Hohes Tempo trotz rauer See: Wie die Reedereien auch 2010 neue Gäste für ihre Kreuzfahrt-Konzepte gewinnen wollen
Volle Kraft voraus, obwohl sich die Wellen türmen. Diese Strategie wenden Kreuzfahrtkapitäne an, wenn es kräftig stürmt. Denn nur bei ausreichender Fahrtgeschwindigkeit können die Stabilisatoren auch ihre maximale Leistung erbringen. Dieses Bild passt recht gut, um die augenblickliche Lage der Kreuzfahrt in Deutschland zu beschreiben. Das Tempo ist hoch, die See ist rau, die Reedereien kämpfen um den richtigen Kurs. Und denen, die die Fahrtgeschwindigkeit drosseln, droht Schlagseite.
Die besten Chancen im Wettrennen auf den Weltmeeren haben die großen Schifffahrtsgesellschaften, die mit frischen Konzepten und zeitgemäßen Neubauten längst die Führung übernommen haben. Ohne Krawattenzwang und Captain's Dinner, dafür mit lockerer Atmosphäre, tollem Unterhaltungsprogramm, viel Sport und Wellness und einem vielseitigen Gastronomieangebot. Aida-Cruises, unangefochtener Marktführer in Deutschland, schwimmt damit von einer Erfolgswelle zur nächsten. Gerade erst wurde die neue „Blu”, ausgestattet unter anderem mit dem ersten schwimmenden Brauhaus der Welt, auf die Jungfernfahrt geschickt, da richtet sich der Blick schon wieder in die Zukunft. Selbst weitere Neubauten über das Jahr 2012 hinaus sind bei Aida nicht mehr ausgeschlossen.
Die europäischen Schiffskonzepte von MSC Cruises und Costa Crociere bleiben ebenfalls auf Wachstumskurs, nicht zuletzt durch die massive Ausweitung der Abfahrten ab Deutschland. Am nächsten Wochenende wird das neue MSC Flaggschiff „Magnifica” ausgerechnet in Hamburg von Sophia Loren getauft – der Wahl des Taufhafens darf man getrost eine hohe symbolische Bedeutung zusprechen.
Von der Hansestadt aus hat auch Newcomer TUI Cruises mit „Mein Schiff” eindrucksvoll bewiesen, dass die Mitte zwischen Traditionsschiff und Clubschiff eine perfekte Ausgangsposition für ein eigenes Schiffskonzept sein kann. Zwar hatten die Hamburger Ende 2009 einige schwere Wochen mit schwacher Auslastung in der Karibik zu überstehen, die Saison 2010 ist aber bereits sehr gut gebucht, da die meisten Erstfahrer die „Mein Schiff” aktiv weiterempfehlen. Zusätzlichen Verkaufsdruck baut das Team um Richard J. Vogel nun mit der Einführung eines „Premium Alles Inklusive-Konzepts”, welches ab Oktober greifen wird (lesen Sie mehr auf Seite 10).
Nach wie vor ein Nischendasein fristen die amerikanischen Kreuzfahrtlinien. Zwar werden auch im Sommer wieder vermehrt Abfahrten ab Europa angeboten, doch offenbar ist die extrem legere Kreuzfahrtkultur der Amerikaner nichts für deutsche Passagiere, zumal hohe Servicezuschläge und Zwangstrinkgelder eine abschreckende Wirkung ausüben. Gigantismus und immer neue Superlative helfen ebenfalls nicht weiter. Das größte Kreuzfahrtschiff der Welt, die „Oasis of the Seas” (max. 6296 Passagiere) ist jedenfalls in den hiesigen Reisebüros ein Flop.
Klein, aber fein. Mit diesem Alleinstellungsmerkmal stechen die deutschen Traditionsschiffe in See. Nach der Transocean-Insolvenz nimmt die „Astor” ab Juni dank eines neuen Investors wieder Fahrt auf. Mit renovierten Kabinen und erstaunlich hohen Preisen will sich das Schiff künftig als Premium-Produkt behaupten. Andere Reedereien schlagen – gezwungenermaßen – einen anderen Kurs ein. Über einzelne Direktvermarkter konnte man zuletzt zahlreiche Abfahrten der renommierten „Deutschland” zum halben Preis buchen. Viele Anhänger der Reederei Deilmann sorgen sich bereits, dass mit den Preisen bald auch das Niveau an Bord sinken könnte.
Kein leichtes Wasser durchfährt aktuell ebenfalls Hapag-Lloyd-Kreuzfahrten, die 2009 ob des großen Wettbewerbs ihre Schiffe (u.a. „Columbus” und „Bremen”) mit sinkenden Auslastungszahlen auf die Reisen schicken musste. Und zu allem Übel steht nun auch noch dem Luxus-Dampfer „Europa” wegen eines technischen Defekts ein Zwangsaufenthalt in der Werft bevor. Abgesagte Reisen und sechs Wochen lang keine Einnahmen sind die Folge.
2010 wird sich zeigen müssen, ob es der deutschen Traditionsschifffahrt gelingt wohlbehalten durch die hohen Wellenberge zu manövrieren. Erfolgreiche Beispiele dafür gibt es nach wie vor. So erfreuen sich die Schiffe der Phoenix-Flotte ungebrochener Beliebtheit. Sie punkten weniger mit der Ausstattung, als mit den inneren Werten wie einer familiären Atmosphäre an Bord. Die Ausstrahlung der ARD-Doku-Soap „Verrückt nach Meer”, gedreht auf der „Albatros”, ist zudem ein nicht zu bezahlender Glücksfall, der der Reederei ganz ohne eigenes Marketinggeld völlig neue Gäste bescheren wird.
Entscheidend für den Erfolg ist aber auch die Wandlungsfähigkeit der Reedereien. Aida-Chef Michael Thamm gibt die Devise vor: „Wir verstehen uns inzwischen als kreative Zerstörer.” Und dazu gehört sicher auch, dass er die Aida „Cara” Ende März auf eine kleine Weltreise von Bangkok nach Hamburg (55 Tage ab 4695,- Euro) schickt. Dieses Segment war bislang den Traditionsreedereien vorbehalten. Costa plant mit der „Deliziosa” Ende 2011 sogar eine komplette Weltumrundung (ab 9999,- Euro). Wenn es der Branche gelingt, sich immer wieder ein Stück neu zu erfinden, ist das Ende des Wachstums nicht in Sicht.