Oberschwaben. In Oberschwaben finden sich einige von Deutschlands größten Moorlandschaften. Viele der schwarze Wasserlandschaften sind Erholungs- und Renaturierungsgebiet zugleich. Wer mag, kann bis zum Hals in der schokoladenkuchenteigigen Pampe versinken - und seinen Knochen Gutes tun.

Oberschwaben ist ein Naturereignis. Wer über die Landstraßen fährt, dem kommt es vor, als rollten ihm sanfte Wellen entgegen, ein Hügel nach dem anderen. Geographen sprechen von „Drumlins“, von Eiszeitgletschern aufgedrückte stromlinienförmige Erhebungen. Sie prägen die Landschaft ebenso wie die barocken Kirchen mit ihren Rudeln an Putten, Engel- und Heiligenfiguren. Selbst kleine Dorfkirchen tragen außen und innen Dekorationszierrat wie anderswo Kathedralen.

Auch die Ortschaften protzen mit Barock, mit bemalten Fassaden, alten Patrizierhäusern und auffällig viel Gastronomie, die auf Lebensfreude schließen lässt. Die wird auch geweckt vom Thermalwasser, das in diesem Bäderdreieck aus bis zu 1800 Metern Tiefe mit 60 Grad sprudelt und viel Fluorid und Schwefel enthält. Gut für Knochen und Bewegungsapparat, auch präventiv.

In Bad Buchau wird gegen den Wasserwiderstand angestrampelt, die Fahrräder sind im separaten Becken verankert, nur Schultern und Kopf des Radlers ragen aus dem Wasser. Angeblich flutschen überflüssige Kilokalorien mit dem Schweiß aus dem Körper, während das Herz fröhlich pumpt und den Stoffwechsel auf Trab bringt. Barfuß die Pedalen treten, auch im Wettkampf mit anderen Radlern, das macht Spaß. Ergonomisch angepasste Lenker, verstellbare Sättel, Gangschaltung und Kontrollleuchte motivieren zusätzlich.

Im Moor verträgt man eine höhere Temperatur

Die katholischen Oberschwaben – mental den Allgäuern näher als den pietistischen Schwaben im Ländle und erst 1806 dem nüchtern-kargen Württemberg zugeschlagen – weisen gern darauf hin, dass man in Stuttgart, wo die Protestanten lieber vor dem Hauptbahnhof hocken anstatt das Leben zu genießen, solcherart Wasserwellness wohl kaum finden werde.

Bad Buchau wurde in den letzten Jahren generalstabsmäßig modernisiert, in der ehemaligen Reichsstadt setzt man auf Gesundheitsurlaub. Über der topsanierten Adelindis-Therme mit ihrer riesigen Saunalandschaft leuchten fünf Medical-Wellness-Sterne. Das Heimatmuseum ist ein federleichter Bau auf Stelzen am Federsee, lichtdurchflutet, interaktiv und mit archäologischen Attraktionen. Sie belegen, dass die Region bereits in der Jungsteinzeit um 3700 vor Christus besiedelt war. Hinterm Museum gibt es ein Steinzeitdorf, die Hütten dürfen betreten, Waffen, Sicheln und andere Handwerkszeuge der späteiszeitlichen Steppenjäger angefasst werden. Vor allem für Kinder und Schulklassen eine eindrucksvolle Geschichtslektion. Bis zu 20 solcher Siedlungen fand man im Umkreis des Federsees – das Moor hat sie konserviert.

Moor als Bau- und Heizmaterial

Moor gehört zum Reichtum dieser Gegend, es war über Jahrhunderte bevorzugtes Bau- und Heizmaterial und zudem ein Exporthit. Moor ist Torf plus Wasser. Torf entsteht, wenn Moos und Erde über Hunderte von Jahren verbacken werden und die Pressgewalt das Wasser ausquetscht. Torf wird kaum noch abgestochen, aber das oberschwäbische Wellness-Gewerbe offeriert gemahlenes und gerührtes Moos als dickbreiiges Naturmittel ohne fremde Zusätze. Die schokoladenkuchenteigige Pampe lässt man in Holzzuber sacken und dann ermuntert die keinen Widerspruch duldende korpulente Badefrau in Stiefeln und Gummischürze: „Na los, rein mit Ihnen!“

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Bis zum Hals hockt man in einem Biotop, dessen Bildung vor rund 20 000 Jahren begann. Alle schwitzen, nach 20 Minuten geht’s unter die Dusche. Der Effekt: Im Moor verträgt der Körper höhere Temperaturen als im Wasser. Das ist gut – vor allem für Leute mit Rheuma und orthopädischen Beschwerden. Aber auch für andere, denn über die Haut gelangen die Grundbausteine vieler Hormone in die Blutbahn und regen den Körper zur Hormonvermehrung an. Ein Jungbrunneneffekt.

Das Wurzacher Ried gehört mit 1700 Hektar zu Deutschlands größten Moorlandschaften. Acht Kilometer lang ist der Weg über ausgebaute Pfade, Brücken, leicht schwankende und quietschende Bohlen an einem schmalen, beim leisesten Windhauch zitternden Schilfgürtel entlang durch die schwarze Wasserlandschaft, die Erholungs- und Renaturierungsgebiet ist. Still ist es, der See ruht, gluckst aber manchmal. Auch Vögel (135 Arten) melden sich, Libellen (135 Arten) sirren, man bewundert sehr bizarre Pflanzen (800 Arten), vor allem das Wollgras (Heidekraut mit wenig Nährsalz, das in Feuchtgebieten wuchert). Am Uferrand haben die Krebse den Rückwärtsgang eingelegt, die dunkle Brühe trägt blühende Teichrosen wie Diamanten, und seit Jahren wurde hier keine Moorleiche mehr geborgen.

Kinder suchen im Nebel ängstlich nach Gespenstern

Im Herbst aber erscheint die Landschaft unheimlich, wenn tagsüber der Bodennebel hüfthoch steht, man wie durch Zuckerwatte stapft und Kinder ängstlich nach Gespenstern suchen. Im Winter werden bei Dämmerung Fackeltouren rund ums Moorgewässer angeboten, das ist einzigartig und soll nicht gruselig, sondern atmosphärisch sein.

Bad Waldsee hat zwei Seen im Stadtgebiet, auf einem davon finden im Sommer Ruderregatten statt. Es bietet Thermalbad, Moorbad und Kneippbad in einem in seiner 720 Quadratmeter großen Badelandschaft. In Bad Waldsee sollte man nach dem Bade durch die malerische Innenstadt flanieren, eine Heile-Welt-Restinsel mit puppig bemaltem Rathaus, verstopften Boutiquen in gepflegten Fachwerkhäusern und strotzendem Barock. Die Oberschwaben, heißt es, fremdeln im eigenen Bundesland, aber die exzessive Barockausstattung ihrer Ortschaften wirkt als Panzer gegen den strengen, weltverneinenden Protestantismus. Eigentlich wären sie lieber Bayern. Der berühmte Lokaldichter Thaddäus Troll dachte jahrelang über das Dilemma nach. Am Ende brachte er es auf einen simplen Nenner: „Nach München fährt man, nach Stuttgart muss man.“