Aus dem Leben eines Seefahrers: Der Schiffsführer der MS Columbus berichtet
Die braunen Augen blicken zum Horizont. Kapitän Jörn Gottschalk widersteht der Sturmböe mühelos, während ringsherum für ein paar Sekunden das Chaos ausbricht. Kraftvoll umklammern seine Hände das Geländer. Der Wind saust durch sein braunes Haar, bringt Sonnenschirme ins Wanken und entreißt der Serviererin beinah das Tablett. Doch Wellen sind nur im Miniformat auszumachen – auf der Oberfläche des Flüsschens Wupper.
INFO
Die MS Columbus ( 01803/41 21 41, www.hlkf.de ) bietet gerade einmal 420 Passagieren Platz, das Schiff (Baujahr 1997) ist damit eine echte Rarität. Ab November geht der kleine Kreuzer wieder auf große Weltreise: Von Sevilla aus in die Karibik, durch die Südsee, nach Asien und Nordafrika bis nach Nizza.
In der Innenstadt Wuppertals, auf der Terrasse eines Cafés treffen wir den erfahrenen Nautiker auf Landurlaub. Hier ist der Seemann aufgewachsen, hier lebt der zweifache Vater mit Sohn, Tochter und Lebensgefährtin, wenn er nicht gerade als erster Mann an Bord des Kreuzfahrtschiffes MS Columbus die Weltmeere befährt.
Fernweh? „Immer”, sagt er ohne Umschweife, doch seine Heimat sei nun einmal dort, wo seine Lieben sind. Zehn und zwölf Jahre sind seine beiden Kinder alt, in der Schule genießen sie so manchen Vorteil. Erzählt der Lehrer vom großen Schmelzen der nordischen Eismassen, können die Kinder aus eigener Erfahrung berichten, dass die Eisberge im Nordpolarmeer noch immer mit gigantischen Ausmaßen beeindrucken und die gewaltigen Gletscher Grönlands bis ans Ufer der Fjorde ragen. Schließlich erlaubt die Reederei Hapag Lloyd, dass die Kinder ihren Vater an Bord besuchen und mit ihm auf Kreuzfahrt gehen. Die Kabine, die er als Kapitän eines Passagierschiffes bewohnt, lässt das zu, denn sie ist groß genug, um auch dem Nachwuchs Komfort zu bieten. Monatelang lebt er jedoch getrennt von ihnen. Ist er zuhause, gehört seine Freizeit für mehrere Monate allein der Familie und Freunden.
Die Serviererin hat es endlich geschafft,: Heißer Kaffee dampft in den Tassen, die Sonne hat sich den Weg durch die herbstlichen Wolkengebirge gekämpft und Jörn Gottschalk lächelt. Der Kapitän hat ein freundliches Gesicht, durch seine große, kräftige Statur strahlt er sofort Autorität aus. Ein Kapitän wie aus dem Bilderbuch.
Ruhig aber kraftvoll, spricht er mit tiefer Stimme von der Verantwortung, die er für die Menschen an Bord der MS Columbus trägt. Crew und Passagiere vertrauen ihm: „Meine Aufgabe ist es, alle sicher von A nach B zu bringen”, sagt er und meint damit 200 Häfen auf fünf Kontinenten. Die Tugend, die er an Mitmenschen, neben Humor und Ehrlichkeit, am meisten zu schätzen weiß, „ist die innere Ausgeglichenheit”, erzählt Gottschalk. Eine Stärke, die auch er durch seine beruhigende Ausstrahlung an den Tag legt.
Und das ist wichtig: Ein 144 Meter langes, 15 000 Bruttoregistertonnen großes und mit 205 Kabinen ausgestattetes Schiff liegt in seinen Händen, 420 Passagiere und eine Crew von 170 Leuten auf hoher See. Hektik ist da fehl am Platze. Die Kompetenz, korrekte Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt zu fällen, ist von eminenter Bedeutung.
Als Kapitän hat man viel zu entscheiden, insbesondere, wenn man auf Weltreise ist. „Im Eismeer ist es regelmäßig spannend”, sagt Gottschalk. Zwar könne das Eis heutzutage mit dem Radar meist frühzeitig erkannt werden, aber mit einem schnellen Entschluss zu reagieren, „ist nach wie vor unverzichtbar.” Eisberge seien schließlich bei Weitem nicht so berechenbar wie andere Schiffe. Bei schlechter Sicht müsse man sich ganz langsam „an ein solches Eisfeld herantasten”.
Auf dem Weg von Papeete nach Neuseeland, als der Kapitän der Columbus die schöne Insel Aitutaki in der Südsee anlief, galt es ebenfalls, seinen Entscheidungen zu vertrauen: In der engen Riffeinfahrt brachen bei schlechtem Wetter heftige Wellen, „ich musste den Anlauf komplett streichen”, erinnert sich der 41-Jährige. Auch alle anderen Versuche, die Passagiere an Land zu bringen, scheiterten.
Erkrankt ein Passagier an Bord schwer, sind richtige Entscheidungen ebenso gefragt: Route ändern oder Spezialisten per Helikopter einfliegen lassen? „Wenn man sich gerade in der Antarktis oder in Papua Neuguinea befindet, muss man vorausdenken”, erklärt der Experte. Denn nicht jeder Hafen verfüge über Spezialkliniken.
Auch skurrile Abenteuer sind auf den Weltmeeren nicht selten: Als die Columbus vor Laem Chabang in Thailand lag, bemerkte die Crew, wie sich auf dem Vorschiff etwas bewegte, „recht schnell und sehr schlecht frisiert”, lacht der Nautiker. Als ein Matrose an Deck die Situation genauer beleuchtete, stellte sich heraus, dass man einen Affen als blinden Passagier an Bord hatte.
Dass Gottschalk die Weltmeere befahren wollte, dazu entschied er sich bereits im jugendlichen Alter, als er während seiner Ausbildung zum Maschinenschlosser in einem Wuppertaler Betrieb immer häufiger auf einem Traditionsschiff wochenlang über die Meere segelte. Zum Meister der Navigation entwickelte er sich in Bremen, wo er acht Semester lang Nautik studierte. Nach Fahrten auf Tank- und Containerschiffen heuerte er vor sieben Jahren bei Hapag-Lloyd an und lernte dort das Leben eines Kreuzfahrtschiffes zu schätzen.
Als Nautiker sei es besonders spannend auf einem Passagierschiff zu arbeiten, „weil wir fast täglich einen Hafen ansteuern”, meint Gottschalk. Das sei eine viel größere Herausforderung als tagelang geradeaus den Ozean zu durchpflügen. Zudem kümmert sich der Mann aus dem Ruhrgebiet gerne um Menschen. Zwar übernehme er keine Aufgaben, die einem Chefsteward oder einer Kreuzfahrtdirektorin obliegen, dennoch „kommt es immer wieder zu wirklich schönen Begegnungen mit interessanten Persönlichkeiten”, sagt er.
Was ihm wirklich eine ge-hörige Portion Anpassungsfähigkeit abverlangt, ist der Wechsel von einer langen Seefahrt zurück auf den festen Wuppertaler Boden. Vom Kapitänsdasein ins Privatleben. „Manchmal muss ich mich regelrecht zurückhalten, nicht jedem in der Fußgängerzone einen Guten Tag zu wünschen” – an Bord selbstverständlich. In der Schlange im Supermarkt kann es die ersten Tage an Land passieren,„ dass ich aus Gewohnheit ständig andere Kunden freundlich vor mich winke.”
Der Kapitän steckt halt tief in ihm, auch an Land. Er schaut zum Himmel hoch: Gleich regnet es wieder. Die Wuppertaler Schwebebahn braust tosend über unsere Köpfe hinweg. Demnächst geht es wieder los. Von der Wupper über Hamburg hinaus auf den großen Ozean.