Hamburg. .

Wenn Udo Lindenberg auf dem Kreuzfahrtdampfer singt, schlagen die Wogen hoch. Auf dem „Rock-Liner“ gibt es vier Tage Stars und Musik - und Abendgarderobe ist unerwünscht.

Nanu, hat der Altrocker auf seine späten Tage ins Schlagergeschäft gewechselt? Nein, wenn Udo Lindenberg und das Panikorchester auf einem Kreuzfahrtschiff spielen, gibt es Rock, wie es seine Fans lieben - und das vier Tage am Stück, vom 28. August bis 1. September. Auf der „Rock-Liner“-Tour von TUI Cruises geht es durch Nordeuropa, ein Lindenberg-Konzert pro Abend inklusive. Neben ihm sind auch „Ich & Ich“ und weitere Bands an Bord - Uwe Bahn führt auf dem Rock-Dampfer Tagebuch.

Tag 1

„Odyssee, Odyssee – keiner weiß wohin die Reise geht!“ Oh doch. Nach Kopenhagen, nach Oslo, dann zurück nach Kiel. Und da hat Udo Lindenbergs Rock-Liner Nummer zwei gerade abgelegt. Mit 2 000 Panik-Passagieren. Schon beim „Auslaufständchen“ spielen Udo und das Panikorchester zwei Songs. Danach dröhnen AC/DC und ZZ Top übers Deck. Und zwar keine Balladen - das geht ja schon wieder gut los. Innerhalb von vier Stunden haben die Fans die Reisebüros gestürmt – dann war der Dampfer dicht. Ausverkauft

Welch’ Wahnsinn da auf den Wellen tobt, davon können die 2 000 Beseelten von Rock-Liner 1 immer noch ein Lied singen. Der fuhr im Mai von Hamburg nach London und zurück. Einlauf zum Hafengeburtstag mit einer Mauer von Marshalltürmen auf dem Sonnendeck, hundert Gitarristen an der Reling und 500 000 Leuten an der Kaimauer. Und nun furcht dieser Lindenberg durch die Kieler Förde hinein in die Ostsee. Mit einem Publikum, dass so gar nicht in das alte Klischee passt: Kreuzfahrt heißt deshalb Kreuzfahrt, weil es die meisten Passagiere schon im Kreuz haben. Und neunzig Prozent von ihnen sich noch an die Einschulung von Johannes Heesters erinnern.

Die hier nicht. Die hatten als erste Platte „Paranoid“ im Schrank. Und jetzt sind sie alle in ihren Kabinen und bretzeln sich auf für den ersten Abend. Das heißt: Jeans, Lederjacke und Piraten-Siegelring am Finger. Ich stelle mir gerade vor: Auf der Astor spielt der Bord-Entertainer zu diesem Zeitpunkt einen Potpourri aus „Muss i denn zum Städtele hinaus“ und „Wenn der weiße Flieder wieder blüht!“ Und an der Bar schenken sie dort Klosterfrau-Melisse auf Eis aus.

Hier an Bord gibt’s nach dem Essen (ja, wir essen auch was) in der Casino Lounge die Late Night Session mit den „Midnight Ramble Allstars“. Wegen dieser verdammten Lounge wurden bei den meisten Passagieren von Rock-Liner 1 die Krankenkassenbeiträge erhöht. Bitte Udo, trommel’ nicht wieder bis zum Morgengrauen! Wir haben alle Familie. Und laufen morgen früh schon Kopenhagen an. Ich geh’ jetzt Kräfte sammeln. Aber sonst ist heute wieder alles klar...

Tag 2

Die erste Nacht auf dem Rock-Liner verläuft erschreckend vernünftig. Kaum einer ist länger als 2.30 Uhr am Start. Wir haben uns an der Bar der Casino-Lounge festgetackert, unsere Stammplätze seit dem ersten Rockliner. Langsam könnte TUI Cruises unsere Namen auf kleinen Messingschildchen am Tresen verewigen. Auf der Bühne jammen die Midnight Ramble Allstars. Udo schaut sich das aus sicherer Distanz an, trinkt Tee. Ja, Tee. Muss ich mir Sorgen machen?

Er wird nervöser, es juckt ihn schon wieder. Dann beißt ihm Eddy Kante den Weg frei (nein, er will nur spielen) und rauf auf die Bühne. „Johnny B. Goode“ (Udo, eine Strophe textsicher, über den zweiten Vers sollten wir noch mal reden) und „Bis ans Ende der Welt“. Schön. Und immer wieder das Bad in der Menge. Der Mann liebt das, ist wirklich einer zum Anfassen. Was würden wohl Westernhagen und Grönemeyer machen? Längst Bubu, vermutlich. Gerade bin ich vom Landgang Kopenhagen zurück. Zu Fuß vom Anleger zum Nyhavn. Der kleine Hafen ist ja immer voll, aber diesmal sitzen da viele bekannte Gesichter: Die Panik-Passagiere schlürfen ihren ersten Drink. Andere treffe ich in dem roten „City Sightseeing“ Doppeldecker-Bus.

Kopfhörer auf und dann erklärt in meiner Landessprache eine Dame, wo Dänemarks Märchenonkel Nummer eins, Hans Christian Andersen gewohnt hat. Leider hat der deutsche Kanal irgendwie einen Wackelkontakt. Und so höre ich mir den Rest der Stadtführung auf japanisch an. Udo steht derweil auf der Theaterbühne vom Rock-Liner und probt. Heute Abend ist die erste Show. Und er will länger doch wieder länger spielen als geplant. Und das immer noch nach gefühlten 115 Jahren im Rock-Business. Achso: Die Sonne scheint in Kopenhagen schon den ganzen Tag. Und auch sonst ist heute wieder alles klar...

Tag 3

„Bitte nicht auf die Tische steigen!“ Ja, der TUI-Cruise-Direktor an Bord sorgt sich um das Mobiliar seines Theaters. Denn gleich entert hier Udo Lindenberg fürs erste Konzert die Bühne des Rock-Liners. Keine Sorge, die Panik-Passagiere sind vernünftig. Hier sind keine Hansi-Hinterseer-Hooligans an Bord. Und noch’n gutgemeinter Hinweis: „No Smoking“. Überflüssig, sie tragen fast alle Lederjacken. Von den Rängen hängen Bettlaken mit der Aufschrift „Udos Rock-Liner“.

Dann schwebt die Apollo 13 – Kapsel von der Decke, alles schießt aus den Sitzen. Udo pellt sich aus dem Astronauten-Anzug (Achtung, der Hut!) - tausend Passagiere stehen. Aber nicht auf den Tischen, sie haben ja zugehört. Was für ein Druck an Deck: „Boogie Woogie Mädchen“ - „Mein Ding“ – „Cello“. Grandios: Säufermond, Udos vertontes Hotel-Leben über die Nächte vor der Minibar. Davon ist er jetzt weit entfernt. Clean, klar und aufgeräumt wirkt er. Die Songs vom „Stark wie zwei“ – Album sind die Highlights. Von „Ganz anders“ bis „Der Greis ist heiß“. Schade, dass „Wenn Du durchhängst“ nicht mehr im Programm ist. Da kann doch eher der „Sonderzug“ mal für zwei Shows aufs Abstellgleis fahren. Aber das ist ungefähr so, als wenn Lynyrd Skynyrd auf „Sweet Home Alabama“ verzichten.

Also doch „Hallo Hallöchen Hallo“. Nach fünf Zugaben und Jubelorkanen ist Schluß. Vorerst. Denn Udo ist nachtaktiv. Der Hotspot an Bord ist die Casino Lounge. Da rocken die „Midnight Ramble Allstars“ gleich im Anschluß. Hinter dem Namen versteckt sich die halbe Peter-Maffay-Band: Carl Carlton, Pascal Kravetz, Ken Taylor. Diesmal ohne „sieben Brücken“ dafür: „Radar Love“ Sie rocken bis die Röhren glühen. Und der Laden ist zum Bersten voll. Auf normalen Touren sitzen hier vielleicht dreißig Leute und spielen Mau mau. Und dann ist der Nachtaktive zur Stelle: „Ich hab’ jeden, jeden Film von Dir geseh’n, Candy Jane!“ Udo singt, tanzt und trommelt bei den Allstars. Dann Jam-Session mit seinem eineiigen Doppelgänger Tommy. Soviel Lindenberg gibt es auf keinem Konzert. Immer wieder stellt er sich vor die Kameras seiner Fans. Bis halb drei Uhr nachts. Was danach noch passiert ist, kann ich leider nicht beurteilen. Udos „Bürozeiten“ sind nicht immer mit meinem Biorhythmus kompatibel. Wir sind auf dem Weg nach Oslo, da kommen „Ich & Ich“ an Bord - übermorgen geben sie hier zwei Konzerte. Die haben was verpasst. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Aber sonst ist heute wieder alles klar.

Tag 4

Der Rock-Liner hat Oslo erreicht. Die Sonne strahlt. Sie ist deutlich früher aufgestanden als die Mehrheit der Panik-Passagiere. Es ist 15 Uhr – eine gute Zeit für Musiker. Also Landgang mit Udo. Umschwirrt von Autogrammjägern. Da ist man dankbar, für die vierzig Japaner, die ihn nicht kennen. Und, das ist die eigentliche Sensation, die nicht fotografieren. Wir stehen vor dem Rathaus von Oslo. Hier werden jedes Jahr die Friedensnobelpreise verliehen. Fast andächtig guckt Udo auf die Fassade.

Woran denkt er? An Willy Brandt? An die Ostpolitik? An das Mädchen aus Ostberlin? Sein Anteil am deutsch-deutschen Frieden ist nicht so klein. In seinen Songs („Wir wollen doch einfach nur zusammen sein“/Mädchen aus Ostberlin) hat er sie doch schon besungen, die vereinte Nation. Uno Lindenberg, quasi. Auch bei dem ganzen Rock’n Roll auf dem Rock-Liner geht das Thema auch ihm immer noch ans Herz. An Bord sind einige Mädchen aus Ostberlin. Mit feuchten Augen im Konzert. Wir bleiben vor einem Schaufenster mit Elchsocken stehen. „Die hat Udo alle schon“, erzählt seine Freundin. Er liebt das Rocken in Socken. Dann entdecken wir das Shopping-Eldorado schlechthin: einen Hutladen. Udo wird fündig. Endlich ein Zweithut. Und die Preise sind absolut okay. Trinken Sie in Oslo mal ein Bier. Für das Geld bekommen Sie in Deutschland eine E-Gitarre. Wir flanieren vorbei an Souvenirshops mit diesen hässlichen Trollfiguren. Hier können sich die Trollwütigen austoben, wir verzichten dankend und gehen um das Hafenbecken herum.

Am anderen Ufer eine Perle der Stadt: „Aker Brygge“, das ist die Hafencity Oslos. Hier wurden mit Stil die alten Speicherhäuser restauriert. Udo runzelt die Stirn unter der Hutkrempe: So hätte es zuhause auch aussehen können. Nicht nur er fragt sich, was die Architekten der Hafencity Hamburg eigentlich beruflich machen. Aker Brygge hat Klasse! Um 20.00 Uhr legt der Rock-Liner wieder in Oslo wieder ab, Punkt 21.30 Uhr steigt Udo wieder auf der Bühne. Konzert Nummer zwei im Theater.

Im Publikum sitzen jetzt auch Ich & Ich. Sänger Adel ist schwer beeindruckt, was der Mann mit dem Hut da auf der Bühne leistet. Bei dem Pensum hat manch’ dreißigjähriger Musiker schon Seitenstiche. Trotzdem, Udo: Kräfte einteilen für die nächsten Rock-Liner. Denn die werden kommen, weil immer mehr Leute auf dem Festland mitbekommen, was sich hier an Bord Unglaubliches abspielt. Morgen stehen „Ich & Ich“ zu zwei Konzerten auf der Rock-Liner Bühne. Und überhaupt ist heute wieder alles klar...

Tag 5

Es ist keine Handbreit Wasser mehr bis nach Kiel, der Rock-Liner mit Udo Lindenberg ist zurück im Hafen. Gerade wuchten sie die ganzen Boxen von Bord. Rein in die Fahrstühle, runter auf Deck 6. Draußen warten die Lkw - die Gangway wird zur Boxengasse. Gestern Abend die beiden Shows von Ich & Ich. Sänger Adel – großartig. Und einfach sympathisch. Ein Performer mit großer Zukunft. Und großer Gegenwart (Was haben die schon für Hits!!). Der Rest der Band spielt sauber, aber es fehlt noch ein wenig Rock’n Roll in ihren Gesichtern.

Narben der Nacht, so wie sie das Panik-Orchester trägt. Der eine Ich-Teil, Annette Humpe, ist dann doch nicht mit an Bord. Sie geht eh nie auf die Bühne: Lampenfieber. Und Lampen hingen reichlich im Theater. Und immer wieder Udo. Bei Ich & Ich steigt er zum Duett („Cello“) zu Adel auf die Bühne, um zwei Uhr nachts rockt er auf dem Sonnendeck (eine laue Sommernacht!). Dort stehen die „Midnight Ramble Allstars“ (Carl Carlton, ganz großer Gitarrensport!) zum furiosen Finale. Und Udo gibt noch mal den Rest seiner Stimmbänder für die 2000 Fans. „Odyssee“, „Straßenfieber“, „Candy Jane“.

Wie lange werden sie alle brauchen, um dieses Erlebnis zu verarbeiten? Es ist so unvermittelbar denen, die nicht an Bord waren. Die nicht erlebt haben, was dieser Mann da mit dem Hut leistet. Der nachmittags noch eine Auktion an Bord für die Flutopfer in Pakistan organisiert. Zwei seiner Likörelle für die Versteigerung stiftet und am Ende noch 10.000 € selbst spendet.

Klingt jetzt blöd, aber: Man muss diesen Lindenberg lieb haben. Und einer hat ihn gaaanz lieb: Fünf Tage Rock-Liner, fünf Tage Sonnenschein - danke, Panik-Petrus. Am Ende des Nachmittags gehen 30.000 € über Care nach Pakistan, denn die Reederei TUI Cruises stockt noch einmal auf. Die haben sich mit „Mein Schiff“ übrigens gewaltig gesteigert. Lag’ vor einem Jahr doch einiges im Argen, dann ist das jetzt eine sehr runde Sache, vom Essen bis zum Service. Der hatte vermutlich soviel zu tun, wie auf keiner anderen Reise. Bleibt am Ende die große Frage: Wann kommt Rock-Liner 3? Dieser zweite war mit 2.000 Passagieren in vier Stunden ausverkauft, der nächste braucht vermutlich vier Minuten. Bis dahin muss Udo neue Kräfte sammeln. Und der Autor dieses Rock-Blogs auch. Aber sonst ist heute wieder alles klar...