Thiessow. Die Zeiten fetter Fänge sind für viele Fischer an der Ostsee vorbei. Nun sollen die Fangeinbußen mit Einnahmen aus dem Tourismus kompensiert werden: “Urlaub auf dem Fischerhof“ heißt ein neues Angebot für Touristen, bei dem sich alles um den Fisch dreht: Angeln, Räuchern und die Zubereitung.
Noch pfeift der Wind durch den Rohbau. Doch Fischer Christoph Pretzel hat genug Fantasie, um sich vorstellen zu können, wie wohl sich schon im Mai die ersten Urlauber in seinem neuen Ferienhaus fühlen werden. Durch das noch unverglaste Fenster streift sein Blick über den Strand von Thiessow hinaus auf Meer. "Da draußen", sagt er, "liegen unsere besten Fanggründe." Seit vier Generationen fischen die Pretzels vor Rügens Nordküste. Schon Urgroßvater Richard fuhr einst Morgen für Morgen auf die Ostsee hinaus, um mit vollen Herings- und Dorschnetzen zurückzukehren. Noch heute steuern Christian, sein Vater Ferdinand und manchmal auch der 78-jährige Großvater Martin den Kutter zu den Reusen und Stellnetzen.
Aufgabe der Fischerei kam nicht infrage
Doch die Zeiten fetter Fänge sind längst vorbei. Ständig sinkende Fangquoten, immer mehr EU-Auflagen und steigende Kosten bringen die ostdeutschen Küstenfischer in Not. Allein 2011 hingen 30 der 335 Kollegen das Ölhemd an den Nagel. Auch die Pretzels bekamen die Krise zu spüren. Ihre genehmigten Heringsfänge gingen seit 2007 von 650 auf 300 Tonnen zurück. "Aber Aufgeben kommt für uns nicht infrage", sagt der 29-jährige Junior. "Fischen gehört eben zu meinem Leben".
Vor mehr als einem Jahr habe er deshalb beschlossen, die Fangeinbußen mit Einnahmen aus dem Tourismus zu kompensieren. Am Ortsrand von Thiessow erwarb er Bauland. Weil die Förderung über den Europäischen Fischereifonds abgelehnt wurde, nahm er einen Privatkredit auf und ließ gleich hinter der Düne zwei neue Häuser mit jeweils vier Ferienwohnungen bauen.
Landesweit laden erst etwa 15 Fischer zum Urlaub
Inzwischen gingen schon die ersten Buchungen für die Hauptsaison ein. "Ich will an den Urlaubern nicht reich werden", stellt Pretzel klar. "Ich will nur meinen Fischereibetrieb etwas entlasten." Dafür möchte er seinen Gästen auch etwas bieten. Wer Lust und Interesse hat, den wird Pretzel dann auch schon mal zu einem seiner Törns mitnehmen. Zum Selber-Angeln stehen zwei neue, mit Fördergeldern angeschaffte 40-PS-Motorboote zur Verfügung. Es wird gemeinsam geräuchert und wenn gewünscht, dann öffnet Mutter Manuela auch mal ihre Küche und zeigt, wie man einen Hecht richtig spickt oder Zanderröllchen knusprig bäckt. Später soll in einem der Ferienhäuser eine Art Schauküche entstehen.
Pretzel ist einer von erst sechs Küstenfischern in Mecklenburg-Vorpommern, die sich der vor fünf Jahren gestarteten Landesinitiative "Fischtour MV" anschlossen und zum "Urlaub auf dem Fischerhof" einladen. Hinzu kämen im Binnenland etwa 15 Fischereiunternehmen, die im Zweiterwerb Unterkunft und Freizeitmöglichkeiten anböten, sagt Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD). Wer im Nordosten einmal einem Fischer bei der Arbeit zusehen will, der komme zum Beispiel bei Binnenfischern in Eldenburg, Malchow, Vipperow, Alt Schwerin, Dahmen, Carwitz und Rankwitz auf seine Kosten.
Projekte scheitern oft am Baurecht
Obwohl Landurlaub am Wasser sogar noch mehr gefragt sei als der Verkaufsrenner "Urlaub auf dem Bauernhof", falle es noch immer vielen Fischern schwer, sich ein neues Standbein im Tourismus oder in der Aquakultur zu schaffen, sagt Backhaus. Oftmals scheiterten Projekte schon an baurechtlichen Problemen, weil die Fischerhöfe im Außenbereich der Kommunen lägen und Neubauten nur im Ausnahmefall genehmigt würden. Immerhin: Noch bis 2013 können touristische Vorhaben von Fischereiunternehmen an der Küste gefördert werden. (dapd)