Bilbao (dpa/tmn). Rau und grau war Bilbao, bis der Bau des Guggenheim-Museums es in ein Touristenziel verwandelte. Auch andere Städte hofften danach auf den «Bilbao-Effekt». Das ging nicht selten nach hinten los.

Golden und silbern reflektiert der Sonnenglanz, der sich auf den Belägen aus Titanplatten fängt. Himmelwärts fächern sich die Strukturen fantasievoll auf. «Metallische Blume» sagt der Volksmund dazu. Oder erinnert es doch eher an ein Schiff, das an den Flussufern des Nervión angelegt hat?

Das Guggenheim-Museum für moderne und zeitgenössische Kunst stürzt den Betrachter in einen Rausch der Spektakel-Architektur. Für einen Einladungswettbewerb, der den Auftakt zu Bilbaos umfassender Stadtsanierung markierte, entwarf Frank O. Gehry sein avantgardistisches Meisterwerk. Nach vier Jahren Bauzeit feierte das Museum im Oktober 1997 Eröffnung. Nun wird es 25 Jahre alt und ist ungebrochen der Stolz und das Wahrzeichen der alten Industriemetropole.

Der Bau gab die touristische Initialzündung und bewirkte den Wandel Bilbaos vom Rau-und-grau-Image zu einem Besucherziel von internationalem Rang. Mittlerweile ist der «Bilbao-Effekt» ein Begriff für die «gezielte Aufwertung von Orten durch spektakuläre Bauten von Architekten». So steht es sogar als Eintrag in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia.

Schwenks nach Lyon und Oslo

«Gehrys Bauspektakel hat Bilbao mit einem Schlag auf die Landkarte kulturaffiner Touristen gesetzt, weil es sich als ikonisches Bild - ähnlich jenem der Sydney Opera - wie von selbst verbreitete. Hinzu kam der zugkräftige Name Guggenheim», analysiert Falk Jaeger, Architekturprofessor und Architekturkritiker aus Berlin.

Längst haben viele Städte versucht, «sich mit signifikanten Bauten von Stararchitekten, meist Museen, den Bilbao-Effekt zunutze zu machen, von Reykjavik bis Graz, von Manchester bis Valencia», so Jaeger, der zu dem Schluss kommt: «Das gelingt selten, oder es scheitert grandios, wie in Lyon, wo das Musée des Confluences der Architekten Coop Himmelb(l)au als riesiger Bauschwurbel am Ufer der Rhône lagert und nur eines ist: hässlich.»

Dagegen stellt Jaeger als kontinuierlich gewachsenes Positivbeispiel die norwegische Hauptstadt Oslo heraus: «Einen Bilbao-Effekt hat Oslo 2008 mit seiner Oper verzeichnen können (Snøhetta Architekten), vervielfacht allerdings 2020 mit der Deichmann Bibliothek (Lund Hagem Arkitekter), 2021 mit dem spektakulären Munch Museum (Estudio Herreros) sowie 2022 mit dem Nationalmuseum (Schuwerk und Kleihues), mit denen Oslos Hafenkante zur Perlschnur beeindruckender Kulturbauten wurde.»

Ernüchternde Resultate

Dass andere Städte in Nordspanien allein aus geografischer Nähe an den Bilbao-Effekt anknüpfen wollten, war folgerichtig - mit teils ernüchternden Resultaten. In Oviedo ist die beabsichtigte Aufwertung durch den leuchthellen Kongresspalast von Santiago Calatrava in der Finsternis versunken. Völlig untergegangen ist die Industriestadt Avilés, die sich mit einem Kulturzentrum des Brasilianers Oscar Niemeyer geschmückt hat.

Doch dazu war und ist die futuristische Architektur zu leblos, die Nachbarschaft zu rauchenden Schloten zu abstoßend, das Kulturprogramm zu provinziell. Zum Symbol maßloser Geldverschwendung geriet in Santiago de Compostela die Kulturstadt Galicien von Peter Eisenman, deren verstreute Konstrukte einem außerhalb liegenden Hügel wie Fremdkörper aufsitzen und die Landschaft verschandeln. Da will selbst von den Einheimischen kaum jemand hin, es sei denn, Studenten und Forscher müssen in die Bibliothek oder ins Regionalarchiv.

Anders sieht es in der Hafenstadt Santander aus, wo das Kulturzentrum Botín seit 2017 innovative Akzente setzt und von den Locals gut angenommen wird - und wenn nur als Ziel von Spaziergängen an der Buchtpromenade entlang. Das Werk des Italieners Renzo Piano, der mit dem Spanier Luis Vidal Unterstützung fand, ist einer zweigeteilten Mole nachempfunden, die sich auf Pfeilern hinausschiebt.

Ein Kunstmuseum als Kunst an sich

Wer zum Guggenheim nach Bilbao reist, sollte sich vor falschen Vorstellungen von einem Kunstmekka hüten. Das Museum zeigt nur wenige ständige Exponate, darunter einen «Nelkenstrauß» von Jeff Koons auf der Terrasse neben den Wassergärten sowie Stahlkolosse des Bildhauers Richard Serra in der mit 130 Metern längsten Galerie. Parallel laufen gewöhnlich zwei bis drei Wechselausstellungen unterschiedlichster Qualität, die zuweilen enttäuschen können.

Unter dem Deckmantel der Kunst sind im Laufe des vergangenen Vierteljahrhunderts schon Motorräder, Oldtimer und antikes Porzellan aus China zu sehen gewesen, aber auch fantastische Werkschauen wie von David Hockney.

Architekturkritiker Jaeger stößt sich daran, «dass der strahlende Bau im Detail seine Mängel hat und als Museum nicht gut funktioniert». Die Serra-Galerie hält er für überproportional «monströs», Wegeführungen für «merkwürdig», konstruktive Details für «grausam anzuschauen». Das mag der Experte anders sehen als der Laie, denn im Grunde geht es weder um Kleinigkeiten noch um das, was an Wechselausstellungen gerade drinsteckt.

Entscheidend ist die Gesamtwirkung. Gehry gelang mit voller Absicht das Kunststück, ein Kunstmuseum selbst zum wichtigsten Exponat zu erheben: einer Megaskulptur aus kantigen und dynamisch geschwungenen Formen, Symmetrien und Asymmetrien, Verschachtelungen der Elemente Kalkstein, Glas und Titan. Bis heute darf man sich tief vor dieser Leistung verneigen.