Die südfranzösische Metropole will zur „Hauptstadt des Mittelmeers” werden
Weiße Bluse, Kajal, dunkle Haut. Die Bedienung sieht aus wie eine Araberin. Stimmt, ihre Eltern kamen aus Syrien. Weißes Hemd, keckes Oberlippenbärtchen, braune Haut. Im libanesischen Lebensmittelladen bedient ein Tunesier. Blaues T-Shirt, Rastalocken, schwarze Haut. Der Pizzaiolo, der die Pizza Marsellaise mit dem Moped anliefert, stammt von der Elfenbeinküste. Marseille, das ist das Prinzip Bouillabaisse, die berühmte Fischsuppe, in die verschiedene Mittelmeerfische geschnipselt werden.
Info
Städtereisen
Anreise: Von Paris mit dem Hochgeschwindigkeitszug TGV in drei Stunden. Mehrere deutsche Flughäfen sind mit dem „Aéroport Marseille Provence” (20 km nordwestlich von Marseille gelegen) direkt verbunden.
Reisezeit: Ganzjährig, noch im November kann man baden.
Essen und Trinken: La Karbonade, 42, Quai de Rive-Neuve, 04-91 55 02 27; ausgezeichnete Fischgerichte. L'Epuisette, 138, Vallon des Auffes, 04-91 52 17 82; hier gibt es angeblich die beste Bouillabaisse.
Veranstaltungen: „Mondial la Marseille à Pétanque”: das größte Pe´tanque-Turnier der Welt.
Auskunft: Office du Tourisme, 4, la Canebière, F 13001 Marseille, 0033-491-13 89 19, www.marseille-tourisme.com
Bouillabaisse steht auch für die Vielfalt der Stadt. 820 000 Einwohner, mit Vororten zwei Millionen. Alle großen Ethnien der Welt sind vertreten, allein Muslime sollen ein Drittel der Bevölkerung ausmachen.
Frankreichs älteste und zweitgrößte Stadt ist einzigartig, ein Schmelztiegel aus 111 Vierteln, ein buntes Völkergemisch. Nur noch New York vereint so viele Kulturen. Das geht nicht immer konfliktfrei, aber man hat sich arrangiert. Der Fußballstar Zinedine Zidane, dessen Vorfahren aus Algerien stammen, betont stets, nicht Nordafrika, Marseille sei seine Heimat. Das sehen die meisten Marsellais so.
Das war schon 1929 so, als der Film „Marius - Fanny - César” von Marcel Pagnol gedreht wurde. Der Seefahrer, die Muschelverkäuferin und der Kneipenbesitzer stellen volkstümliche Figuren dar, schlitzohrig, leicht aufbrausend und dem Glücksspiel zugeneigt. Dieser und andere Filme mit Jean-Paul Belmondo und Jean Delon prägen immer noch das Image Marseilles. Eine Stadt, in der es nicht immer mit rechten Dingen zugeht. Eine Hafenstadt eben - lockere Sitten, Gaunereien und viel Absinth.
Beim Stadtplanungsamt geht es mit rechten Dingen zu. Ein junger Beamter erklärt am Modell, wie die Stadt aus ihrer eigenen Substanz heraus umgebaut wird. „Euroméditerranée” heißt das Projekt, mehr als drei Milliarden Euro werden investiert. 2010 wird Marseille ein neues Viertel und neue Bauten, darunter einen Glaskubus mit 29 Stockwerken von der Stararchitektin Zaha Hadid, haben. Die Docks, die riesigen Speicherhallen am Hafen, sind schon umgebaut worden zu einer Shopping Mall mit Kultureinrichtungen. Am Joliette-Kai werden weitere Hallen zu modernen Erlebnisoasen mit Shopping und Kunst umgestaltet, und aus einem gewaltiger Getreidespeicher wird ein Kongresszentrum mit einem Konzertsaal für 2000 Zuhörer.
Marseille nutzt, was es hat, sogar im Übermaß. Nämlich denkmalgeschützte Bauten. Im 19. Jahrhundert galt die Stadt als eine der reichsten Europas. An der prächtigen Einkaufs- und Amüsiermeile Canebière ist die glanzvolle Zeit in Form von Gründerzeitbauten im Haussmannschen Stil konserviert. Auch die Hauptstadt Paris hat einen Boulevard Haussmann.
Das Zentrum der Stadt aber ist der Alte Hafen, hier begann alles vor 2600 Jahren. Die Griechen kamen auf dem Seeweg, sahen den felsengeschützten Ort, ein idealer Naturhafen, und gründeten Massalia. Über die Jahrtausende war er Schauplatz mediterranen Handelslebens, heute ist er einer der größten Yacht- und Seglerhäfen Europas mit 3000 Anlegeplätzen.
Die Hochseeschifffahrt wird am neuen Hafen abgefertigt. 57 Kilometer Küste gehören zum Stadtgebiet, dort gibt es Calanques, Felsenbuchten, in denen anbrandendes Meerwasser seit Jahrmillionen unter das Küstengestein schwappt und es bizarr formt. „Marseille gehört dem, der über das Meer kommt”, schrieb einst der Dichter Blaise Cendrars.
Am Alten Hafen wird morgens am Quai des Belges fangfrischer Fisch verkauft, da ist es laut und umtriebig. Danach wird es entspannt, der Hafen ist eine Freilichtterrasse zum Sehen und Gesehenwerden, Leute sitzen in Cafés und Restaurants und schauen hinaus aufs Meer und das vor der Hafeneinfahrt gelagerte Eiland mit dem Chateau d'If von 1524, in dem Alexandre Dumas seinen Grafen von Monte Christo einkerkern ließ. Man kann das Inselgefängnis per Fähre erreichen, ein grusliger Ort.
Heiter dagegen ist Le Panier, das Altstadtviertel über dem Alten Hafen. Über Treppen geht es auf die Hügel, vorbei am Rathaus, einem Palazzo im genuesischen Stil. Die einst von korsischen und italienischen Zuwanderern bewohnten Häuser wurden schick renoviert, aber nach wie vor trocknet Wäsche über verwinkelten Gassen, laufen Fernseher in ebenerdigen Wohnräumen. Kinder flitzen über Plätze und Treppen, in der Mitte die Rinne für das Regenwasser. Künstler halten ihre Ateliers offen, in Kneipen wird schon am Vormittag Rotwein ausgeschenkt. Der Place des Moulins sieht aus wie Montmartre in Paris, der Blick reicht zum Meer, auf dem ein breiter Lichtteppich liegt, und zum großen Hafen, in dem es geschäftig zugeht. Pro Jahr werden in Marseille 1,2 Millionen Passagiere abgefertigt. Er reicht auch zur Festung St. Jean, auf dem Gebiet davor entsteht die Cité de la Méditerranée, ein 110 Hektar großes neues Stadtviertel rund um ein neues Hafenbecken. Neben Wohn- und Bürohäusern wird es ein Aquarium, Geschäfte, Restaurants, ein Kino geben und 2010 wird das größte Museum der mediterranen Kultur eröffnet werden. Marseille will Barcelona überholen und zur Hauptstadt des Mittelmeers werden. Das Prinzip Bouillabaisse.