Fort Worth. Einst legten Schlachter mit deutschen Wurzeln in Texas große Knochen auf den Grill. Heute ist Barbecue Teil der amerikanischen Identität. Das beste Fleisch kommt aus einer Bruchbude ohne Klo.
Es ist 7.52 Uhr, doch Austin Hebert sitzt längst auf einem Campingstuhl neben der Tür einer wackligen Holzbude und hofft auf das beste Mittagessen seines Lebens.
Erst seit wenigen Minuten taucht die Sonne die Wipfel der Bäume an der schnurgeraden Landstraße und das leicht angerostete weiße Schild mit den großen schwarzen Buchstaben „BAR-B∙Q“ in warmes texanisches Morgengelb.
Hier, im Niemandsland am Rand der Großstadt Fort Worth, gab es vor zwei Jahren den unwahrscheinlichsten Aufstieg in der Welt des Texas Barbecue: Das einflussreiche Magazin „Texas Monthly“ veröffentlichte damals erneut seine Liste der besten Grillrestaurants im Bundesstaat. Die Wahl für die Nummer eins fiel auf das Goldee's, das erst ein Jahr zuvor von mehreren Mittzwanzigern gegründet worden war.
Seitdem steht die halbe Nation vor ihrer Hütte an der Dick Price Road im Südosten von Fort Worth Schlange.
Warten für den fleischigen Liebesbeweis
Geöffnet ist hier freitags bis sonntags, ab 11 Uhr bis 15 Uhr - oder bis die Ware „Sold out“ ist, es also nichts mehr gibt.
Austin Hebert ist seit 6.30 Uhr da und die heutige Nummer eins, der erste Kunde, der vor dem Goldee's aufgeschlagen ist. Er kommt aus Louisiana und ist auf einem Barbecue-Roadtrip.
Für außergewöhnliches Grillfleisch ist Hebert schon überall hingefahren, denn Liebe, so sagt er, drücke er durch Essen aus. „Und ich denke, Barbecue ist wie der ultimative Liebesbeweis - wegen der extremen Menge an Arbeit und Zeit, die man braucht.“
In der Tat ist echtes Texas Barbecue kein schneller Schuss aus der Hüfte, wie man es im Land der Colts leicht vermuten könnte, sondern ein generalstabsmäßig geplantes Unterfangen mit schier unendlicher Detailtiefe.
Im Goldee's grillen sie Rippen von Schwein und Rind, Truthahn, Würstchen und natürlich das wichtigste Fleisch in Texas: Brisket. Die Rinderbrust braucht 12 bis 14 Stunden bei 93 bis maximal um die 135 Grad im Räucherofen, erzeugt durch penibel angeordnete Holzscheite einer Eiche der Art Quercus stellata.
Amir ist der Mann, der im Goldee's das Feuer hütet. Er steht unter einem Wellblechdach, zwischen zwei Grillöfen so lang wie Kleinbusse. Der Grillmeister schafft neues Holz ran für die Dutzenden Briskets in den Röhren. Es ist 10.26 Uhr und das Sonnenlicht lässt die feinen, duftenden Rauchschwaden um die Smoker glitzern.
Inzwischen haben sich schon fast 200 Menschen in die Schlange hinter Austin Hebert eingereiht.
Beim Grillen ist alles strategisch
Im Goldee's ist die Behandlung von Feuer und Fleisch eine Mischung aus Gefühl und Wissenschaft. Die großen Briskets werden so zurechtgeschnitten, dass ein guter halber Zentimeter Fett ihre Oberseite bedeckt und sie stromlinienförmig im Rauch liegen, erklärt Amir. „Die Aerodynamik der Brust, wie wir sie würzen, wie wir sie auf den Grill legen. Es ist alles strategisch“.
Es geht um den Anteil an Zucker und Salz, um die Luftfeuchtigkeit in der Röhre. Um jedes Detail. Nach zwölf Stunden wird das zarte Rosa einer tiefschwarzen Kruste gewichen sein, das Brisket selbst ist dann auf die Hälfte geschrumpft. Amir wird den Smoker öffnen und es anfassen, fast schon zärtlich, und erfühlen, ob es fertig ist. Außen verbrannt - auf die beste Art und Weise - drinnen zart und saftig.
Es ist diese Perfektion, die Hunderte Menschen aus den ganzen USA vor das Goldee's treibt.
Ausharren als Teil des Spektakels
An Platz 17 in der Schlange nimmt Tom Dougherty einen Schluck aus seiner zweiten Bierdose: Indian Pale Ale, im Auto mitgebracht aus seiner Heimat Minnesota, knapp 2000 Kilometer nördlich. Sein Bürojob dort sei nicht gerade spannend, das Warten aufs Grillfleisch in Texas dagegen schon. „Das hier“, er wirft die Hände zur Seite und deutet auf die vielen Männer und einigen Frauen in Campingstühlen um sich herum, „wird es alles so viel besser schmecken lassen“.
Das Ausharren, oft in der trocken anrauschenden Hitze eines Südstaaten-Sommertages, ist Teil des Barbecue-Spektakels. Umso länger die Schlange, desto größer die Erwartung. Wenn Menschen tagelang anreisen und dann vier Stunden anstehen, um ein Grundbedürfnis zu erfüllen, werden sie Teil von etwas Besonderem.
Natürlich gibt es Hunderte andere Orte, an denen es fast genau so gutes Fleisch und keine Wartezeit gebe, sagt Austin Hebert an der Spitze der Schlange. Aber das Verlangen bis zum Anschlag auszureizen, zusammen mit Hunderten weiteren Fans, von denen die ganz hinten leer ausgehen werden, macht das Ereignis. „Die Knappheit schafft eine Art künstliche Nachfrage“, philosophiert Hebert.
Das Schicke kommt aus der Küche
Als die Schatten an der Bude kürzer werden, bewegt sich etwas. Aus dem Eingang tritt Jonny White. Ein Barbecue-Wunderkind. Vom Aussehen her erinnert er ein wenig an den nerdigen Dustin Henderson von der Erfolgsserie „Stranger Things“. Hier in Fort Worth aber wissen sie, dass sie es mit einem der Goldee's-Gründer zu tun haben, der die heutigen Spezialitäten auf eine Tafel schreibt, bevor sie innerhalb weniger Stunden wieder den Vermerk „Sold Out“ bekommen.
Als White mit Hebert und anderen Gästen spricht, wird schnell klar, dass der unverhoffte Ruhm hier niemandem zu Kopf gestiegen ist. „Ich bin Eigentümer, aber ich bin auch wie ein Vollzeitangestellter“, sagt er. Montags, wenn das Goldee's geschlossen ist, versuche er, die Bude vor dem Verfall zu retten.
„Im Restaurant geht jede Woche etwas kaputt. Es ist ein altes Gebäude, viele Leute kommen her und es wird einfach jede Woche in Stücke gerissen“, erzählt White. Jetzt gerade seien beide Toiletten kaputt, für die nun zwei Chemie-Klos auf dem Parkplatz stehen. Für einen Schlange-Steher aus Michigan ist das kein Makel: „Die brauchen hier nichts Schickes, denn das Schicke kommt aus der Küche“, sagt er.
Eine Kultur, älter als die USA selbst
Die Tradition des Barbecue - auch Barb-B-Q oder schlicht BBQ - in Amerika ist älter als die USA selbst. Der erste Anstoß soll von Kochtechniken der amerikanischen Ureinwohner gekommen sein, später kamen dann die Einflüsse weißer Siedler und neu aufgenommene Traditionen der schwarzen, versklavten Bevölkerung in Amerika hinzu.
Die Amerikanerinnen und Amerikaner in den südlichen USA unterscheiden heute vor allem das Carolina Barbecue, das Kansas Barbecue, das Memphis Barbecue und das Texas Barbecue. Bei einigen geht es eher um Schweinefleisch, bei anderen ist die Soßenkultur ausgeprägter. Und selbst innerhalb Texas' gibt es verschiedene Schulen.
Am bekanntesten ist wohl das zentraltexanische Barbecue. Es kommt aus dem Landesinneren, also zwischen Fort Worth und der Nachbarstadt Dallas im Norden sowie San Antonio und Houston im Süden gelegen. Hier machten deutsche und tschechische Siedler als erfahrene Schlachter einst zähes Fleisch durch langes Räuchern haltbar. Einer der Vorläufer des heutigen Brisket.
Auch das Goldee's folgt dieser Tradition. Die trockenen Würzmischungen sind wichtiger als schwere BBQ-Saucen, die sparsamer benutzt werden. Seit einigen Jahrzehnten boomt das Texas Barbecue nicht nur hier als hippes Handwerk, mit dem sich vor allem junge Grillmeister einen Namen gemacht haben.
Das Tor zum Himmel für Fleischliebhaber
Es ist wenige Minuten nach 11 Uhr, als sich vor dem Goldee's der Pulsschlag erhöht. Köpfe drehen sich, Münder flüstern in Ohren, es wird gestikuliert und auf den sich öffnenden Einlass gezeigt. Die Campingstühle sind längst in den Trucks verstaut, der schale Rest Bier wird gestürzt. Das Tor zum Himmel für Fleischliebhaber öffnet sich.
Der Weg hinein erinnert an den langersehnten Einstieg in eine neuartige Achterbahn. Adrenalin wegen Protein. An der Theke in der Bude wissen die Verkäuferinnen und Verkäufer dann schon, was man will. Von allem etwas, es soll schön aussehen, nicht nur fürs Foto. Und Schönheit ist nicht billig: Sie kostet 130 Dollar. Neben der Theke warten acht rot-weiß karierte Tische mit Küchenrollen.
Das Brisket braucht nach der Ewigkeit im Räucherofen kein Messer, die saftigen Stücke zerfallen im Mund in ihre geschmackvollen Bestandteile. Die Rinderrippe sieht aus wie ein Dinoknochen und ist auf den Punkt gegart, der Rauchgeruch parfümiert das Fleisch auf fast obszöne Weise, die Wurst ist zu gleichen Teilen scharf und salzig.
Die Männer am Nachbartisch reden über ihre Fleisch-„Experience“ wie andere über Rotwein aus dem Jahr 2009. Eine Erkenntnis der Runde: Die Nebenspeisen - selbst gebackenes Weißbrot, Krautsalat, Bohnen, Grieß mit Käse oder Kartoffelsalat - seien mit Absicht etwas leichter im Abgang, um das schwere Fleisch auszubalancieren. „Wir sind Essens-Philosophen“, klären sie auf.
Austin Hebert hat das, was er von seiner Riesenportion essen konnte, längst verspeist. Er steht auf, um den Hunderten, die ihm an diesem Tag noch folgen sollen, Platz zu machen. „Junge, war das gut!“, juchzt er. Es war der erhoffte Liebesbeweis.
>>> Zum Barbecue nach Texas
- Anreise: Den wichtigen US-Flughafen Dallas/Fort Worth fliegen mehrere Airlines direkt aus Deutschland an. Es gibt auch Verbindungen in andere texanische Städte. Vor Ort ist ein Mietauto notwendig.
- Planung: Für Texas mit seiner reichen Kultur und vielen interessanten Städten lohnt sich eine Reisezeit von mindestens einer Woche. Wer auf einen Barbecue-Roadtrip gehen will, hat neben dem Goldee's die volle Auswahl. Einige der besten „Joints“:
- Franklin Barbecue in Austin
- Snow’s BBQ in Lexington
- Panther City in Fort Worth
- Truth Barbecue in Houston
Wer nicht so gern in der Schlange wartet, für den sind diese Orte aber eher nichts. Reservieren kann man nicht.
- Einreise: Deutsche Urlauber und Urlauberinnen benötigen einen gültigen Reisepass und müssen sich im Internet eine Einreiseerlaubnis (Esta) besorgen. Weiterhin muss in aller Regel eine vollständige Covid-19-Impfung nachgewiesen werden. (Stand: 27.04.2023)
- Währung: 1 US-Dollar = 0,90 Euro (Stand: 27.04.2023) (dpa)