Eupen. . Das Hohe Venn ist ein beliebtes Ausflugsziel in Belgien - nicht nur für Naturliebhaber. Zwischen dicht bewaldeten, bis zu 700 Meter hohen Hügeln bildet es eine Moorlandschaft, wie man sie eher im Norden der britischen Inseln vermuten würde.

Belgien - das sind dunkle Brasserien, in denen starke Biere und deftige Speisen serviert werden. Kleine Städte mit pittoresken mittelalterlichen Stadtkernen. Schnurgerade, durchgehend beleuchtete Autobahnen. Und zwei Bevölkerungsgruppen, die wohl nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen werden. Belgien ist aber auch das Hohe Venn, und das hat nichts mit all dem zu tun, was man für gewöhnlich mit unserem kleinen Nachbarland im Westen assoziiert.

Zwischen dicht bewaldeten, bis zu 700 Meter hohen Hügeln bildet es eine Moorlandschaft, wie man sie eher im Norden der britischen Inseln vermuten würde. Das Venn - niederdeutsch für Moor - liegt größtenteils im deutschsprachigen Teil Belgiens, in der Nähe der Hauptstadt Eupen. Der Naturpark Hohes Venn bildet mit dem benachbarten Nationalpark Eifel einen grenzübergreifenden Verbund. Der größte Teil des Naturparks ist bewaldet. Die Moorlandschaft selbst bedeckt 4.500 Hektar, gut zehn Mal so viel wie der Englische Garten in München, und steht unter strengem Naturschutz. Besucher haben begrenzt Zutritt: In manchen Zonen gar nicht, in anderen nur mit Führern und fast überall nur auf Holzstegen, die sich Dutzende Kilometer weit durch die Landschaft ziehen.

Führungen mit kleinen Anekdoten

Das Venn ist ein beliebtes Ausflugsziel - das war nicht immer so: "Früher haben die Leute es gescheut", erzählt Willi Brandenburg, unser Venn-Führer, den wir am Naturparkzentrum treffen. Das unwegsame Gelände sei schon vielen zum Verhängnis geworden. Wie schnell das gehen kann, bemerken wir beim ersten - fast überall aus gutem Grunde verbotenen - Schritt hinab vom Wandersteg: Unter der Sohle entsteht ein Unterdruck; das Moor saugt sich fest, als wolle es einen nicht mehr gehen lassen. Man kann sich kaum vorstellen, wie über Jahrhunderte die Menschen hierher stapften, um Torf zu stechen. Doch bis heute zeugen davon tiefe Gräben in der Landschaft.

In der benachbarten Eifel aufgewachsen, war Willi Brandenburg schon als Junge oft im Moor unterwegs. Nach seiner Pensionierung ließ sich der ehemalige Gymnasiallehrer zum Venn-Führer ausbilden, um in die Zonen vordringen zu dürfen, die autorisierten Guides vorbehalten sind. Seine Führungen schmückt er gerne mit Anekdoten aus - was angesichts der bewegten Vergangenheit der Region nicht verwundert: Im Spannungsraum zwischen deutscher, flämischer und wallonischer Kultur gelegen, war sie immer wieder Spielball der Mächte, auch wenn das unwirtliche Moor als Siedlungsgebiet denkbar unattraktiv war.

Beliebtes Langlaufgebiet zwischen Dezember und März

Wir wandern am höchsten Punkt Belgiens vorbei - dem Botrange, immerhin 694 Meter hoch - hinein ins Venn. Solche geführten Wanderungen werden zu jeder Jahreszeit angeboten. Am beeindruckendsten ist das Venn im Herbst, wenn die Moorpflanzen in intensiven Schattierungen von Rot und Gelb leuchten. Ab dem ersten Frost ist es damit vorbei; im November setzen die Nebel ein. "Das ist die Jahreszeit, in der es am stärksten an Schottland erinnert", sagt der Naturführer. Zwischen Dezember und März ist das Venn ein beliebtes Langlaufgebiet. Gespurte Loipen führen dann kilometerweit durch die oft bis in den März hinein verschneite Landschaft.

An einem Aussichtspunkt nahe des Botrange bleiben wir stehen und blicken über ein Hochplateau bis in die Eifel, deren nahe bewaldete Hügel so anders sind als diese Landschaft: Gräser bedecken den Boden wie ein dichtes struppiges Fell, heraus ragen geduckte Büsche und vereinzelte Birken. Am Rande des Hochplateaus steht ein Fahnenmast. An ihm wie an vielen anderen zeigen rote Fähnchen vor allem im Sommer an, wenn Brandgefahr herrscht und man bestimmte Zonen nicht betreten darf. Schon bald aber werden sie an vielen Orten im Venn wieder drei Monate am Stück wehen, damit Besucher nicht die bedrohten Birkhühner bei ihrer Balz stören. "Die Schutzbestimmungen sind hier in gewisser Weise strenger als im Nationalpark Eifel", erzählt Willi Brandenburg. Die vorgeschriebenen Pfade dürfe man in beiden Parks nicht verlassen, doch auf belgischer Seite dürfe er seinen kleinen Hund nicht einmal angeleint mitnehmen. "Nur im Rucksack, aber das gefällt ihm auch."

Fragiles Ökosystem mit rauhem Klima

Die rigiden Schutzmaßnahmen haben ihren Sinn: Das Ökosystem des Hochmoors ist extrem fragil. "Selbst ein weggeworfener Apfelrest stört den pH-Wert des Bodens", erklärt Brigitte Felzmann bei der Wanderung am nächsten Tag. Die Aachener Sozialpädagogin ist ebenfalls Venn-Führerin, spezialisiert auf Botanik. Mit ihr entdecken wir Details neben den Holzstegen, an denen wir sonst achtlos vorbei gelaufen wären: Etwa das Wollgras, dessen weißpuschelige Blütenfäden anzeigen, wo das Moor besonders nass ist und man entsprechend schnell versinken kann. Oder den Siebenstern, ein kleines Blümchen mit sieben Blütenblättern, Wahrzeichen des Naturschutzgebietes. Es wächst nur in Gegenden mit mindestens drei Monaten Frost im Jahr.

Das Hohe Venn ist kein Gebiet für Schönwetterwanderer: So ein raues Klima mit viel Regen und langen, kalten Wintern findet man sonst auf über 1.000 Höhenmetern. Es entsteht dadurch, dass sich über dem Venn atlantische Kälte und Feuchtigkeit sammeln, die hier auf ihre erste Barriere treffen. Deshalb wachsen hier Pflanzenarten, die man sonst nur in Nordeuropa oder den Alpen findet. Wir sind selbst überrascht, wie viel Begeisterung man für Geflecktes Knabenkraut, Sonnentau oder Pfeifengras entwickeln kann und hocken uns trotz Nieselregen immer wieder hin, um die Pflänzchen aus der Nähe zu begutachten. Die vermeintlich größeren Attraktionen des Moors, die seltenen Birkhühner und Wildkatzen oder die tausenden Hirsche, Rehe und Wildschweine lassen sich aber ohnehin nicht blicken.

Am Parkplatz nahe des Naturparkzentrums Haus Ternell endet unsere Wanderung. Während wir ins Auto steigen, um in die flachen, dicht besiedelten, gewöhnlichen Teile Mitteleuropas zurückzukehren, rückt Brigitte Felzmann ihre Kapuze zurecht und geht zurück ins Moor. Wer wie sie genau hinsieht, kann schließlich bei jeder Wanderung etwas Neues entdecken.

dapd