Geselligkeit pflegte man einst auf dem Familienfest. Oder in der Stammkneipe. Die Sehnsucht nach einem Ort, wo jeder deinen Namen kennt, wie es in der amerikanischen TV-Serie „Cheers“ heißt, ist aber auch heute noch so groß, dass das bis zur Tourismus-Industrie vordringt. Beispielsweise auf dem Kreuzfahrtschiff MS Astor, auf der sich seit vielen Jahren eine treue Fangemeinde trifft.

Als die Astor 2009 in stürmisches Wasser geriet, war die Sorge der Stammgäste entsprechend groß. Ein Piratenüberfall in letzter Sekunde abgewehrt, der Betreiber am Ende sogar insolvent – das waren keine schönen Schlagzeilen, und manch einer wähnte die gute alte Astor schon in der düsteren Bucht, in der sich die müden Schiffe zum Sterben versammeln. Umso größer war die Freude über die Lebenszeichen. Ein neuer Betreiber mit dem alten Namen, aber frischem Schwung, dazu eine General-Renovierung, die immerhin 16 Millionen Euro kostete.

Jetzt gab es nur noch eine Sorge: Werden wir unsere Astor wieder erkennen? Oder fährt sie jetzt auch im Fahrwasser der zahllosen Spaß-Schiffe, die inzwischen mit viel Getöse den Kreuzfahrt-Markt auf Einheitskurs bringen?

Im Sommer stach die neue Astor also erstmals in See, und inzwischen atmet der Freundeskreis auf: Alles so wie immer – nur noch schöner!

Das ist kein kleines Kunststück, zu vergleichen etwa mit der Vorstellung eines neuen Jaguar-Modells. Da erwartet der Kunde auch ein Produkt vom Allerfeinsten, gespickt mit ultra-moderner Technik, aber natürlich mit dem Flair des E-Type der Sechziger.

Gar nicht einfach. Auf der Astor hat man die Veränderungen mit großer Behutsamkeit vorgenommen. Das Hauptrestaurant „Waldorf“ wurde ein wenig entplüscht, der Wellness-Bereich aufgemotzt, der Übersee-Club zum komfortablen Buffet-Restaurant ausgebaut, in dem man die Gerichte auf dem gleichen hohen Niveau bekommt wie im „Waldorf“ – nur eben ohne Wein-Kellner und feste Essenszeit.

Etwas komplizierter gestaltete sich die Renovierung der Kabinen. Da lässt sich bautechnisch nun mal nicht viel ändern. Überlegungen, die Anzahl der Balkone mit dem Schweißbrenner zu erhöhen, wurden schnell wieder fallen gelassen. Was bei den großen Pötten inzwischen Standard ist, zählt hier also zur absoluten Ausnahme. Auch auf der neuen Astor gibt es nur eine Handvoll Kabinen mit Außenbereich, ausnahmslos teure Suiten, die ganz schön ins Geld gehen.

Die 167 Außen- und 80 Innenkabinen wirken dagegen eher bescheiden. Zwei Einzelbetten, von denen eines tagsüber als Sofa genutzt wird, wenig Raum, dafür aber alles geschmackvoll, sauber und gediegen wie das Gesellschaftszimmer eines gutbürgerlichen Restaurants.

Wer auf der Astor reist, sucht Geselligkeit. Hier ist man noch Mensch, seufzt die 91-Jährige, die inzwischen so oft mit diesem Schiff unterwegs ist, dass sie als Postadresse „MS Astor“ angibt. Nun ist es nicht so, dass alle Astor-Gäste 91 sind. Manche sind auch erst 70, ein paar sogar unter 50, was den Altersschnitt beispielsweise auf der Mittelmeer-Reise im November 2010 auf 69,3 drückte. Alle sind aber gleichermaßen be-geistert, dass in der „Astor-Lounge“ abends nicht „Fettes Brot“, sondern „Engelbert Wrobels Swing Society“ aufspielen, dass der Kaffee magenschonend ist und die Bitte, über Mittag und nach 23 Uhr die Ruhezeiten zu beachten, allgemein befolgt wird.

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Von DerWesten

Das Personal im Service ist aufmerksam, meist Deutsch oder wenigstens der deutschen Sprache mächtig. Was auch garantiert wird: Es ist gemütlich. Und das Essen ist gut. Küchenchef Ady Oberdorfer, ein Österreicher, der einst bei Witzigmann im „Tantris“ lernte, schickt sogar die deutschen Zutaten per Container in die Häfen vor, damit alles wie zu Hause schmeckt. Nur besser. Und die Nebenkosten sind niedrig. Ein großes Bier kostet 3,20 Euro, eine Flasche akzeptabler Hauswein 17 Euro. Da wird beispielsweise auf amerikanischen Schiffen ganz anders zugelangt.

Ein Anlass für Diskussionen ist natürlich stets die Qualität der Ausflüge. Die schwankt auch hier, aber immerhin bemüht sich die Leitung, durch penible Qualitätskontrolle die ärgsten Ausreißer, in diesem Fall etwa einen Busfahrer in Gibraltar, der die deutsche Gruppe mit einem Reiseführer-Tonband auf Polnisch zum Affenfelsen lotsen wollte, einzufangen.

Letztlich ist das aber schnell vergessen, wenn bei der Rückkehr aufs Schiff die Kreuzfahrt-Direktorin mit dem schönen Namen Romana Calvetti, eine gelernte Opernsängerin, die Gäste an der Gangway persönlich begrüßt und auf das Kuchenbuffet am Nachmittag einstimmt.

Außerdem ist man sowieso am glücklichsten auf seinem Schiff, nicht an Land. 313 Passagiere waren auf der Reise „Kunstschätze im Sonnenlicht des Südens“ dabei, darunter auch Martina und Sylvia, die ihren Vater begleiteten. Auf ihren T-Shirts stand „Daddy’s Girls“, und jeden zweiten Tag begleiteten sie ihn zur schiffseigenen Dialyse-Station. Noch einmal mit der MS Astor zu reisen, das war der sehnlichste Wunsch des 78-Jährigen. Auch das gibt es auf einem Schiff, das für manch einen zur zweiten Heimat geworden ist.