Faltig und zerbrechlich sitzt Pan Xianying vor ihrem Haus in einem Palmenhain im Süden Chinas. Wie eine Touristenattraktion wirkt die Greisin mit dem adretten Pagenschnitt nicht. Doch die siebenfache Mutter, geboren vor fast einem Jahrhundert, ist eine von drei noch lebenden Soldatinnen der berühmten Frauenarmee, die in den 30er Jahren gegen die herrschenden Kuomintang gebildet wurde. Für Touristen, die in der Inselprovinz Hainan auf einer „roten Tour“ eine Reise in Chinas kommunistische Vergangenheit unternehmen, ist sie eine lebende Sehenswürdigkeit. Zum 90. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei am 1. Juli verquicken die Behörden das Geschichtsbewusstsein mit politischer Propaganda.
Pan ist ihrer Familie zufolge etwa 95 Jahre alt. Genaue Geburtsregister sind aus dieser Zeit schwer zu bekommen. Im Alter von etwa 15 Jahren trat sie 1931 der Frauenarmee bei, die ein junger Kommunistenführer als Zeichen größerer Gleichberechtigung geschaffen hatte. Das aus bis zu 140 Frauen bestehende Korps sollte in dem langwierigen Bürgerkrieg zum Schutz der Parteiführer beitragen und die nationalistischen Kuomintang bekämpfen. Als einige Jahre später die Kuomintang die Kommunisten in Hainan in den Untergrund trieben, wurde die Einheit aufgelöst. Nach der Machtübernahme von Mao Tse-tung im Jahr 1949 wurden die Frauen dann zu Heldinnen erkoren. Ihre Geschichte inspirierte ein berühmtes Ballett und einige Filme.
Sogar auf der Tropeninsel Hainan, die eigentlich für ihre Luxushotels und Strände bekannt ist, wird seit diesem Jahr „roter Tourismus“ angeboten. Etwa 360 Besucher nahmen im April an solchen Ausflügen teil, manche im Rahmen von Veranstaltungen ihrer Arbeitgeber, manche auf eigene Faust.
Maos Geburtsort ist eine der größten Attraktionen
Daneben werden auch Wanderungen organisiert, bei denen auf den historischen Routen der kommunistischen Armee soldatische Kameradschaft beschworen wird. „Wenn man Aufzeichnungen in Büchern liest, bekommt man kein Gefühl für die Dinge“, sagt der 20-jährige Student Zhao Kexin aus Haikou. Für die ganztägige Tour bezahlte er umgerechnet 14 Euro. Die Reiseführer tragen grüne Mützen mit rotem Stern im Stil der Revolution, die die Besucher für 1,10 Euro kaufen können.
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Der „rote Tourismus“ ist nicht neu in China. Zu den größten Attraktionen zählen seit Jahren Maos Geburtsort Shaoshan in der Provinz Hunan und die langjährige Kommunisten-Basis Yan’an in der Provinz Shaanxi. Kürzlich wiesen die Behörden in Chongqing im Südwesten den staatlichen Rundfunk und das Fernsehen auch noch an, „rote Lieder“ zu spielen, die die Kommunistische Partei rühmen. Medienberichten zufolge werden die Bürger aufgefordert, die Lieder von Websites herunterzuladen, Zeitungen drucken die dazugehörigen Texte nach.
In Qionghai geben derweil Pans Söhne Geschichten aus der Armeezeit ihrer Mutter zum Besten, zum Beispiel wie sie als jüngstes Korps-Mitglied bei einer 24-stündigen Schlacht viele Kameradinnen verlor. Chen Doushu ist Chef der Agentur, die die Touren organisiert. Er glaubt, das Interesse am „roten Tourismus“ spiegelt den Wunsch vieler Chinesen, nach 30 Jahren schwindelerregender Modernisierung auch einmal Luft zu holen – und in der Vergangenheit zu schwelgen.