augen sehen, was hier los ist“. Nur ungern begleitet er Gruppen nach Jericho – eine Stadt im Jordantal, die die Touristen mit ihren Sehenswürdigkeiten nur von den Problemen des Landes ablenke: Hier liegt der Berg der Versuchung, auf dem Jesus dem Teufel widerstanden haben soll. Hier finden sich Überreste der angeblich ältesten Stadt der Welt. Mit einer Seilbahn zum Kloster auf dem biblischen Berg gibt es sogar den Ansatz einer touristischen Infrastruktur.

Eine ganze Generation wirft Steine

Neben der Felsenstadt Petra, die hier im Bild zu sehen ist, befindet sich in Jordanien auch Jerash, eine geheimnisvolle Stadt, die aus dem Sand gegraben wurde.
Neben der Felsenstadt Petra, die hier im Bild zu sehen ist, befindet sich in Jordanien auch Jerash, eine geheimnisvolle Stadt, die aus dem Sand gegraben wurde. © MSG | MSG

Aber niemand steht Schlange. Auf den Straßen ist es ruhig. Träge dösen Obst- und Gemüsehändler neben der leuchtend bunten Ware unter ihren Sonnenschirmen. Auch die Jahrtausende alten Ruinen liegen verlassen da. Ausländische Urlauber sind in dem verschlafenen Städtchen so selten zu sehen, dass die einheimischen Kinder neugierig plappernd jeden Fremden umringen.

Doch wer in der sengenden Hitze Jerichos nur schnell ein Foto machen, den Rosenkranz beten und Badesalz vom Toten Meer kaufen will, ist ohnehin nicht Abu Hassans Fall. Sein Herz hängt an den politischen Touren nach Hebron oder Nablus, auf denen er Ausländer und Palästinenser zusammenbringt. „Das Interesse an Palästina ist vor allem bei jungen Leuten gewachsen. Das Internet und der arabische Frühling haben da viel verändert“, meint Hassan.

Eine kleine Auswahl palästinensischer und israelischer Organisationen bedient diesen wachsenden Markt, zeigt den Alltag der Araber zwischen Checkpoints und Flüchtlingslagern. Es geht um Intoleranz, Ungerechtigkeiten, Gewalt. „Ich habe eine Generation gesehen, die denkt, dass sie ihren Widerstand nur ausdrücken kann, indem sie Steine wirft“, sagt auch Dr. Abdelfattah Abusrour. Abusrour lebt und arbeitet in einem Flüchtlingslager, dem Aida-Camp nahe Bethlehem.

In seinem Büro im Alrowwad Cultural Center hängen Bilder von Mahatma Ghandi, Maria Theresia und Martin Luther King. Unter dem Motto „Wunderschöner Widerstand“ will Abusrour Kindern, die ohne Spielplätze oder Grünflächen aufwachsen, mit Theater-, Tanz- und Fotokursen die Möglichkeit zur kreativen Selbstverwirklichung bieten. Sogar Papst Benedikt XVI. kam, um sich das anzusehen.

Ein wenig Heiligkeit mit nach Hause nehmen

Steine fliegen in und um Bethlehem jetzt seltener. Der Massentourismus in der Geburtsstadt Jesu boomt – zumindest für palästinensische Verhältnisse. Während Taxifahrer lautstark um die Gunst der Besucher buhlen und Souvenirverkäufer rund um den Krippen-Platz Rosenkränze aus Olivenholz in mehreren Sprachen anbieten, ist die Luft in der Geburtskirche schwer von Weihrauch und Rührung. Frauen wischen mit Tüchern über den Boden, um ein wenig Heiligkeit mit nach Hause zu nehmen.

Ein Priester versucht Ordnung in das Gedränge zu bringen, mahnt zur Eile. Nebenan, in der St. Katherinen-Kirche, verkündet ein Schild am Beichtstuhl, dass Sünder hier auf Englisch, Italienisch und Spanisch gestehen können. Sogar die acht Meter hohe Betonwand, die die Stadt von Jerusalem trennt, ist zur Attraktion geworden. Mauertouristen kommen, um die Werke des britischen Graffiti-Künstlers Bansky zu bewundern. Für die Palästinenser aber bedeutet die Sperranlage direkt vor ihrer Nase den Unterschied: zwischen Fünf-Sterne-Besatzung und Fünf-Sterne-Tourismus.