Vom Segelflughafen Wasserkuppe aus, erschließt sich eine vielfältige Landschaft von oben
Harald Jörges beobachtet konzentriert die Wolken und betätigt den Steuerknüppel seines Segelfliegers, sodass dieser eine leichte Rechtskurve fliegt. Der Pilot ist soeben von der Wasserkuppe zu einem Rundflug über die Rhön gestartet. Hier, auf dem höchsten Berg Hessens, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts der Segelflug „erfunden”. Seitdem geriet die Wasserkuppe und somit die gesamte Rhön zum Pilgerziel für Segelflugfans aus aller Welt.
„Die Wasserkuppe und die Rhön haben eine spezielle Thermik, die es so sonst nirgendwo gibt”, sagt Jörges, der sich als Leiter der Fliegerschule Wasserkuppe auskennt. Die besondere Thermik rühre daher, dass die Rhön viele unbewaldete Berghänge besitze. „Das verleiht dieser Landschaft einen unvergleichlichen Reiz”, schwärmt der Pilot. Wegen der ungetrübten Ausblicke werde das Mittelgebirge Rhön auch „Land der offenen Fernen” genannt. Seit 1991 ist die Region als Biosphärenreservat von der Unesco anerkannt.
An Tagen mit starker Sonneneinstrahlung, geringem Wind und kontinentaler Kaltluft haben Jörges und seine Mitarbeiter viel zu tun. Für Anfänger gibt es als Kompaktangebot 40 Starts und Landungen auf dem Flugplatz Wasserkuppe. Danach wagen sie den Streckenflug: „Ich will meine Heimat einfach mal von oben sehen. Das ist doch das Schönste, was es geben kann”, meint die 15-jährige Leonie Kunert aus Wildflecken, rund 30 Kilometer von der Wasserkuppe entfernt. Gemeinsam mit anderen Anfängern absolviert sie in Kürze ihren ersten Start.
Info
Rhön: Das 3300 Quadratkilometer große Mittelgebirge liegt im Grenzgebiet der Bundesländer Bayern, Hessen und Thüringen.
Segelfliegen: Voraussetzungen für das Segelfliegen sind ein Mindestalter von 14 Jahren und die Vorlage eines Tauglichkeitszeugnisses. Fliegerschule Wasserkuppe, 06654/364, www.fliegerschule-wasserkuppe.de
Kontakt: Rhön-Info-Zentrum (Wasserkuppe) 06654/91 83 40, www.rhoen.de
Unterkünfte, 06654/91 83 4
Für Lothar Hermann aus St. Gallen in der Schweiz ist Segelfliegen die Königsdisziplin unter allen Flugmöglichkeiten. „Wenn dann noch eine so eindrucksvolle Landschaft mit im Spiel ist, schaltest du komplett ab”, sagt der ausgebildete Verkehrspilot. Die Rhön biete einen Mix aus Grünland, Laubwald, Hochmooren und Basaltseen. Hinzu kämen weite Täler und sanfte Berghügel. „Das Spiel von Licht und Schatten ist einzigartig, so habe ich es noch in keiner anderen Region aus dem Flieger erlebt”, sagt Hermann. Im Herbst kommt er zurück, um die Natur beim Wandern und per Rad zu erleben. Obwohl es sein erster Aufenthalt in der Rhön sei, habe er spontan verlängert. Das liege nicht nur an den landschaftlichen Besonderheiten, sondern vor allem an der Mentalität der Bevölkerung. „Ich bin selten so aufgeschlossenen Menschen begegnet wie hier”, sagt Hermann. Auch die Dörfer haben es ihm angetan: „Gepflegt, urtümlich und nicht so künstlich herausgeputzt als anderswo.”
Für Harald Jörges geht sein kurzer Ausflug mit dem Segelflieger über die Rhön zu Ende. Er hat die Milseburg im hessischen Teil, den Ellenbogen in der Thüringer Rhön und die Schwarzen Berge in der bayerischen Rhön überflogen. Sanft setzt er seinen silbernen Segelflieger wieder auf der Landebahn der Wasserkuppe auf. Am Abend wird er mit einigen seiner Schüler und mit erfahrenen Piloten zusammensitzen. „Bei einem Rhöner Bier und einem Lammbraten vom Rhönschaf”, sagt Lothar Hermann, der auch beim Schlemmen mit dabei sein wird.