Wladiwostok.. Wladiwostok hat sich zum Hauptumschlagplatz des russischen Autohandels gemausert. Zwischen Weltkriegsdenkmälern und chinesischen Händlern finden Urlauber hier auch Spuren deutscher Vergangenheit. Doch auf ihre Kosten kommen nur Naturliebhaber.

Neun Flugstunden sind es von Moskau, sechs lange Tage und Nächte mit der Transsibirischen Eisenbahn und genau so viele Zeitzonen: Erreicht man Wladiwostok im fernen Osten Russlands endlich, ist man überrascht: Ist das hier das Ende von Europa oder der Anfang von Asien?

Das Leben wuselt wieder, hier an Russlands ehemaligem Vorposten am Pazifik. Gegenüber liegt Japan. Nur dreieinhalb Fährstunden entfernt. Die Nähe zum Reich der aufgehenden Sonne ist bei jedem Blick durch die Straßenschluchten der 800.000-Einwohner-Metropole allgegenwärtig. Ob auf den Hügeln an der Peripherie, wo sich hässliche Plattenbauten dem Himmel entgegenrecken, ob unten am Hafen, wo die ehemalige Prachtstraße Swetlanskaya mit ihren von sozialistischer Patina überzogenen Gründerzeitbauten vom ehemaligen imperialen Glanz berichten: Überall quälen sich Blechlawinen von Toyotas und Mitsubishis über den brüchigen Asphalt.

Wladiwostok hat sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, nach der Öffnung der über Jahrzehnte abgeschlossenen verbotenen Stadt, zum Hauptumschlagplatz des russischen Automarktes gemausert. 60 Prozent der Bevölkerung lebt vom Import der Wagen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und Hilfe aus dem fernen Moskau unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Regierungschef Putin hat wegen der Überschwemmung von ausländischen Autos die Importsteuer so erhöht, dass das Geschäft nicht mehr lukrativ erscheinen soll. Doch da sich die Steuer nur auf komplette Autos bezieht, lässt man sie jetzt in Einzelteilen einschiffen – und baut sie in kleinen Werkstätten zusammen.

Mit den unendlichen Blechlawinen geht’s ostwärts, weiter über die Swetlanskaya.

Ein Gemischtwarenladen am Ende der Welt

Vorbei am Denkmal für den pazifischen Weltkrieg, einem alten U-Boot S-59, vorbei an fliegenden chinesischen Händlern und den Auslagen des ehemaligen Kaufhauses „Kunst & Albers“, mit dem sich zwei Hamburger 1864 den Traum von einem Gemischtwarenladen am Ende der Welt erfüllt haben. Heute heißt es „Gum“. Im Angebot: Gemischtwaren. Kurz bevor man das zweite deutsche Bauwerk, die 1906 erbaute Backsteinkirche des Architekten Junghändel, erreicht, recken sich plötzlich überdimensionierte Beton-Pylone in den Himmel. Sie künden von der Zukunft. Von der Wladiwostok, das 2012 zur asiatischen Wirtschaftskonferenz APEC lädt – und Touristen anlocken will.

Alleine sollte man allerdings nie in die Einsamkeit aufbrechen. Auch wenn eine kollektive Naturerkundung den Genuss schmälert: Der wahre Herrscher der Taiga, der Tiger, diskutiert nicht. Ein Mensch steht auf seiner Gourmetliste zwar nicht an allererster Stelle, aber, so warnt Sergey Aramilev, Programm-Koordinator beim WWF, vor einer Tour: „Wenn ihr einen Tiger trefft, macht euch groß, schaut ihm in die Augen und schimpft ihn laut aus.“ Wenn das mächtige Tier mit der riesigen Tatze und den messerscharfen Krallen keinen Hunger hat, wenn es keine Jungen dabei hat, wenn es nicht verletzt ist… dann kann man Glück haben. Dann lässt der Tiger, den der Mensch durch Wilderei und die Zerstörung seines Lebensraumes an den Rand seiner Existenz gebracht hat, seinen Widersacher ziehen. Zurück in die heimische Zeitzone.