Jerusalem.. An Karfreitag stömen Tausende Gläubige nach Jerusalem, um den Leidensweg Jesu nachzuempfinden. Über 14 Stationen führt der Weg zum Heiligen Grab, in dem Jesus begraben sein soll. Einigen Pilgern laufen Tränen über die Wangen.

Käme Jesus vorbei, er würde seinen Augen nicht trauen: Zwei Dutzend Pilger drängen sich durch die schmale Gasse in der Altstadt von Jerusalem. Einige von ihnen sind als Zeichen des Leids mit roter Farbe beschmiert, andere tragen riesige Holzkreuze auf dem Rücken. Dann spricht Henry, der Priester aus South Carolina: „Hier stürzte Jesus zum ersten Mal.“ Seine Worte werden vom Klappern der Scheren der Barbiere, vom Feilschen der Händler, vom Dröhnen der CD-Spieler in den Auslagen beinahe übertönt. Doch sie haben Gewicht: Einigen in der Gruppe laufen die Tränen über die Wangen. Das sei hier normal, sagt Henry. „Wenn in Jerusalem überhaupt etwas normal ist.“

Den Leidensweg nachvollziehen

Es ist Karfreitag, die wichtigste Prozession im Jahr. An ein Durchkommen ist in der engen Gasse kaum noch zu denken. Überall stehen Pilger: aus Italien, Spanien, den USA, Mittelamerika und auch aus Südkorea. Zu Zeiten des römischen Statthalters Pontius Pilatus soll Jesus hier zur Hinrichtungsstätte am biblischen Hügel Golgota geschritten sein.

Das Kreuz musste er selbst tragen. An diesem heiligen Tag, dem Karfreitag, wollen zigtausende Christen aus aller Welt genau diesen Leidensweg nachvollziehen. Im Schritttempo bewegen sie sich vorwärts. Immer wieder machen sie Halt an einer der Stationen und Gedenken des Leids Christi. Ziel der Prozession ist die Grabeskirche. Der Ort, an dem Jesus nicht nur gekreuzigt, sondern auch begraben worden sein soll.

Der Pilgertourismus in Jerusalem boomt. Während der zweiten Intifada, dem bewaffneten Kampf der Palästinenser gegen die Israeli, gingen die Besucherzahlen beinahe auf Null zurück.

Alles was ein Bett hat, ist zu Ostern ausgebucht

Seit dem Waffenstillstand 2005 brummt das Geschäft. Von kleinen Pensionen über Pilgerhospize bis hin zu den großen Hotels, wie dem King David Hotel, ist zu Ostern in Jerusalem alles ausgebucht, was ein Bett hat. Die Touristen stehen vor den Geschäften der Souvenirhändler Schlange. „Es ist schon schwer, sich an normalen Tagen durch die Altstadt zu bewegen“, sagt Yael Shilo, die seit vielen Jahren Touristengruppen durch die Altstadt von Jerusalem führt. „An Ostern ist es fast unmöglich.“

Jerusalem ist heilig, die Hauptstadt dreier Weltreligionen, aber kaum ein Weg wird so oft beschritten wie die Via Dolorosa. Die amerikanische Gruppe ist mittlerweile an der sechsten Station angelangt. An der kleinen Franziskanerkapelle soll Simon Jesus geholfen haben, das Kreuz zu tragen. Auch heute wiegt das Kreuz schwer. Mary-Lou, die Religionslehrerin aus Tennessee, reicht es weiter an James, den Informatiker aus Wisconsin. Alle 20 Meter wechselt das Holzkreuz jetzt den Träger. „Jeder soll es ein Stück tragen, um das Leid Christi nachempfinden zu können“, sagt Henry. So schwer wie damals ist das Kreuz heute nicht: Sie wiegen 30 Kilogramm, sind zwei Meter groß, aus massivem Olivenholz und werden am Beginn der Via Dolorosa am Löwentor meist von jungen Palästinensern vermietet.

Mit Jerusalem-Syndrom in die Klinik

Das ganze Jahr über drängen vor allem christliche Pilgergruppen durch die Altstadt. Mit den Auswüchsen ist dabei nicht immer zu spaßen. Rund 100 Personen erkranken jedes Jahr am so genannten Jerusalem-Syndrom, einer von Jerusalemer Ärzten anerkannten Diagnose, die nur hier auftritt. „Es handelt sich um eine Psychose“, weiß Henry. „Ich bin selbst schon Leuten begegnet, die so etwas erlitten haben. Sie halten sich für Jesus, König David oder Moses. In Handtücher oder Bettlaken gewickelt, irren sie durch die Stadt und halten Predigten.“ Werden sie von der Polizei aufgegriffen, gelangten sie meist in eine der Kliniken. Dort kenne man das Syndrom bereits seit Jahren und behandle es meist mit starken Beruhigungsmitteln. „Nach drei bis fünf Tagen ist der Spuk vorbei“, sagt Henry.

Von der Tariq el Wad-Straße im arabischen Viertel führt der Leidensweg Christi über steile Stufen hinauf zum Allerheiligsten der Christenheit. Noch ein paar Schritte durch den Markt, um eine Hausecke und durch eine schmale Tür, und man steht vor der Grabeskirche. Von außen wirkt das Gotteshaus, das 300 Jahre nach dem Tod Jesu von Kaiser Konstantin über seinem angeblichen Grab erbaut wurde, unscheinbar. Aber kaum betritt man das Innere, wird einem die Heiligkeit gegenwärtig. Der Geruch von Stein, Jahrtausende altem Holz und Weihrauch dringt in die Nase.

Der Augenblick ist kurz, aber voller Energie

Im Hintergrund erklingen Choräle. Die Priester singen sie höchstpersönlich. Dann geht es immer der Menge nach in ein Seitenschiff der Kirche. Schließlich sind wir da, näher kann man Jesus kaum sein.

Reise-Weisheiten

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An der 14. und letzten Station der Via Dolorosa, dem Heiligen Grab, soll Jesus begraben liegen, in einem goldenen Schrein im Halbdunkel, vor dem sich fast immer eine riesige Menschentraube bildet. Viel Zeit hat man nicht, diesen Ort zu besichtigen, denn schnell wird man von den Pilgermassen zurück nach draußen gespült. Doch auch wenn der Augenblick kurz ist, spürt man doch die Energie dieses Ortes. Noch einmal treffe ich Mary-Lou und die Gruppe US-Amerikaner irgendwo im Gedränge vor der Tür der Kirche. Ergriffen von der Heiligkeit des Ortes ist die Lehrerin direkt in die Hände eines Souvenirhändlers gelaufen. Nur wenige Worte benötigt es, um sie zu überzeugen. Dann willigt sie ein. Ihre Wahl fällt nicht auf die goldene Ikone des Heiligen Johannes und auch nicht auf eine handgeschnitzte Krippe aus Bethlehem. Was sollte man an einem solchen Tag anderes kaufen als einen gebeugten Jesus mit Holzkreuz aus Olivenholz?