Michael Thamm über Gewinner und Verlierer und das Ende der Superlative in Deutschland

Wohin steuert die deutsche Kreuzfahrtbranche im Jahr 2010? Wir sprachen mit Michael Thamm, Chef von AIDA Cruises und Vorsitzender des Schifffahrtsausschusses im Deutschen Reise Verband.

Die Kreuzfahrtbranche gilt aktuell als Musterschüler der gesamten Touristik. Doch die großen Reedereien setzen die Traditionsschifffahrt mit ihren Preismodellen immer stärker unter Druck. Gibt es bald eine Zerreißprobe innerhalb der Branche, wenn es plötzlich heißt: „David gegen Goliath”?

Thamm: Es ist richtig, dass es 2009 trotz eines insgesamt wachsenden Marktes nicht nur Gewinner, sondern eben auch Verlier gab. Transocean Tours musste Insolvenz anmelden, die Reederei Deilmann konnte sich nur mit viel Mühe retten. Aber das Leid des einen ist ganz sicher nicht die Freud der anderen. Sehen sie, als ich bei Aida angefangen habe, waren sich die Wettbewerber untereinander wirklich spinnefeind. Heute arbeiten wir konstruktiv zusammen, werben beispielsweise im Rahmen der nationalen Kreuzfahrtwoche gemeinsam für den Urlaub auf dem Wasser.

Trotzdem glauben viele nicht, dass es mittelfristig noch eine solche Vielfalt an Reedereien und Schiffskonzepten geben wird.

Thamm: Aber das Potenzial dafür ist definitiv da. Aktuell haben wir eine Million Gäste pro Jahr, die in aller Regel höchst zufrieden mit ihrer Kreuzfahrt sind. Allein durch die Mund-zu-Mund-Propaganda werden wir weiter wachsen, unsere Urlaubsform ist so genial, dass wir uns noch sehr viel mehr Gäste zutrauen.

Für diese Vision müssen Sie sich stets rechtfertigen.

Aida-Chef Michael Thamm
Aida-Chef Michael Thamm © MSG

Thamm: Ja, die Standardfrage von Journalisten lautet in diesem Zusammenhang jedes Jahr aufs Neue: „Wie lange geht das Wachstum so weiter?” Und darauf kann ich auch heute nur antworten, dass der Anteil unserer Branche am gesamten Kuchen der organisierten Touristik nach wie vor dramatisch unterrepräsentiert ist.

Was macht sie so zuversichtlich, dass die Seereise weiter boomt?

Thamm: Die Verbraucher sind inzwischen viel aufgeklärter darüber, was eine Kreuzfahrt heutzutage alles sein kann, da haben wir enorme Vorurteile abgebaut. Zudem wird in den Medien deutlich mehr und auch kompetenter als in der Vergangenheit berichtet. Und auch die Reisebüros platzieren uns inzwischen richtig gut, weil sie das Potenzial und die Chancen für sich selbst erkannt haben.

Dennoch haben Beobachter den Eindruck, dass Kreuzfahrten immer stärker über den Preis verkauft werden.

Thamm: Da kann ich jetzt natürlich nur für Aida und nicht für die gesamte Branche sprechen. Bei uns sind die Durchschnittspreise 2009 definitiv konstant geblieben. Unabhängig davon finde ich die Botschaft wunderbar, dass die Kreuzfahrt für jeden erschwinglich geworden ist. Eine Woche Kreuzfahrt kostet inzwischen so viel wie ein einwöchiger Hotelaufenthalt am Mittelmeer. Nur mit dem Unterschied, dass den Gästen an Bord deutlich mehr als an Land geboten wird.

Für die Reedereien wird es bei günstigen Eckpreisen immer wichtiger, dass sie die Erlöse an Bord steigern. Wird das irgendwann zum Problem?

Thamm: Wir schaffen außergewöhnliche Reiseerlebnisse für unsere Kunden und da finde ich es legitim, dass wir daran auch etwas verdienen. Eine Preistreiberei an Bord kann ich zudem überhaupt nicht ausmachen. Während etwa das Bier auf der Wies'n jedes Jahr teurer wird, gibt es eine solche Entwicklung bei unseren Bar- und Ausflugspreisen nicht.

In Amerika schippern inzwischen Kreuzfahrtschiffe mit 5400 Passagieren und dem Charakter eines Freizeitparks durch die Karibik. Haben solche Konzepte in Deutschland eine Chance?

Thamm: Das kann ich mir derzeit nicht vorstellen, die Deutschen ticken da doch anders. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Innovation auf Kreuzfahrtschiffen auch im Detail stattfinden kann. Es müssen nicht immer Superlative sein.