Mit leichter Schräglage pflügt die prächtig aufgetakelte Barkentine durch die karibische See. Die weiße Lady hat sich mit allem Tuch aufgerüscht, das ihr zur Verfügung steht. Vollzeug heißt das in der Seemannssprache. Ihre Bewunderer lassen nicht lange auf sich warten.
Fast alle Passagiere sind an Deck, unter vielen „Ahs“ und „Ohs“ genießen sie den überwältigenden Anblick. Ein Bild, das sie für die Dauer des Törns in eine andere Zeit katapultiert, in der die großen Windjammer die Weltmeere beherrschten. Keine Frage: Die Star Clipper sticht heute, unter all den Kreuzfahrtriesen, Fähren und High-Tech-Schiffen, als Produkt heraus.
Von der Brücke das nächste Kommando: Kursänderung! Stammbesatzung und ein paar beherzte Gäste ziehen mit aller Kraft an den Tauen: Brassen heißt das bei den Seglern. Ächzend drehen sich die Rahen – Querbäume an den Masten – in die optimale Windrichtung. Knatternd nehmen 16 weiße Segel Wind auf und blähen sich auf 3365 Quadratmeter Fläche.
Der Viermaster, einer der größten Passagiersegler der Welt, rauscht unter vollen Segeln durch die Inselwelt der Karibik. So oft es geht setzt Kapitän Loretto Mancino aus Neapel Segel. Und es gibt niemanden an Bord der 115 Meter langen Barkentine, der sich dieser Faszination entziehen kann.
Am wenigsten Robert Cernovsky. Der Wiener ist süchtig. Süchtig nach Segeln. Bald wird er zu seiner 55. Seereise starten. Viel hat der Unternehmer erlebt, vielen ist er begegnet. Mit Yvonne Catterfeld durfte er in der Südsee seinen Geburtstag feiern, mit der Multi-Kulti-Crew auf allen drei Schiffen aus der Flotte „Royal Clipper“, „Star Flyer“ und „Star Clipper“ ist er auf Du und Du. Angefangen hat seine Liebe zu Großseglern auf Schulschiffen. Inzwischen zieht er den Komfort auf Passagierseglern vor. „Aber nie“, sagt er, „würde ich je wieder an Bord eines gewöhnlichen Überseedampfers gehen.“ Den Rausch, den er braucht, erlebt er dort nicht. Auch seine Sucht kann er nicht ausleben, die ihn nach oben zieht. Schon mehrmals hat er die Wanten (Strickleitern) geentert, um bis zur ersten Plattform am Hauptmast, der Saling, zu klettern. Mit Karabinern gesichert darf das jeder, der sich traut.
„Volle Kraft voraus“ lautet die Devise des schwedischen Schiffseigners Mikael Krafft. Nach dem Erfolgsgeheimnis gefragt, antwortet der passionierte Segler: „Unsere Schiffe bieten kleine Abenteuer.“ Es sind Rahsegler wie die alten Windjammer, die vor 150 Jahren die Weltmeere beherrschten. Angereichert mit viel Komfort und Sicherheit. Das Anlaufen kommerzieller Häfen wird vermieden, lieber ankert die Clipper vor einem Riff oder einem Strand, und man schwärmt mit kleinen Motorbooten aus.
Die Luft ist samtweich. Die Passagiere an der Reling haben den Horizont fest im Blick. Neue Ufer anpeilen – wie damals die großen Eroberer. St. Kitts heißt das leider schon entdeckte Eiland. Von der Hauptstadt Basseterre startet eine der eindrucksvollsten Bahnstrecken der Welt: Eine Schmalspur-Eisenbahn mit Dampflok umrundet die 168 Quadratkilometer große Insel. Offene Doppeldeckerwaggons bieten einen phantastischen Ausblick auf grüne Zuckerrohrfelder und erloschene Vulkane, die bis zu 1156 Meter hoch aufragen. Während der dreieinhalbstündigen Fahrt im „Sugar Train“ werden die Fahrgäste mit Rumpunsch und karibischen Gesängen unterhalten.
Alternativ zu den Ausflügen auf den Inseln schleppt die Sportcrew ein Arsenal an Kajaks, Luftmatratzen, Wasserski und Schnorchelausrüstung an Land und lässt kleine Segelboote zu Wasser, denn eine Traumbucht ist nicht allein zum Träumen da.
Sehr überschaubar ist allerdings die kleine Gruppe, die noch vor dem Frühstück Gymnastik an Bord mit der hübschen Schwedin Louise treibt. Die Crew ist es auch, die die komplette Bordunterhaltung bestreitet. Von der Modenschau über Gesangseinlagen bis zum Froschrennen. „Ganz bewusst haben wir nur einmal pro Woche eine Steelband engagiert“, erklärt Cruise Director Peter Kissner. „Unsere Gäste kommen nicht wegen des Entertainments an Bord, sondern wegen des Segelerlebnisses“. Jeden Tag stimmt der Bayer die Passagiere auf das kommende Ziel ein. Morgen ist es Anguilla, wo an einem der schönsten Strände der Karibik, der Shoal Bay, bunte Buden, weißer Sand und türkisblaues Wasser sämtliche Klischees eines Palmenstrandes erfüllen.
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Schon Christoph Kolumbus nutzte die Passatwinde. Auch uns treiben sie weiter nach Virgin Gorda, der „fetten Jungfrau“, wo spektakuläre Granitfelsen die Buchten von The Baths säumen. Nach Norman Island, der Schatzinsel aus Robert Louis Stevensons Roman, und nach Tortola. Sie wehen uns zur Insel Jost van Dyke, dem einstigen Piratenversteck, von dessen zweifelhaftem Ruf noch heute die Strandbar „Foxy“ zehrt. Hunderte von Visitenkarten von Seglern aus aller Welt zieren die Bretter, fast alle haben dem „Pain Killer“ zugesprochen, der Schmerzen töten soll – auch den Weltschmerz.
Die Star Clipper verlässt den letzten Hafen mit Kurs auf Anfang und Ende des Törns – die französisch-holländische Insel St. Maarten. Noch einmal legt der Cruise Director „Conquest of Paradise“ auf. Passender geht’s nicht. Die Musik aus einem Film über die Eroberung Amerikas durch Christoph Kolumbus. Die Eroberung des Paradieses. Gestern wie heute unter vollen Segeln. Als ob die Star Clipper den Rückwärtsgang eingelegt hätte.