England.

Kennen Sie einen englischen Radprofi? Die Engländer vermutlich auch nicht. Das könnte sich jedoch in einigen Jahrzehnten ändern. Denn Radfahren wird auf der Insel immer populärer. Doch die Briten tun sich schwer damit, in den Sattel zu kommen – und das nicht nur im übertragenen Sinne.

Auf halbem Wege zwischen Dover und London, in Faversham, wurde ich Augenzeuge, wie Nachbarn versuchten, einem Mittdreißiger das Balancehalten, Treten und Lenken beizubringen und sehr bald kommentierten: „Du gewinnst nie die Tour de France.“

Radfahren auf der Insel – das war der dritte und letzte Teil meiner Fernradtouren aus dem Ruhrgebiet nach Berlin, Paris im letzten Herbst und jetzt eben London.

Und es war auch der Anspruchsvollste. Nach dem Radelparadies Belgien, wo es auf gut asphaltierten Wegen oft autofrei die Kanäle entlang nach Westen auf die Küste zu ging, war das Radelerlebnis nach der Fährüberfahrt (für die das Rad sieben Euro Kerosinzuschlag kostete, genauso viel wie ein Wohnmobil…) eher schockierend: Radeln in England bedeutet: auf Schnellstraßen von donnernden Lastern begleitet zu werden oder auf zweifelhaft markierten Wegen und schlaglochreichen Straßen und mit brutalen Steigungen und Gefällen sich mühsam einen Weg zu suchen.

In der Grafschaft Kent scheint der englische Humor unter anderem darin zu bestehen, auf den Hinweisschildern Orte zu vermerken, die auf der Karte nicht vorkommen und umgekehrt.

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Zum Glück sind die Engländer hilfsbereit. So hielt auch ein Rennradler, als ich wieder einmal meine zerfledderte Karte studierte. Ich erklärte, dass ich eigentlich ja die „National Cycle Route Number 1“ von Dover nach London fahren wolle. Er schüttelte den Kopf, führte mich aber zurück zu dieser Route und riet mir, sie gleich wieder zu verlassen. Er wisse einen besseren Weg. Sprach es, radelte vorweg und ich mühsam hinterher. Ratlos auf dem Rad. Nun, sagte er am Ende der gemeinsamen Fahrt über Kents steile Hügel, nun sei ich London zehn Meilen näher und das mit der National Cycle Route, das dürfe ich nicht so ernst nehmen. Das sei mehr eine Idee als ein Radweg.

Entlang der Themse: Sand- und Schotterwege

Er fahre ja gern lange Strecken. Und, welche Route steht als nächstes an? Von Paris nach Brest, verkündete er freudestrahlend. Es radelt sich halt besser in einem Land, in dem man Ideen von Nationalen Radrouten nicht gleich mit dicken roten Linien auf die Landkarte malt.

Einfacher wurde es erst, als London in Sicht kam. Besser gesagt: die Themse. Denn es gibt tatsächlich einen Themseradweg. Den allerdings darf man sich nicht so vorstellen wie die Radelpisten an Rhein, Ruhr und Emscher. Mal ist es ein besserer Leinpfad aus Sand und Schotter, mal, wie in Greenwich, eine überfüllte Uferpromenade.

Und manchmal besteht er auch nur aus Umleitungen, wie am Millennium Dome, wo die Beschilderung einen spiralförmig zu den geplanten Drehorten einer neuen düsteren Krimiserie führen möchte. Bis man mit anderen verloren gegangenen Radlern darüber abstimmt, wie man denn nun wohl am besten weiterkommt.

Gemeinsame Fahrspur für Rad, Taxi, Bus

Endlich in der City wird das Radeln vergleichsweise einfach. Wie in Paris teilt man sich hier die Spur mit Taxen und Bussen. Bloß, dass es davon etwa dreimal so viele gibt. Aber man stellt fest, dass man als Radfahrer in London gar nicht allein ist. Es gibt sogar „Cycle Super Highways“. Blau markierte Radelschnellstrecken, die sternförmig in die City hinein und herausführen sollen.

Radfahrer werden als probates Mittel angesehen, die katastrophalen Staus in der Londoner City etwas durchlässiger zu machen. Und die gleiche Bank, die auch die Anlage „Super Bike Highways“ sponsert, hat an vielen Stellen Dutzende Leihfahrräder postiert. Ein Pfund kostet die Tagesmitgliedschaft, die erste halbe Stunde pro Rad ist gratis, die Preise steigen dann aber rasch an, da die Leihräder explizit für Kurzstreckenfahrten gedacht sind.

Auch wenn von den geplanten zwölf Radelhighways erst vier fertig sind, so hat sich der Radverkehr im letzten Jahrzehnt in London verdoppelt. Selbst Bürgermeister Boris Johnson nutzt das Rad auf dem Weg ins Büro, heißt es. Johnsons Fahrrad wird vermutlich etwas besser ausgestattet sein als die Räder eines Paares im Rentenalter, das mir nachts in Faversham im Dunklen entgegenkam, als ich es vorzog, zu Fuß zu gehen. Er fuhr vorneweg, einhändig, denn mit der Rechten musste er die Taschenlampe halten, die die Straße ausleuchten sollte. Sie fuhr hinterher, den linken Arm hinter dem Rücken verschränkt, damit die daran geschnallte rote Leuchte auch tatsächlich zum Rücklicht wurde.

Wie gesagt: Die Briten finden erst allmählich in den Sattel.