Europas größtes Binnenwassersportrevier bietet auch Touristen viele Freizeitmöglichkeiten.
Das Reich von Hartmut Urban wirkt wie aus der Zeit gefallen: Ein prächtiges Vereinshaus in Bäderarchitektur, daneben auf der Wiese schneeweiße Segelboote vor einem Fluss. Und das in Berlin. Urban ist stellvertretender Vereinsvorsitzender des Yachtclubs Wendenschloß, einem Wassersportverein am Fuß der Müggelberge. Ihm geht es dieser Tage wie seinen Sportfreunden in hunderten Clubs der Bundeshauptstadt - die Finger kribbeln, denn am 4. April werden die Boote zu Wasser gelassen - Saisonstart in Europas größtem Binnenwassersportrevier.
„Berlin ist die Wiege des deutschen Wassersports”, sagt Werner Philipp, Leiter des Grünauer Wassersportmuseums. Seit fast 150 Jahren betreiben Berliner und ihre Gäste auf Havel, Dahme und Spree aktive und passive Erholung im feuchten Nass. Sie rudern, tauchen, schwimmen, segeln, paddeln oder tuckern mit dem Motorboot von A nach B. „Der erste deutsche Seglerverein gründete sich 1867 in Berlin, der erste Ruderverein 1876”, ergänzt Philipp. Von damals bis heute gerechnet zähle die Metropole mit über eintausend die meisten Wassersportvereine der Welt. Den Anfang machten laut Philipp 1835 pensionierte Kapitäne, die sich auf der Halbinsel Stralau Miniaturen ihrer Hochseeschiffe bauten und damit auf der Spree schipperten. Auch die Tourismuswerber entdecken dieses Pfund nach und nach neu. „Es gibt kaum eine Region in Europa, wo Stadt und Land so genial verbunden sind”, schwärmt Christian Tänzler, Sprecher der Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM). Das möchte Max Hiller öfter hören. Der Chef des Wirtschaftsverbandes Wassersport Berlin bemängelt, dass die BTM ihr Augenmerk zu sehr auf den klassischen Metropolentourismus legt.
„Berlin dagegen als größtes Binnenwassersportrevier wird schlecht vermarktet”, sagt Hiller. „Dabei ist die Stadt eine Drehscheibe des Wassersports. Nicht nur bei der Anreise, sondern auch räumlich.” Wo sonst auf dem Kontinent könnten Touristen tagsüber Wasserwandern oder faul im See dümpeln und abends vom Boot aus in die Oper gehen. Stellvertretend dafür nennt Hiller den öffentlichen Liegeplatz gegenüber dem Reichstag. Zusätzlich gebe es zehn weitere Sportbootanlegestellen in der City, die rund um die Uhr belegbar sind. Insgesamt verfüge die Stadt über 200 schiffbare Kilometer Fluss und 50 Seen, von denen aus die Elbestädte, die Nordsee, die Flüsse in Frankreich wie auch das Stettiner Haff oder die Ostsee per Boot erreichbar sind.
Info
Berlin
Kontakt:
- yachtclub-wendenschloss.de,
- restaurant-schifferklause.de, ( 030/61 67 40 58);
Kanus und Kajaks ab 15 Euro pro Tag, Info beim Landeskanuverband unter:
- Wassersportmuseum Grünau, Regattastraße 191. Geöffnet ab 18. April. Führungen auch vorab mit Anmeldung unter 030/67 44 687;
Allgemeines: Geschwindigkeiten: auf Kanälen 12,5 km/h, Seen 25 km/h;
Führerschein: führerscheinfrei mit Booten bis 5 PS oder nach Einweisung auf Charterbooten. Führerscheinpflicht zwischen Oberbaumbrücke und Kanzleramt.
Infos: www.wassersport-verband.de
Die Gewässerkarte 2009 ist für zwei Euro bestellbar: 030/35 13 60 90
„Selbst viele Berliner wissen nicht, was es hier alles an Wasser gibt”, sagt Hiller und verweist auf das Solarbootzentrum in der Altstadt von Köpenick. Köpenick feiert Jahr sein 800-jähriges Bestehen und hält besonders viele Angebote für den Wassersport bereit. Die deutschlandweit erste Wasser-Tankstelle für Autogas gibt es Hiller zufolge an der Müggelspree. Mit dem modernisierten Tankplatz Marina Lanke an der Havel sei die Treibstoffversorgung auch wieder für die westlichen Reviere gesichert.
Tatsächlich lebt vom Wassersport eine ganze Industrie in Berlin. Es gibt Bootsbauer, -häuser und -verleihe. Polsterer, Segelmacher, Schiffsausrüster, Fahrschulen, Häfen mit Anschlüssen für Strom, Trinkwasser und Fäkalien bieten ihre Leistungen an; an keinem wassernahen Restaurant fehlen Stege mit Anlegeplätzen. Selbst das Vermieten von Liegeplätzen samt Auf- und Abslippen entwickelte sich zum florierenden Geschäftszweig. Die Vereine verpachten vielfach ihre Gaststätten an Cafés und Zimmervermittlungen.
Zu den 113 Migliedern im Berliner Seglerverband zählt der Yachtclub Wendenschloß, dessen Tradition bis 1898 zurückreicht. Hartmut Urbans Verein macht seit März 2008 den historischen Ballsaal und seine Kneipe öffentlich zugänglich. Die Schifferklause, wo sich Kronprinz Wilhelm erholte, ist für Familienfeiern und Firmen geöffnet. Im Sommer lädt die Terrasse ein. Zu Pfingsten soll es einen Tag der offenen Tür geben - für Auswärtige und Einheimische. Denn während der motorisierte Sport auf Berlins Gewässern zunimmt, plagen Ruderer und Segler Nachwuchssorgen. „Unverständlich”, sagt Museumschef Philipp. „Wassersport ist nämlich gesund und erspart die Muckibude.”